Adoree war noch nie im Louvre gewesen, da für die Öffentlichkeit die Ausstellungsräume nicht zugänglich waren. Und auch Saly selber fühlte sich orientierungslos, denn zu seiner Studienzeit waren die Ateliers in anderen Teilen des riesigen Gebäudekomlexes untergebracht. Zwischenzeitlich musste hier viel umgebaut worden sein. Die Gemäldegalerie bildete jetzt eine Art Zentrum. Um den grünen Cäsar zu finden, musste man sich durchfragen. Saly fühlte sich sehr unbedeutend und ohnmächtig. Obwohl er der Entdecker der einzigartigen Büste gewesen war und sie nach Paris vermittelt konnte, hatte man es nicht für nötig befunden, ihn darüber zu unterrichten, wo sich der Schatz zur Zeit befand. Saly entschloss sich, direkt das Büro des Akademieleiters aufzusuchen. Dort würde man ihnen den Brief abnehmen und könnte weiter helfen. Auf der Treppe zum Hauptflügel begegnete ihnen ein älterer Herr. Saly wollte, ihn nach dem Kontor fragen. Bevor er den Mund öffnen konnte, traf ihn ein leichter Rempler von Adorees Ellenbogen. Er sah aus dem Augenwinkel, wie sie ihm auffällige Blick zuwarf. Trotzdem musste Saly jetzt reagieren und den Mann, der bereits stehen geblieben war, ansprechen:
„Pardon, Monsieur. Kann er uns den Weg zum Kontor des Maitre Coypel weisen?“
Der Herr ging nur knapp und nebenbei auf die Frage ein:
„Selbstverständlich.“
Adoree hatte ihn offensichtlich abgelenkt, fasziniert konnte er seinen Blick nicht mehr von ihr lassen:
„Ich kenne euch, mein schönes Kind. So ein formvollendetes Antlitz ist nicht leicht zu vergessen. Helfen sie mir: Ein Modell meiner früheren Arbeiten?“
Adoree stockte der Atem, er hatte sie erkannt. Ob der Bekanntschaft schien Saly irritiert. Adoree übernahm das Wort:
„Ja, Monsieur Boucher, man kennt sich. Ich durfte ihnen letztlich beim Ausstaffieren des Salons der Madame behilflich sein. Ihr fragtet mich, wo meiner Ansicht nach die neuen Teppiche am besten zur Geltung kämen.“
Saly hatte bei der Erwähnung des Namens gezuckt. Gute Adoree! Sie hatte ihn vor seiner Dummheit gerettet. Boucher wandte sich nun direkt an Saly und bezog ihn in das Gespräch mit ein:„Sie müssen wissen, wir wählten schließlich das Schlafgemach, so dass Madame während ihrer Ruhezeiten die Motive betrachten kann.“
Saly wollte etwas entgegnen, aber Adoree übernahm das Wort:
„Monsieur Bildhauer Saly begleitet mich im Auftrage der Marquise.“
Beide Herren gaben sich die Hand.
„Sie wollen also Coypel aufsuchen?“
Man kam ins Gespräch über den grünen Cäsar und Boucher zeigte sich ebenso begeistert wie Saly selber. Er kam auf dessen Arbeit zu sprechen:
„Der König war ja ganz vernarrt in den Kopf ihres kleinen Mädchens. Madame Pompadour hatte wieder mal das richtige Näschen. Nicht nur eure Kunstfertigkeit imponierte, sondern auch euer Stil. Wirklich eine ästhetische Erhebung! Die Schlichtheit macht das Objekt zum Individuum! In Anklängen findet man dieses auch beim Cäsar. Ein guter Schachzug, die Klassiker aus Italien wieder zu beleben. Ihr habt intensivst dort studiert? Soweit ich weiß, seid ihr Mitglied der wichtigsten Akademien Italiens und Träger des Prix de Rome?“
Saly fand Gefallen an diesem Gespräch und fühlte sich das erste Mal gewürdigt. Das Interesse dieses wichtigen Herren tat ihm gut. Frei begann er von seinem Romaufenthalt zu erzählen. Nach einigen Sätzen wurde Boucher nachdenklich und unterbrach ihn:
„Wissen, sie, lieber Saly, dass man mir damals den Prix de Rome versagt hatte und mir dadurch Rom verleidete? Was nutzte mir der Preis ohne Geld? Damals war ich noch jung und hatte mich verstrickt in allerlei Beziehungen mit, wie ich meinte, wichtigen Leuten. Bald ging es um Ruhm, dann um Gelddinge. Das entsprach eigentlich gar nicht meiner Natur, wollte ich doch nur meiner Kunst nachgehen. Ich musste damals in meinem Unglück sehen, wie ich in Italien den Lebensunterhalt bestritt und bildete mich zum Dekorateur. Ich muss zugeben, ich hätte mich lieber auf euren Weg begeben, ihr hattet genügend Zeit und Muße euch zum Bildhauer zu bilden.“
Saly dachte, er habe zu selbstgefällig geklungen. Wenn man es wollte, konnte man ihm seine Euphorie leicht als Angeberei auslegen. Weshalb hätte Boucher ihn sonst unterbrechen und auf sich verweisen sollen? Adoree erfasste die Lage sofort:
„Sie müssen damals sehr gelitten haben. Und man hat das ausgenutzt.“
„Andere hatten schon immer weniger Skrupel und weitaus größeren Ehrgeiz als ich.“
Adoree beteuerte, dass die Madame de Pomapdour ihn, Monsieur Boucher, wegen seiner Rechtschaffenheit schätze und unterstütze. Schließlich würden sich diese Eigenschaften in seinen Werken widerspiegeln und eine angenehme Atmosphäre schaffen. Zum Schluss stellte sie fest:
„Die pompösen Künstlichkeiten eines Van Loo blenden wohl den König blenden, aber keinesfalls unsere Madame.“
