Singend lief er an den endlosen Weizenfeldern entlang, da plötzlich hörte er ein Kichern, er blieb stehen, horchte - nichts.
«Jetzt glaube ich, fange ich schon zu Spinnen an, die Sonne hat mir doch zu heiß auf den Kopf gebrannt.» Er nahm den schwarzen Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Er lief weiter – wieder ein Rascheln – Halme wackelten.
«Ist da Jemand?», rief er - lauschte – nichts rührte sich.
Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg etwas zügiger fort. «Sicher ist sicher, man weiß ja nie, nicht, dass da ein Wildschwein oder anderes Getier angerannt kommt.»
Er blieb abermals stehen, spitzte die Ohren und stimmte ein tragisch-scherzhaftes Burschenlied, das Frieder gestern in der Herberge auf der Laute gespielt hatte, an:
Als ich ein jung Geselle war,
nahm ich ein steinalt Weib;
ich hatt sie kaum drei Tage, Ti-Ta-Tage
da hat´s mich schon gereut.
Da ging ich auf den Kirchhof
und bat den lieben Tod:
Ach lieber Tod zu Basel, Bi-Ba-Basel
hol mir mein´ Alte fort!
Und als ich wieder nach Hause kam,
mein Alte war schon tot;
ich spannt die Ross an´n Wagen, Wi-Wa-Wagen
Und fuhr´ mein Alte fort.
Und als ich auf den Kirchhof kam,
das Grab war schon gemacht,
ihr Träger tragt fein sachte,si-sa-sachte
dass die Alte nicht erwacht.
Scharrt zu, scharrt zu, scharrt immer zu,
das alte böse Weib.
Sie hat ihr Lebtage,Ti-Ta-Tage
geplagt mein´ jungen Leib.
Und als ich wieder nach Hause kam,
all´ Winkel war´n mir zu weit;
Ich wartete kaum drei Tage,Ti-Ta-Tage
Und nahm ein junges Weib.
Das junge Weibel, dass ich nahm,
das schlug mich alle Tag:
Ach lieber Tod von Basel, Bi-Ba-Basel
hätt› ich meine alte Plag!
Dembiohammer 1902 – Franziska
Sie liebte den Geruch des reifenden Korns, das leise Rauschen, wenn der Wind darüber strich, Blütenstaub über den Feldern wie Nebelschwaden verwehte. Oft stand sie alleine zwischen den Weizenhalmen, genoss die Stille und den Duft.
Heute war es windstill und glutheiß, die Felder dufteten nach Mehl, wie beim Bäcker, wenn er frisches Brot aus dem Ofen holte.
Leider war sie nicht allein, zusammen mit ihren Basen, Luise und deren Schwester Maria, war sie auf dem Heimweg von der Sonntagsschule. Die Zwei plapperten in einer Tour.
«Ich muss mal.»
«Ich auch!»
«Wartet, ich komme mit!», damit sprang die sechzehn- jährige Franziska den beiden hinterher ins Kornfeld.
Sie rafften ihre Kleidung und hockten sich hin.
«So´n Mist!», schimpfte Luise, mit ihren zwölf Jahren die Jüngste, «Ich hab mir auf den Rock gepinkelt.»
Schadenfroh lachten die beiden anderen.
«Pst, da kommt wer!», flüstere Maria, die Größere der Drei, die beim Aufstehen über die Ähren schaute.
«Ein hübsch anzusehender Wanderbursche, der laut aber falsch singt!»
Franziska reckte den Kopf: «Der ist fesch, so ein schönes Lied, aber Singen ist nicht seine Stärke», wisperte sie amüsiert. Rasch richtete sie ihren Rock.
Alle drei kicherten – der Bursche blieb stehen, schaute herüber. Sie zogen ihre Köpfe ein und schlichen weiter durchs hohe Korn.
Ihr Kichern mischte sich mit dem Zirpen der Grillen, er rief in ihre Richtung: «Ist da wer?»
Mühsam unterdrückten sie ihr Lachen, trieben weiter ihren Schabernack mit ihm.
Brummend setzte er seinen Weg fort.
Am Feldrand schubsten Maria und Luise die voraus- gehende Franziska, sodass sie ausglitt und direkt zu Füßen des jungen Burschen auf ihren Hintern landete. Dabei rutschte der Rock so unanständig weit nach oben, dass sein Blick auf ihr blondes Haar zwischen den Beinen fiel.
