Ähm Nein, nicht in Ordnung.
Ohne eine Antwort, drehe ich mich auf dem Absatz um und verschwinde. Wie kann sie nur zu so etwas im Stande sein?
Ausgerechnet sie, die immer auf Ehrlichkeit und Treue pocht, macht mit so einem Schönling rum? Ich glaube es einfach nicht. Was wird Michael dazu sagen?
Hoffentlich erfährt er es nicht von Fremden. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen, aber aus dieser Sache werde ich mich definitiv heraushalten. Sie hat mir gerade klar und deutlich gesagt, dass sie meine Meinung zu diesem Thema nicht interessiert. Mich, ihre beste Freundin, kanzelt sie mit „mach nicht so eine Welle“ ab.
Ihre Schwester und der Fremde vernaschen sich gerade gegenseitig, als ich an unserem Tisch vorbeikomme.
Ganz toll, ehrlich. Ganz toll.
Was mache ich jetzt? Soll ich bleiben oder gehen? Erst hole ich mir etwas zu trinken, dann entscheide ich wie es weiter geht. Schon wieder habe ich das Gefühl, dass mich jemand beobachtet. Ganz langsam und wie ich hoffe völlig normal, drehe ich mich im Lauf hinter eine Säule, aus der ich mir die Umgebung genauer ansehen kann. Für mich sieht alles ganz normal aus. Tanzende und plaudernde Grüppchen oder Pärchen, die nur Augen für sich zu haben scheinen. Sehr merkwürdig.
Die Musik im Rentner Bereich, den ich anschließend betrete, ist um einiges leiser, wobei von ruhig nicht die Rede sein kann. Außerdem wummert der Bass von der Stage One hier hinein und ich bekomme langsam ein dumpfes Klopfen in meinen Schädel.
Welch Freude.
Um die Theke stehen vereinzelten ein paar Leute verteilt, die sich an ihrem Bier festhalten, oder auf ihre Getränke warten.
Sobald ich das meine in den Händen halte und es meine Kehle herunterspüle, beschließe ich nicht auf die Schwestern zu warten.
Da, in der Ecke rechts neben mir, wow, was für Augen. Ich schaue direkt in das schönste paar grauer Augen, welches ich je gesehen habe. Wo ist der Typ denn auf einmal hergekommen? Ich blinzle einmal um meinen Blick scharf zustellen, als ich mich auf die Ecke fokussiere, ist dort keiner. Niemand.
Jetzt bekomme ich schon Halluzinationen. Es wird Zeit zu gehen, ich hätte gar nicht mitkommen sollen.
Vollkommen fertig, steuere ich Richtung Ausgang, wobei ich mich durch die Massen drängen muss. Wie hätte es auch anders sein sollen, stellt sich mir ein Kerl, der Sorte „Never ever“ in den Weg.
>> Na Schönhait, wowolln wir denn hin? <<.
Meiner Erfahrung nach sollte man solche Leute erst einmal nicht beachten, solange die nur reden, sind sie harmlos. Ich versuche mich an die Wand gedrückt, weiter nach vorn zu schieben, doch der Typ lässt nicht so schnell locker. Er lehnt sich mir entgegen und versperrt mir jegliche Fluchtmöglichkeiten.
>> Ich hab gefracht, wo du hin willst? Was ‘n los mit dir? Dachte wir beide könnten ´n bissjen danzen. <<
>> Verschwinde! <<
Hoffentlich werde ich den wieder los. Ich versuche mich unter seinem Arm durchzuschieben, doch der Alkie ist zäher als erwartet. Er dreht sich fix, sodass er wieder vor mir steht und packt meine Schulter, während er mir immer näherkommt.
>> Bischt wohl zu gud für misch? Kannscht mir Nisch mal andworden was? Aber ich mag Mädchen dü sich ´n bischen währen. <<
Mir wird übel bei seinen Ausdünstungen. Warum ausgerechnet ich? Womit, habe ich das verdient?
>> Ich sagte, du sollst verschwinden. Ich habe kein Interesse. <<
>> aber isch hab. <<
Er lächelt schmierig und drückt meine Schulter fast schmerzhaft zusammen.
>> Ich muss hier mal durch. <<
Von links schiebt sich jemand zwischen uns und plötzlich habe ich einen breiten Rücken vor mir, der mich vor dem Betrunkenen abschirmt.
>> Was bischt d´n du für ainar? Verswinde! <<
>> Sorry, ich will euch nicht stören. Wäre nett, wenn du deinen Arm runternimmst, dann bin ich sofort weg. <<
Perplex glotze ich dem Fremden vor mir, ein Loch ins Shirt.
