Alle älteren Jungs, die ich kenne, haben kein Interesse an Gesprächen. Bei denen ist das größte Ziel, die Klamotten schnellstmöglich runter zubekommen und alle anderen die eventuell in der engeren Auswahl gewesen wären, sind bereits vergeben. Meine Gedanken sind mittlerweile völlig konfus und kommen einfach nicht zur Ruhe.
2.
Endlich bin ich vor unserem Haus angekommen und mit einem Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass es 10 Minuten vor 4 ist. Meinen persönlichen Rekord habe ich damit geschlagen. Langsam schließe ich die Haustür auf und versuche jegliche Geräusche zu vermeiden. Natürlich kommt einem jeder Ton, der irgendwo zuhören ist, wie ein Kanonenschlag vor. Mom und Dad sind zwar nicht so schnell zu wecken, aber um diese Uhrzeit könnte es schon möglich sein, dass mein Dad im Haus unterwegs ist.
Ich habe beschlossen meine Schuhe mit in mein Zimmer zu nehmen, es muss ja nicht sofort auffallen, dass ich Zuhause bin. So schleiche ich langsam auf die Treppe zu, als plötzlich im Obergeschoss eine Tür aufgeht.
In gekonnter Ninja Manier, hechte ich seitlich neben die Treppe, darauf bedacht keinerlei Laute zu machen und gleichzeitig zu lauschen, ob ich bereits entdeckt wurde. Mit ein paar schweren Tapsen über den Flur, bewegt sich jemand auf die gegenüberliegende Seite, zum Badezimmer. Die Tür öffnet und schließt sich, sodass das Treppenhaus wieder in vollkommener Dunkelheit und Stille liegt. Meine Güte, mein Herzschlag hat sich gerade verdoppelt.
Stufe für Stufe erklimme ich katzengleich die Treppe und überwinde die paar Schritte zu meiner Zimmertür. Jetzt kommt der heikelste Teil meines Vorhabens, meine Zimmertür. Sie hat sozusagen einen eigenen Charakter und ist mit besonderer Vorsicht zu behandeln, wenn man sie geräuschlos bewegen möchte.
Meine rechte Hand legt sich um den Griff, während mein linker Fuß, in der linken unteren Ecke gegen die Tür drückt und meine linke Hand, flach unterhalb des Türgriffs aufliegt.
Zentimeter für Zentimeter bewege ich die Tür mit vielen Stoßgebeten eine Handbreit auf. Schnell fahre ich mit der linken Hand auf die gegenüberliegende Seite, während ich weiterhin mit dem Fuß dagegenhalte und die Tür im Schneckentempo so weit öffne, dass ich hineinschlüpfen kann. Zum Schließen erfolgt dieselbe Prozedur, nur andersherum und endlich kann ich wieder atmen.
Auf Zehenspitzen bewege ich mich auf mein Bett zu und schlüpfe in meinen Schlafanzug. Gerne würde ich sofort schlafen, aber diese grauen Augen, die ich den ganzen Weg nach Hause verdrängt habe, spuken mir im Kopf herum.
Je länger ich darüber nachdenke, um so sicherer bin ich, dass ich sie mir nicht eingebildet habe. Wer bildet sich denn bitte zwei Augen ein?
Mit den Gedanken, an diese intensiv leuchtenden grauen Augen, falle ich in einen unruhigen Schlaf.
3.
Ich erwache mit leichten Kopfschmerzen, aber die sind nichts im Vergleich zu gestern Abend. Mit etwas frischer Luft sind sie leicht zu ertragen. Meinen Füßen geht es tatsächlich besser, als ich es nach meiner Nachtwanderung erwartet hätte.
Ein Blick auf mein Handy verrät mir, das es bereits 1 Uhr mittags ist und ich 8 Nachrichten, sowie ein 10 verpasste Anrufe habe. Na, da hat wohl jemand ein richtig schlechtes Gewissen. Absichtlich stelle ich auf stur und ignoriere mein Handy.
Es wird Zeit, dass ich mich umziehe und meinen Eltern gegenübertrete, die bei diesem Wetter sicherlich im Garten sitzen. Mom liegt bestimmt in der Hängematte und Dad sonnt sich neben ihr im Sessel, wie immer.
In einem einigermaßen respektablen Zustand stecke ich meinen Kopf durch die Tür und finde sie genauso vor, wie ich es erwartet habe.
>> Hallo ihr beiden. <<
>> Ahh, hallo Liebling. Wir haben schon überlegt, wann du wieder unter den Lebenden weilst. Und war es schön gestern? Was habt ihr denn gemacht? <
Schön? Eher nicht.
