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Sie wachte auf. Friedlich lag er da neben ihr wie ein Säugling atmete genüsslich im Schlaf. Über der hohen Stirn dünnes Haar auf der gewölbten Schädeldecke. Rosige Pausbacken, seine volle, rote Unterlippe. Als hätte er gerade an ihrer Brust getrunken. Allein seine scharf geschnittene, recht französische Nase ragte ihr entgegen. Eine große Nase, ganz so wie sein Geschlecht. Sie streichelte die Stelle auf der Seidendecke, wo es sich ausruhen musste. Die Konturen seines runden, ein wenig feisten Babybauches zeichneten sich ab. Daran seine Beine. Diese waren ein wenig zu kurz geraten. Deshalb hatte sie den heißen Körper nach dem Akt zugedeckt. Sie begann streifend, seinen markanten Unterarm zu liebkosen. Trocken schimmernde Sehnen und bläuliche Adern. Am zarten Fleisch der Armbeuge hinauf. Über den Muskelsträngen wölbte sich der Bizeps stramm. Er hat die schönsten Arme, dachte sie. Wie ein Bauer, oder Handwerker. Und starke, sanfte Finger, lang und geschmeidig, kraftvoll und genau. Künstlerhände. Gerade grunzte er wohlig mit gekräuselter Nasenspitze. War nicht alles an diesem Mann unpassend? Seine Körperteile, die nicht zueinander gehörten. Und seine Gedanken und Gefühle, um die war es ja ähnlich bestellt. Es war wohl dieser lebendige Gegensatz, den man seinem Werk ansah... Madame de Pompadour erhob sich vorsichtig von den Kissen und schlang das Seidenplaid um den nackten Leib. Geräuschlos schlich sie in den kleinen Baderaum, den sie sich in ihrem eigenen Reich hatte einbauen lassen und begann, den bereitstehenden medizinischen Aufguss in einer Kanne mit aufzulösen. Das Gemisch wurde in das kupferne im Bidet gegossen. Madame spreizte die Beine darüber und wusch sich sorgfältig das Geschlecht. Sie setzte ihr ganzes Vertrauen in diese Art von Hygiene, welche neuerdings von fremdländischen Badern und Ärzten empfohlen wurde. Während des Rituals besah sie sich ihren makellosen Körper. Dieser war gealtert, keine Frage, aber immer noch schön. Keine Anzeichen von irgendwelchen Krankheiten der inneren Organe. Ein wenig Bauchfalten nach dem dritten Abort. Der Fötus war erst im siebten Monat abgegangen. Eine Schande. Ein Junge. Alles wäre anders gekommen, hätte der König seinen neuen Sohn formell anerkannt ... Aber dafür hatte es nicht gereicht. Das Kind war gestorben. In ihr. Sie hatte auch am Schluss versagt. Die letzte Chance vertan. Aussehen, Wirkung und Begierde - alles nutzlos und nichtig. Wie gleichgültig ihr das nun war! Frei konnte sie jetzt über ihren Leib verfügen, diesen pflegen und zu sich kommen lassen. Hatte ihr der Akt mit Saly dazu verholfen, dass sie sich nun in Gänze außerhalb und frei fühlte?
Verliebt in diesen Gedanken, trocknete sie sich mit einem weichen Tuch. Dann legte sie sich ihr türkischen Kaftan an und beschloss, in der petit cuisine ein orientalisches Mahl zuzubereiten. Saly sollte mit dem Geruch von süßen Früchten, Honig, Koriander, Safran und Kümmel aufwachen. Ein süßer Tee würde ihm nach der Anstrengung wieder Beine machen. Fröhlich verschwand sie.
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Mitten in der Nacht war er aufgewacht. Fühlte sich berauscht in einer anderen Welt. Golden flackerte es im Lichtschein der vielen Kerzen. Leicht fühlte sich alles an in der Fremde. Aber nicht in Italien. Es war der Orient, von dem er nicht viel verstand. Gerüche, abgedunkelte Hitze und Klänge. Die Reise hatte er gar nicht mit bekommen. Ihm war eine Frucht gereicht worden, die man nur lutschen konnte, ein Brot, das mehr roch als schmeckte und etwas Süßes, das seinen Gaumen zum schmelzen gebracht hatte. Das, was ihm danach eingeflößt worden verbrannte ihn innerlich und ließ ihn erwachen. Langes, dunkles Haar floss über ihn und ihr Gewand. Ihre Augen fixierten die seinen, dabei fütterte sie ihn wie ein Kleinkind. Er schmatzte und sie lächelte verstohlen. Niemals mehr wollte er diese Kissen verlassen. Er griff nach der Hand, die ihm eine klebrige Dattel in den Mund schieben wollte. Drehte das Handgelenk in ihre Richtung und zwang es, ihre Lippen über die Frucht zu stülpen. Sie sog und leckte. Er nippte am Tee. Immerwieder diese Blicke. Verführerisch und aufreizend. Ergeben legte er den Kopf in ihren Schoß und genoss seine Wiedergeburt.
