Thomas Spyra
Wildgänse
Eine abenteuerliche Reise durch ein Europa im 18. Jahrhundert.
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Inhaltsverzeichnis
Titel Thomas Spyra Wildgänse Eine abenteuerliche Reise durch ein Europa im 18. Jahrhundert. Dieses ebook wurde erstellt bei
Widmung Widmung Für Christl Ohne die hilfreiche Unterstützung und Aufmunterung meiner Frau wäre das Buch nie geschrieben worden. Waffen töten Menschen viele Male, nicht durch ihre Bosheit, sondern durch die Bosheit derer, die sie bösartig gebrauchen. Giovanni Boccaccio (1313 – 1375) Vor Gott sind alle Menschen gleich, ob einer arm ist oder reich. Über Allen steht das Himmelszelt, doch wie gerecht ist unsere Welt? Christl Spyra
1 Aufbruch 1736
2 Tommaso 1730
3 Freia 1733
4 Fattoria Ladro 1731
5 Lassan 1734
6 Leipzig 1736
7 Lars 1736
8 Musikanten 1736
9 Franziskus 730 - 1736
10 Siracusa 1735 - 1736
11 Kerbholz 1736
12 Gloria 1736
13 Entscheidung 1736 - 1737
14 Lena 1736
15 Quedlinburg 1737 – 1740
16 Ansbach 1741
17 Anna Maria 1740 - 1741
18 Bastardo 1741
19 Spreewald 1743
20 Magdalena Knörr 1741
21 Coburg 1743 - 1744
22 Windsheim 1744 - 1750
22 Familie 1762 - 1764
23 Epilog
24 Anhang
25 Die wichtigsten Personen
Impressum neobooks
Für Christl
Ohne die hilfreiche Unterstützung und Aufmunterung meiner Frau wäre das Buch nie geschrieben worden.
Waffen töten Menschen viele Male,
nicht durch ihre Bosheit,
sondern durch die Bosheit derer,
die sie bösartig gebrauchen.
Giovanni Boccaccio (1313 – 1375)
Vor Gott sind alle Menschen gleich,
ob einer arm ist oder reich.
Über Allen steht das Himmelszelt,
doch wie gerecht ist unsere Welt?
Christl Spyra
Blutend an den Händen und aus der Nase, mit brummendem Schädel lag Andreas Christoph Bartel im Gebüsch. Mucksmäuschenstill lag er da und wartete ängstlich darauf, wie es weiter gehen würde, hatte er doch gemeint, sein letztes Stündlein sei angebrochen. Immer noch wütete die Bande und er rührte sich nicht, aus Angst die Straßenräuber würden ihn doch noch entdecken.
Langsam kreisten seine Gedanken um die Ereignisse der letzten Tage.
Alles war schief gegangen, seit der Schneidermeister mit seiner Frau in Windsheim, einer kleinen fränkischen Stadt, eine gute Tagesreise westlich von Nürnberg gelegen, aufgebrochen war.
Aus dem einst großen, kräftigen und immer lustigen Burschen, den Anna Maria geheiratet hatte, war im Laufe der Jahre ein etwas beleibter, schon leicht grauhaariger Mann geworden. Aschfahl war seine Haut vom tagelangen Sitzen in der dunklen Werkstatt. Nur sonntags bei schönem Wetter kam er an die frische Luft und in die Sonne, wenn er mit seinen wenigen Freunden auf dem Kornmarkt am Brunnen beim Frühschoppen saß.
Er gehörte zu jenen Menschen, die ein ausgesprochenes Selbstbewusstsein an den Tag legten und die meinten, sie müssten die ganze Welt verbessern. Immer und überall setzte er sich für die kleinen Leute ein und stellte sich damit nicht nur einmal gegen die Obrigkeit. Dabei stand er sich oft selbst im Weg, stieß wegen mangelnder Bildung an seine Grenzen.
„Ein Schneidermeister sollte sich um seine Sachen kümmern und das Reden und Philosophieren den Studierten überlassen.“ Nicht nur einmal bekam er dies gesagt. Aber er schlug alle wohlgemeinten Ratschläge in den Wind.
Zweimal wurde ihm in Windsheim eine besondere Ehre zuteil. Man berief ihn zum Siebener; dies sind Feldgeschworene, die für die Ordnung der Grenzsteine zuständig sind. Etwas später wählte man ihn zum Ratsherrn in den Äußeren Rat.
Leider verhinderte sein Unvermögen, sich gewissen gesellschaftlichen Regeln zu unterwerfen, eine Wiederwahl.