>> Ja, war ganz in Ordnung. <<
Ja ich lüge, aber ich will es einfach nur hinter mich bringen. Wenn ich Glück habe, unterzieht sie mich diesmal nicht ihrer mütterlichen Inquisition.
>> In Ordnung? Das ist genauso eine Aussage wie „schön“ oder „toll“, aber das sind wir ja gewöhnt.
Richtig Schatz?<< stichelt sie.
>> Ja, wie immer eben. Tamara hat übrigens vorhin angerufen und nach dir gefragt. <<
Dad zieht die Augenbrauen fragend in die Höhe.
>> Ach ja? Wann genau? << hake ich alarmiert nach. Unschuldig spiele ich mit dem Bündchen meines Shirts, vielleicht kann ich ihm so etwas länger ausweichen.
>> Vor ungefähr 15 Minuten, länger sollte es nicht her gewesen sein, oder? <<
Er beobachtet mich genau, während er das Gespräch wieder an meine Mom abgibt. Mir fällt ein Stein vom Herzen, als meine Mutter die Zeiteinschätzung meines Vaters bejaht.
>> Da war ich noch auf den Weg nach Hause. Ich rufe sie nachher an. <<
>> Ja tu das Schätzchen. Ich verstehe gar nicht, wie ihr nach der ganzen Zeit immer noch Gesprächsstoff haben könnt. << Sie schüttelt den Kopf und legt sich zurück, sodass ihr Kopf wieder in der Hängematte verschwindet.
>> Könntest du mir bitte etwas zu trinken mitbringen, wenn du dir etwas holst? Am liebsten Wasser aus dem Kühlschrank. <<
Habe ich gesagt, dass ich in die Küche gehe? Soweit ich mich erinnern kann nicht, aber ich will mal nicht so sein.
>> Natürlich. <<
Eine Wahl habe ich ja so wie so nicht, also entschwinde ich in die kühle Küche. Dad meint plötzlich mir helfen zu wollen. Mit spontanem Durst, folgt er mir auf dem Fuße. Er lehnt sich an die Theke während ich Gläser heraussuche und zum Kühlschrank gehe.
>> Du solltest eigentlich langsam wissen, dass du eine miserable Lügnerin bist und bei uns die Wahrheit sagen kannst. <<
>> Ich habe nicht gelogen. <<
>> Du hast aber auch nicht die Wahrheit gesagt, oder? Also, was verschweigst du uns? Und es wäre höflicher mich mal anzusehen. <<
Super, er lässt den ehrlichen und verständnisvollen Dad heraushängen.
>> Ja entschuldige. Ich habe mich ein wenig mit Tami gestritten und werde sie erstmal nicht zurückrufen. Außerdem bin ich gestern Nacht schon Nachhause gekommen und habe hier geschlafen. <<
Dad’s Reaktion ist, wie nicht anders zu erwarten, nicht die typische Reaktion eines Vaters, der erfährt, dass seine Tochter mitten in der Nacht nach Hause gekommen ist.
>> Du erzählst mir nichts Neues Schatz. Ich wusste, dass du hier warst. <<
Ach echt?
>> Ich schätze mal, du bist so gegen 4 hier aufgeschlagen? Das mit Tamara geht mich nichts an, aber wenn du mit jemanden darüber reden willst, sind deine Mom und ich für dich da. Ach übrigens, sollte ich noch einmal erfahren, dass du zu Gott schlafender Stunde allein nach Hause läufst, werde ich böse. Wir hätten dich abgeholt. << leichter Groll schwingt in seiner Stimme mit.
Ich starre ihn an und bringe das Einzige heraus, was mir in dem Moment durch den Kopf schießt.
>> Woher wusstest du das? Hat Tami… <<
>> Nein, Sie hat nichts gesagt. Sie hat nur gefragt, ob du schon Zuhause bist und ich habe mitgespielt. Ach, zur Info, wenn du schon meinst dich in dein eigenes Zuhause schleichen zu müssen, solltest du, wenn du durch irgendwelchen Acker marschierst, deine Spuren beseitigen. Ich habe die Abdrücke verfolgt und bin vor deiner Zimmertür gelandet. Du kannst von Glück reden, dass deine Mutter morgens zu nichts zu gebrauchen ist und ihr die Schlammklumpen nicht aufgefallen sind. <<
Verdammt und dabei habe ich die Schuhe extra ausgezogen.
>> Bevor du dir den Kopf zerbrichst. Ich habe deine Mutter nicht eingeweiht und werde ihr auch nichts verraten.<<
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