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Seit Tagen hatte er nichts mehr von Madame Pompadour und Adoree gehört. Unruhig hatte er Mühe sich zu konzentrieren, machte er sich doch außerordentliche Sorgen um die Gesundheit der Angebeteten. Da er nicht glauben wollte, Madame bereue ihre letzten Worte an ihn und habe sich deswegen gegen eine erneute Zusammenkunft entschieden, redete er sich insgeheim ein, sie sei allein aufgrund ihres Gesundheitszustandes unabkömmlich. Dann wäre er gewiss nicht der eigentliche Grund, weswegen er keine Abkehr zu befürchten habe. Sie würde ihm erhalten bleiben, seine Liebe, an deren Bette er gerne säße um ihre Seele zu heilen.
Schon schämte sich Saly wegen seines anmaßenden Egoismusses. So durfte er nicht denken.
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Als er die Ungewissheit nicht mehr aushalten konnte, schickte der Bildhauer seinen Gehilfen, um Erkundigungen einzuholen. Jean kam mit einem Brief zurück.
Darin lud Madame den Meister in ihr neues Schloss Bellevue ein. Auch Adoree würde sie begleiten. Man sei bereits mit den Reisevorkehrungen befasst. Daher wäre es zumutbar, bis zur freudigen Zusammenkunft auf dem neuen Schloss auszuharren. Der Umzug sei entschieden worden, weil sie Versailles derzeit nicht ertragen könne. Sei es nicht geradezu offensichtlich, dass Saly ebenfalls eine starke Abneigung gegen diesen Ort hege? Demnach sei die unvergiftete, reine und freie Atmosphäre in Bellevue beider Wohlbefinden zuträglich. Sie werde dem Bildhauer ein großzügiges Atelier einrichten lassen, in dem er ungestört am Gipsmodell arbeiten könne. Weitere Sitzungen und Gespräche könnten also in gelöster Atmosphäre stattfinden. Man erwarte ihn in zwei Tagen.
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Unter Herzklopfen befahl Saly dem Jungen, unverzüglich alles zusammen zu packen. Man werde Versailles verlassen. Jean wagte nicht, nach den näheren Umständen zu fragen, die sicherlich aus dem Brief hervorgingen. Dass es sich bei dem Gefühlsausbruch seines Meisters um Freude handelte, war jedoch unübersehbar. Saly lief aufgelöst im Atelier herum und begann fahrig seine Werkzeuge zu reinigen. Der Gipsblock musste die Reise unbeschadet überstehen. Wie lang würde die Fahrt dauern? Wo befand sich dieses Schloss? Er hielt inne. Weder war sie krank, noch bereute sie ihren Dank. Statt dessen nahm sie ihn zu sich! Was konnte das bedeuten? Dringend musste er Adoree sprechen. Nur sie würde ihm weiterhelfen können.
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Die Marquise de Pompadour befand sich bereits auf dem Weg nach Meudon. Sie fuhr in Begleitung einiger Soldaten, zu ihrem Gefolge gehörten nur zwei Lakaien, die Tante und keine Hofdamen. Der Weg war nicht weit, aber gefährlich, denn es ging in Richtung Paris. Bellevue als Glied zwischen Versailles und Paris. Es sollte die kulturelle Mitte zwischen dem Zentrum der Macht und der Hauptstadt werden. An diesem besonderen Ort wollte sie den Parisern die Welt der Kunst eröffnen und die Mächtigen an das Volk erinnern. Bellevue sollte das geistige Zentrum einer neuen Zeit werden. So die Pläne zu Beginn.
Das Schloss war unlängst fertig geworden. Eigentlich hätte sie das freuen sollen, aber nun fühlte sie sich unendlich müde, fehlte ihr doch momentan jegliche Energie für das allzu große Projekt. Da nicht auffallen sollte, wie ihr zu Mute war, musste sie standhalten. Hatten nicht hinlängliche Erfahrungen gezeigt, dass man durch das Bezwingen seiner selbst Kraft schöpfen kann? Schon allein der Gedanke an eine Phase neuen Enthusiasmusses behagte, der natürlicherweise entstehen würde, wenn sie sich mit wegweisenden, aufregenden Dingen beschäftigte. Sie beabsichtigte, Rousseau einzuladen, neue Pläne mit Voltaire zu schmieden und Monsieur Saly in die Gesellschaft der Dichter und Denker einzuführen. Dergestalt gedachte sie sich weiter am Projekt zu verwirklichen.