«Hoppla, da schau her, was fällt da Hübsches vor meine Füße», verlegen lachte Johann und konnte seine Augen nicht abwenden.
Franziska ruderte mit ihren Händen, die sich im Rock verfangen hatten, um sich zu bedecken.
«Wartet Jungfer, ich helfe Euch!» Er löste sich aus seiner Starre und packte die Hände des Mädchens, zog sie mit einem Schwung hoch, sodass sie in seine Arme fiel.
Verlegen, mit einem hochroten Kopf stotterte Franziska gestelzt: «Grüß Gott! Danke holder Wandergeselle. Wohin des Weges?» Sir kehrte um und stob mit ihren Freundinnen davon.
Was Dümmeres ist mir nicht eingefallen, dachte sie. Fesch hat er in seiner Kluft ausgeschaut. Ein Handwerksbursche, das wäre es - etwas Besseres bekomme ich nicht.
Seit drei Jahren war sie schon bei ihrer Tante Martha Kramer, die sie zu sich geholt hatte, nachdem ihre Mutter Maria gestorben war. Andere Verwandte gab es nicht, auch keinen Vater, zumindest hatte Mutter den nie erwähnt. Niemand der sich um das Mädchen kümmerte. Manchmal, früh morgens wenn sie wach im Bett lag, phantasierte sie, dass ihr Vater ein reicher Mann, unter Umständen, ein Baron oder Graf sei.
«Wir hätten dich in ein Waisenheim stecken sollen, sei froh, das wir dich so großzügig aufgenommen haben. Nutze unsere Gutmütigkeit nicht aus!», zeterte die Meisterin, wenn sie sich über Franziska ärgerte. «Ich verlange absoluten Gehorsam von dir. Jetzt ab in die Küche!»
Sie war anfangs dagegen gewesen, als ihr Mann das Mädchen ins Haus gebracht hatte. Immer wieder schüttelte sie missmutig über den Störenfried den Kopf.
«Das ist das Kind deiner Schwester, die kannst du nicht einfach wegstecken», ereiferte sich Meister Kramer vor drei Jahren.
«Maria hielt sich für was Besseres, nur weil sie dort arbeitete. Hausdame , dass ich nicht lache, der Alte wird sie geschwängert haben, aber sie gab nicht preis, wer der Vater von dem Bankert ist. Soll doch der Graf von Schweinitz sie behalten.»
«Jetzt sei still, ich habe entschieden, das Mädchen wird dir im Haushalt helfen und mit unseren Kindern spielen.» Energisch unterband Eberhard damals die Widerrede seiner Frau.
So wuchsen die zwei eigenen Mädchen zusammen mit der ein paar Jahre älteren Base auf. Aber immer im Bewusstsein, wir sind die Meisterkinder, dies ist nur eine arme Verwandte. Die Kramers zeigten sich großzügig und schickten das Kind zur Schule.
Mit ihren Basen ging sie zwar zum Unterricht und manchmal spielten sie gemeinsam, wenn sich die beiden langweilten, aber sonst waren das arrogante Ziegen, die sie herum kommandierten und bei jeder Gelegenheit schikanierten. Sie waren neidisch, weil sie eindeutig die Hübschere war.
Die Meisterin bedachte Franziska als billiges Dienst- mädchen mit allerlei Pflichten, Aufgaben die zur Bewältigung des großen Haushaltes notwendig waren.
Einmal im Monat gehörte das Ölen der Fußbodendielen im ganzen Haus und das anschließende Abkehren mit Quarzsand zu ihren Pflichten. Eine anstrengende scheußliche Arbeit, die keiner gerne übernahm.
Vor einiger Zeit lauschte sie einem Gespräch zwischen dem Meister und seiner Frau, sie stand im Gang und wollte das Essen servieren.
«Wir verheiraten Franziska, so schnell wie möglich, dann sind wir sie los und haben keine unnötige Esserin mehr im Haus.»
«Nein Mann, das meine ich nicht! Soll sie doch eine alte Jungfer werden. Solange ich Franziska für Haushalt und Küche habe, spare ich mindestens eine Dienstmagd ein. Das Kind ist fleißig und hilft unseren Kindern bei den Hausaufgaben. Wenn ich dafür extra Jemanden einstelle, kostet das mehr, als das bisschen Essen.»
«Na, wenn du meinst, ich misch mich da nicht ein. Früher wolltest du sie doch unbedingt schnell loswerden, – Franziska! Wo bleibt mein Essen?», plärrte er verärgert und klapperte mit dem leeren Teller.
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