Die größte Stütze in dieser nicht immer leichten Zeit war seine von ihm über alles geliebte Frau Anna Maria. Sie war über zwölf Jahre älter als er, aber das sah man ihr nicht an. Mit ihren fast 53 Jahren war sie immer noch ein Energiebündel und eine schöne Frau. Sie strahlte zwar die Reife einer älteren Frau aus, hatte sich jedoch die Geschmeidigkeit der Jugend erhalten. Freilich war die Zeit an ihr auch nicht spurlos vorübergegangen. Aber die Lachfalten unter den hellgrün leuchtenden Augen und das rotblonde, schon leicht grau werdende Haar, das unter der Haube hervorspitzte, hatten sie nur noch hübscher werden lassen. Manch einer fragte sich, was sie an dem jüngeren und blassen Schneidermeister fand.
„Sei du selbst! Lass dich nicht beugen und unterkriegen. Jeder Mensch ist ein Individuum!“ Mit diesen Thesen der Aufklärung ermunterte ihn seine Frau immer wieder, so weiter zu machen, wie er begonnen hatte.
Er grübelte viel über sich und die Welt nach. Viel Zeit für den Aufbau einer eigenen Werkstatt, für das Erlangen von Ansehen und Reichtum lag hinter ihm. Er hatte es mithilfe seiner Frau zu etwas gebracht. Aber dann vor knapp einem Jahr wurde er aus der Zunft ausgeschlossen und nun durfte er keine eigene Werkstatt mehr betreiben. Er war mit seinen aufrührerischen Reden bei den Stadtoberen unerwünscht. Wer Gleichheit und Brüderlichkeit für alle Menschen forderte, war ein Querulant und so einen wollte man nicht innerhalb der Stadtmauern haben.
So hatte er seinen beruflichen und gesellschaftlichen Auf- und Abstieg in der Freien Reichsstadt Windsheim erlebt. Zu guter Letzt blieben ihm nur noch Flickschneiderei und Gelegenheitsarbeiten, sodass er für sich und seine Frau keine Zukunft mehr in der Stadt gesehen hatte.
Am ersten Montag im März 1736 hatten sie sich gemeinsam in aller Herrgottsfrühe auf den Weg gemacht. Frierend saß er auf dem Kutschbock, zog die Decke fester um sich. Die ersten Morgennebel lichteten sich bereits im Aischtal. Rotglühend schimmerte die aufgehende Sonne durch die Bäume des dichten Waldes. Der Morgensonne entgegen hinauf in Richtung Frankenhöhe, einer Hügellandschaft zwischen dem Aisch- und Zenntal im Rangau, ging die Reise. Dichte Eichen- und Buchenwälder bestimmten die Landschaft, nur unterbrochen von kleinen Dörfern und Weilern, hauptsächlich Besitzungen, die sich die verschiedenen Familien der Reichsfreiherren von Seckendorff mit den Rittern des Deutschherrnordens teilten. Zwielichtiges Gesindel, umherziehende Soldaten und Räuber sollten in den dunklen Wäldern hausen. Nur gemeinsam trauten sich die Bauern, ihre Schweine und Kühe auf die wenigen Hutungen zu treiben.
“Hü, ho, los vorwärts, hü”, schrie Christoph und trieb die Pferde mit dem schwer beladenen Reisewagen den steilen, steinigen Weg hinauf vorbei an der Burg Hoheneck. Er hatte zwar die Zusage des Burgherrn auf einen unversehrten Durchzug durch die dichten Wälder des Hohenecker Schussbachforstes, aber trotzdem war er froh, als sie das etwas lichtere und sichere Zenntal erreichten.
Bis zum Abend wollten sie bei einem Freund, dem berühmten Kupferstecher Johann Adam Delsenbach in Nürnberg sein, der ihnen durch seine guten Verbindungen zu den Händlern eine Mitreisegelegenheit in einem Nürnberger Handelszug verschaffen wollte. Immer noch war es gefährlich, alleine oder in kleinen Gruppen zu reisen.
Sie näherten sich der Freien Reichsstadt Nürnberg, eine der größten und reichsten Städte im ganzen Land. Vor vielen Jahren hatte Christoph hier seine Lehr- und Wanderjahre beendet und die Fertigkeiten eines Meisters erlangt.
Sie fuhren aus dem Wald heraus und erschraken, als plötzlich vor ihnen Todesvögel aufflogen. Hunderte schwarzer Raben kreisten, verdunkelten den Himmel und ein markerschütterndes Krächzen und Kreischen lag in der Luft. Christoph brachte den Wagen abrupt zum Stehen und sprang vom Bock. Auf dem Acker hier vor der Stadt sahen sie viele aufgeworfene Erdhügel. Der Gestank des Todes brannte beißend in der Nase. Vermummte Gestalten mit Kapuzen und Tüchern vorm Gesicht zerrten von einem Karren Stofffetzen und Leichenreste auf einen brennenden Holzstoß. Andere waren dabei, Gruben auszuheben und Leichen hineinzuwerfen. Sie bestreuten die Toten mit Kalk und schaufelten die Gräber wieder zu.
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