Im frühen Morgengrauen wachte Adoree mit dem ersten Vogelgezwitscher auf. Eng verschränkt in ihn spürte sie die Wärme seines Körpers. Das Heben und Senken seines Brustkorbes nahm sie in sich auf, ihre Wange an seiner pulsierenden Halsschlagader und das Starren über seine Schulter hinweg nach draußen. Ohne jeglichen Gedanken. Leicht und frei im Genuss des mühelosen Augenblicks. Bald würden sie aufbrechen in ein neues Leben.
Adoree und Poisson fanden Madame auf der warmen Morgenterrasse. Glückseligkeit strömte mit den sanften Sonnenstrahlen aus. Obwohl Poisson zum Aufbruch drängte, wollte Adoree unbedingt Saly noch Lebewohl sagen. Nur mit sanfter Gewalt ließ sie sich in die Kutsche verfrachten und davon überzeugen, dass man nun endlich aufbrechen musste, um nicht in die Mittagshitze zu geraten. Flugs schrieb sie ihm ein kleines Billet, das sie Madame zusteckte. Beider Frauen Wangenkuss war wissentlich. Der eine gereift, der andere erblüht und jeder erlöst. Selbst ein Mann wie Poisson konnte das erkennen.
Der Wagen hielt vor dem Portal und das Paar stieg ein. Madame winkte mit dem Briefchen und rief ihnen nach:
„Ich erwarte euch zum Fest!“
Wie lange dauerte der Abschied auf Zeit?
Etwas betrübt ging sie zurück zum Schlafgemach, um Saly das Briefchen zu überreichen. Sie fand das türkische Zimmer leer. Weder im Baderaum noch in den anderen Räumen des Appartements konnte sie ihn entdecken. Madame läutete nach dem Personal. Niemand hatte ihn gesehen. Das Schloss begab sich auf die Suche, aber der Bildhauer war wie vom Erdboden verschluckt.
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Saly, für immer erwacht, hatte den Traum fortgewischt wie ein mit den Fingern gemaltes Herz auf der angehauchten Fensterscheibe.
Notdürftig hatte er sich bekleidet und war durch den Korridor zu einem der Nebenausgänge geflüchtet. Dort hatten abfahrbereite Wagen gestanden. Er hörte die Stimmen seiner Liebsten, Madame rief: 'Ich erwarte euch zum Fest!'
Nein, er konnte sie nicht wieder sehen. Niemals hätte es dazu kommen dürfen, dass der Eros gesiegt und die ungezügelte Leidenschaft die Führung übernommen hatte.
Nie war er ihr so nah gewesen, auch nicht in seinen Visionen. Und niemals hatte er sich ihr so fern gefühlt. Ihre unbesagte Liebe im Geiste war geschändet worden. Nie wieder würde es sein wie vorher. Nie mehr. Entfremdung begann das Dazwischen zu füllen. Und das wollte er nicht fühlen müssen.
Hinter den Hecken schlich er wie ein Dieb davon. Stahl sich fort vom Wahnschloss.
Bald schon war er außer Atem und sah sich um. Nur nicht in den Wald hinein, dort könnte man sich verirren oder den Räubern in die Hände fallen. Ärgerlich stutzte er. War es doch letztendlich gleich, wenn man ihn nach Tagen der Suche unbekleidet, mit aufgeschlitzter Kehle unter irgendeinem Busch finden würde.
Er stolperte bis zum Waldrand und drängte sich durch dichte Brombeerbüsche. Die Widerhaken rissen den feinen Stoff in Stoff in Fetzen, zerkratzten seine weiße Haut und drangen ihm ins Fleisch. Die Ranken griffen nach ihm, krallten sich an seinen Gliedern fest und hielten ihn zurück. Laut schrie er auf. Nicht aus Schmerz, den er heimlich genoss.
Er schrie, weil er sich wirr verheddert hatte, gefangen war in im Gestrüpp, unbeweglich und ausgeliefert. Verheddert war er in all den Machenschaften, Unterlassenschaften, Wahlschaften. In ein Leben, zu dem er sich nicht gehörig fühlte. Von dem sie ein Teil war, und er es nie sein wollte. Sie, seine Liebschaft, hatte begonnen, ihn zu besitzen. Ihre Macht an ihm hochgezüngelt, seinen schwachen Körper umwunden, ihm den Atem und zuvor die eigenen Gedanken genommen. Feige hatte er sich nicht gewehrt, sondern sich ihrem Schicksal überlassen. Wo ging es in die Freiheit zurück? Ungebunden war er in seiner Welt umherstolziert, hatte vor und zurück studiert, Runde um Runde bei den Werken der wahren Kunst gedreht, ohne dass ihn jemand aufhalten konnte. Weder in angekletteten Gedanken noch mit Fleisch und Blut. Was hatte sie aus ihm gemacht? Einen Sklaven ihres Kalküls.
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