>> Ähm << schaffe ich zu sagen, was glücklicherweise in der Antwort meines unerwünschten Verehrers unter geht.
>> Was ‘n durch? Klar störscht du Maan. Hast grad voll unsre Base kaputt jemacht <<
Der Typ nimmt endlich seine schwitzende Hand von meiner Schulter und ballt sie zur Faust.
Das geht mit Sicherheit gleich in eine Prügelei über, super. Mein selbsternannter Retter beugt sich zu dem Betrunkenen hinunter und flüstert ihm etwas ins Ohr, dass ich nicht verstehen kann. Der Kerl dreht sich daraufhin kommentarlos um und wankt davon. Was hat das T-Shirt ihm denn gesagt? Unerwartet dreht sich der Junge vor mir leicht zur Seite und ich glaube ein >> Gerne geschehen. << gehört zu haben. Allerdings bin ich mir nicht sicher und die Musik ist so laut, dass ich davon ausgehe mich verhört zu haben.
Ich kann noch nicht einmal sein Profil ausmachen, geschweige denn sehen, ob sich seine Lippen bewegen.
>> Wer denkst du, wer du bist? Ich kann mich ganz gut alleine verteidigen. Ich bin nicht auf jemanden, wie dich angewiesen. << murre ich.
Es sieht kurz so aus, als würde er in der Bewegung erstarren und sich in meine Richtung drehen, doch er verschwindet, ohne zu reagieren.
Jetzt fühle ich mich noch miserabler als vorher und kämpfe mich endlich auf den Ausgang zu. Kaum das ich in der kalten, klaren Nachtluft stehe, atme ich ein paarmal tief ein und aus.
Am besten werde ich einfach laufen.
Es wird zwar ein langer Weg, aber es wäre nicht das erste Mal. Zu Fuß kann ich einige Abkürzungen nehmen und durch die sternenklare Nacht, brauche ich nicht mal mein Handy, um den Weg zu beleuchten.
Meine Füße spüre ich seit 30 Minuten eh nicht mehr, da reißt es der Heimweg nicht mehr raus. Im Gegenteil, die klare Luft lindert die Kopfschmerzen und ich kann langsam diesen Abend verdauen.
Im Gehen betrachte ich die Sterne und genieße die Ruhe. Schon längst bin ich von der Hauptstraße abgebogen und laufe quer Feld ein. Es ist angenehm warm und als ich das nächste, leere Feld vor mir sehe, beschließe ich meine Schuhe auszuziehen und meine Highheels zu schonen. Die Hälfte des Weges habe ich bereits geschafft, es ist also an der Zeit, meine Gedanken zu Tamara und ihrem Verhalten wandern zu lassen.
So hat sie noch nie reagiert und sie hat mir auch noch nie etwas so Wichtiges verschwiegen. Lief es bei ihr und Michael schon länger nicht mehr? Wollten sie sich vielleicht schon trennen?
Nein, das kann nicht sein. Hatte sie nicht gesagt, sie kennt diesen Maxwell erst einen Tag? Wie kann so was passieren?
Klar Anziehung und so weiter, aber sie war bisher doch immer glücklich und ihre Reaktion mir gegenüber, war völlig überzogen. Vielleicht hat sie zu viel getrunken, oder hat er sie unter Drogen gesetzt?
Aber nein, das kann nicht sein. Sie hat völlig klar gewirkt und war erschrocken, weil ich sie erwischt habe. Wieso hat sie mir nichts erzählt? Sagt man so etwas nicht der besten Freundin? Oder hat sie es mir gesagt und habe es nicht mitbekommen?
Nein, bei so wichtigen Dingen ist mir das noch nie passiert. Bei dem Punkt komme ich also nicht weiter. Das Einzige, wobei ich mir sicher bin ist, dass ich Tamara erst einmal schmoren lasse.
Und was war das eigentlich mit Ella? Ist es tatsächlich so, dass man erstmal eine Ablenkung braucht, wenn man sich frisch getrennt hat? Ich dachte immer, dass normale Verhalten hat mit Tränen und Eiscreme zu tun, aber anscheinend steht in Büchern nicht immer die Wahrheit. Ist ja nicht so, dass ich aus Erfahrung sprechen könnte. Bisher hatte ich noch keine feste Beziehung. Küsse ja schon, aber eine richtige Beziehung? Nein. Für mich muss mein Partner jemand sein, mit dem ich über alles reden kann. Die meisten aus meiner Klasse bekommen den Mund gar nicht erst auf und es ist auch keiner dabei, der mich überhaupt anspricht.
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