Boucher richtete sich auf:
„Ihr habt recht, Mademoiselle Adoree. Und ihr, Monsieur Saly, seid wohl auserkoren. 9
Eigentlich hatte sich der König ein Prunkgemälde von Van Loo gewünscht. Aber Madame konnte sich ihrer Majestät erwehren und ihn durch den unschuldigen Anblick eurer Mädchenbüste auf eine neue Idee bringen. Ihr seht, ein wichtiger Auftrag!“
Man war sich einig, dass Bronze in jedem Fall abzulehnen sei und Saly begann, vom seinem Stein zu reden. Boucher ließ sich anstecken und bot an, ihn in die Schatzkammer der Akademie zu führen. Zuvor wollten Adoree und Saly jedoch ihren Besuch beim grünen Cäsar machen. Man verabredete sich für später in Bouchers Wohnung. Nach dessen Weisung war das Büro des Monsieur Coypel leicht zu finden. Saly trug dem Schreiberling im Kontor das Anliegen vor. Nachdem Adoree den Brief übergeben hatte, durfte man auf den hohen Herren warten. Dieser empfing sie alsbald: „Mademoiselle“, er verbeugte sich, „ Monsieur Saly! Es freut mich, euch kennen zu lernen. Schon Einiges über seine Forschungen und Arbeiten traf einige Zeit vor ihm hier bei uns in Paris ein! Darf man ihn zum Fund unseres einzigartigen grünen Cäsars beglückwünschen? Ein Kulturgut unschätzbaren Wertes! Man ist stolz auf euch, Monsieur! Sogar unserem König wurde das Artefakt schon vorgeführt. Er zeigte sich derart begeistert, dass er unserer Einrichtung eine erhebliche Summe zugedachte!“
Adoree sah ihren väterlichen Freund von der Seite an. Ich Blick sagte: Los, unterbrich ihn! Saly trat von einem Bein auf das andere und wirkte verunsichert. Er bedankte sich brav für die Ehre und formulierte, weil er nur ungefähr wusste, was in dem Brief gestanden hatte, noch einmal sein Anliegen:
„Sie erlauben, Monsieur Coypel, dass meine Begleiterin, die von der Marquise de Pompadour persönlich beauftragt wurde, und ich Gelegenheit erhalten, den Cäsar zu besichtigen? Die Madame wünscht eine exakte Beschreibung aus erster Hand. Man wird ihr das Kunstwerk dann später mittels einer Zeichnung zu erläutern wissen.“
Wieder einmal zeigte der Einfluss der Madame eindrückliche Wirkung. Die promte Servilität dieses Monsieurs schien Adoree ein wenig zu jovial. Der Wichtigkeit halber wurden sie nun vom Anstaltsleiter daselbst durch die Räumlichkeiten geführt. Die Gemäldegalerie passierte man abseits und folgte zur Abteilung der Skulpturen. Mehrere Säle öffneten sich vor den Besuchern. Der Anblick war überwältigend. Selbst für Saly, der ja die wichtigsten Kunstsammlungen in Italien kannte und die der französischen Könige bereits in jungen Jahren studiert hatte, tat sich eine neue Welt auf. Es war ihm nicht bewusst gewesen, wie viele seltene und außergewöhnliche Werke für die französischen Herrscher zusammengetragen worden waren. Das Ganze musste, abgesehen vom Aufwand, eine Unmenge gekostet haben. Wie betäubt wandelte der Bildhauer durch die Skultpturengärten der kulturellen Vorzeiten. Ab und zu blieb er vor einem Monument stehen und schüttelte ungläubig sein Haupt. Am liebsten hätte er Adoree gleich sein ganzes Wissen über die Schätze kund getan, aber der Bewacher im Hintergrund behinderte seine Euphorie. Es kam ihm vor, als würden sie zielstrebig und eilig durch die Ausstellung geschleust. Vor einigen Stücken konnte Saly nicht anders, als Halt zu machen und bewundernd deren Namen, Fundort und ungefähres Alter zu flüstern. Er wollte nicht besserwisserisch erscheinen, obwohl er sich kaum zügeln konnte. Dann und wann wies Coypel auf ein gutes Stück und sprach herausfordernd von dessen Provenienz. Aber Saly ging auf keinen Wettstreit ein, denn zu kostbar galten ihm seine Gedanken zu den Objekten. Als man eine kleine Bronzefigur querte, war es jedoch um die Contenance des Künstlers geschehen: „Der Dornauszieher! Welch wunderschönes Abbild! Wo ist dieses Stück verzeichnet? Wann hat man es gefunden? Es muss sich um ein Original aus hellenistischer Zeit handeln! Welch Seltenheit!“ Saly umsteuerte die kleine Figur mit gerecktem Hals und nahem Blick. Coypel wirkte zufrieden. Er ließ Saly staunen und sprach stattdessen zu Adoree von den Fakten. Saly murmelte vor sich hin: „Welch kindliche Anmut in dieser feinen Geste! Siehst du, wie er das linke Bein winkelt? Wie eine Wildkatze, die ihre Pfoten säubert. Der Dorn wird gezogen, der Sünde vergeben - Erbarmen wohnt dem Werke inne! Das selbe Thema in Rom beim Kapitol! Aber dieser hier: Viel feiner gearbeitet, anmutiger und ehrlicher. Nur ein junger Körper wird diese gymnastische Verrenkung durchführen können. Sieht man nicht sogar das Modell des Jünglings in Fleisch und Blut vor sich sitzen? Kann ein Mensch aber diese Gebärde halten? Wohl kaum in der Wirklichkeit...“
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