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Salys wenige persönliche Dinge waren bereits am Abend in den Kisten und Koffern verstaut. Der Bildhauer und sein Gehilfe kümmerten sich gerade um das Verpacken des Gipsblockes, als eine Botschaft von Adoree eintraf. Darin wurde mitgeteilt, dass Madame bereits nach Meudon unterwegs sei und Adoree am nächsten Tag zusammen mit ihnen folgen sollte. Die Wagen würden am Morgen vor dem Ausgang des Corps bereit stehen, für das Beladen stünden Leute bereit und außerdem habe man Begleitung. Weiter nichts. Eine seltsame Flucht.
Saly schlief unruhig. Spontane Wechsel passten nicht in sein Gemüt. Lieber mochte er alles reibungslos und gleichförmig. Er hasste Überraschungen. Und das hier war eine deftige. Durfte er so anmaßend sein und es wagen anzunehmen, dass sie diese Flucht geplant hatte, um mit ihm und beider Kunst allein zu sein? Das Herz raste vor Wonne, selige Hoffnung machte sich in ihm breit. Wie sollte er seinen Verstand dagegen antreten lassen? Die Gefühlswallungen überwältigten ihn einfach. So etwas war ihm noch nie passiert, ihm, der sich noch immer selbst hatte räsonieren können. Er ein Liebender? Sein Herzblut gehörte doch der Kunst. Wie es mit seiner Fleischeslust stand? Die wenigen bisherigen Liebschaften waren eher Zwang oder Alibi gewesen. In jungen Jahren hatte ihn die Neugier auf den Beischlaf zum weiblichen Geschlecht geführt und er war irgendwann bei einer Dirne aufgewacht.
Später hatte er mitbekommen, dass man sich in Künstlerkreisen oft der Modelle, die für einen saßen, bediente. Diese Damen waren keine professionellen Dirnen von der Straße, sondern Mädchen, die sich zum Metier der Künstler hingezogen fühlten. Da durch die Sitzungen bereits eine gewisse Vertrautheit zwischen Künstler und Modell bestand, ergab sich der Akt dann meist von selbst. Mit dieser Frau blieb man darüber hinaus zusammen, man lebte und arbeitete eine zeitlang mit ihr. Eine derartige Liäson war er das erste Mal als Student eingegangen. Jung und einsam war er damals im großen Paris gewesen. Instinktiv hatte er sich jemanden zum Anlehnen gesucht, jemanden, bei dem er sich geborgen und sicher fühlen konnte. Ein barockes Modell hatte er sich ausgesucht. Üppig und pausbackig. Ihr weiches Fleisch hatte ihn eingeladen, sich an sie zu pressen. Große Brüste als mollige Kissen, auf denen hatte sein Kopf gelegen. Schmiegsames, harmonisches Schwelgen. In selbstverständlich dargebotener Fülle. Samtig hineingeglitten, inwendig unendlich. Reiben und gleiten, gedankenlos gen Himmel schweben.
Die Spalte zwischen ihrem Busen. Über sie gebeugt. Weißes Fleisch, ihre Konturen. Streng umrissen und dennoch zart. Ein Kuss auf die feste Warze, hinab zum Nabel, zum nächsten Hügel... Madame, ich komme.
Mitten in der Nacht wachte Saly auf, seine Bettstatt war zerwühlt und nass. Ihn fieberte kalt. Er konnte sich an nichts erinnern was gewesen war aber sein Herz erschrak, als er an das Kommende dachte. Jetzt hatte sich die Zukunft mit Gefühlen gefärbt, deren Anstrich ihn nie wieder verlassen würde. Abdrücke am Körper und im Geist. Küsse der Liebe oder Spuren der Tritte. Bei Tage quälten ihn von nun an Zweifel. In jeder Nacht die Gewissheit der Liebe.
Sie bleibt die Mätresse des Königs und eine mächtige Frau.
Entgegen der Gewohnheit stand Saly, kaum, dass es hell geworden war, als erster auf. Er weckte Jean, wies ihn an, die letzten Reisevorbereitungen zu treffen und nahm sich ein Glas Wasser. Sein Mund war trocken und der Kopf fühlte sich inwendig taub an. Die Gedanken kreisten. Jetzt, jetzt genau musste er abbrechen und entkommen. Bevor es zu spät war. Die Büste schnell und einfach irgendwo fertig stellen und dann verschwinden. Dein Ruf als Künstler ist gleichgültig, nur das Seelenheil zählt. Sagte der Verstand. Innerlich aber brannte sein Herz. Angefeuert durch die unendliche Erwartung, als Vorstellung von ihr. Weit entfernt von sich agierte er in ihrem Bann. Alles unter ihren Blicken, alles tat er wie für sie. Am Ende dieses Tages würde er sie wieder sehen.
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