1 ...8 9 10 12 13 14 ...51 Der Zeitpunkt nahte. Jean hatte man in den Hauptflur geschickt. Dort sollte er unbemerkt auf der Lauer liegen und schnellstmöglich das Eintreffen der Pompadour melden. Im Atelier saß Adoree bereits voll ausstaffiert auf dem Podest und Saly wanderte unruhig auf und ab.
Sie harrten gespannt der Dinge. Nichts war extra hergerichtet worden, da man davon ausging, dass die Dienerschaft der Madame für das leibliche Wohl sorgen und sonstige Wünsche erfüllen werde. Um den Bildhauer innerlich zu stärken, hatte Adoree hatte ihm angeraten, sich ganz auf die Ernsthaftigkeit seines Talents zu verlassen. Das würde der in Kunstdingen versierten Marquise am meisten imponieren.
Endlich hörte man draußen eilige Schritte. Der atemlose Jean erschien in der Tür. Sodann begann Saly letzte Hand am Modell anzulegen und sich für den Empfang zu sammeln. Jean teilte seinem Herrn mit, er habe nicht sehen können, wie viele Leute kämen.
Nur einen kurzen Augeblick später wurde geklopft und die Tür geöffnet. Ein Lakai trat ein und meldete die Ankunft der Marquise de Pompadour.
Ihr Auftritt war unspektakulär. Ihr folgte nur eine Begleiterin, eine ältere Dame, die, wie Adoree nachher feststellte, eine Tante sei. Damit hatte keiner gerechnet. Bevor man sie gebührend begrüßen konnte, steuerte die Madame geradlinig auf das Atelier zu. Eingehend betrachtete sie das Mädchen auf dem Podest. Ihr Gesicht wirkte unbewegt. Alsdann wandte sie sich an Saly und blickte ihm direkt in die Augen. Bevor sie ihm die Frage stellte, wies ihr Kinn provokativ auf das Modell:
„Ist das die Positur? Ein niedlicher Einfall für ein hübsches, junges Ding.“
In Saly stieg Röte auf. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken. Sie schien ihn völlig zu missverstehen. Weder war ein Vergleich mit Adoree beabsichtigt noch sollte irgendetwas angedeutet werden. Sein Konzept ging nicht auf. Was sollte er entgegnen? Madame näherte sich dem Mädchen, fasste vorsichtig deren Kinn und drehte das Gesicht behutsam zu sich. Beide Frauen sahen sich an. Der Blick der Pompadour veränderte sich. Er wurde weich:
„Mein Kind, steh auf. Wir müssen das gemeinsam schaffen. Man wird sie nicht durch eine manieristische Pose blenden können. Wir müssen etwas mir Angemessenes finden. Schau mich an, wie würdest du mich beschreiben?“
Adoree blieb nur die kurze Zeit während des Abstiegs vom Podest, um sich eine Antwort auszumalen. Am besten wäre es, wenn sie frei heraus spräche. Sie persönlich hatte nichts zu verlieren, deshalb blieb sie gefasst. Man merkte ihr an, wie ernst sie die Order nahm.
„Madame sind außergewöhnlich schön. Ihr wisst darum und tragt eure Erhabenheit als Maske. Das macht euer Gesicht unbeweglich und lässt es jünger erscheinen. Die Augen sind wachsam und lebendig, bereit entflammt zu werden. Während dem wirkt ihr weise. Die Haltung ist gerade und bemüht, als trüget ihr oft schwere Lasten. Den Körper bedeckt ein Mantel aus Souveränität. Madame verteilen ihre bestechenden weiblichen Reize wann und wie sie wollen. Und Madames Seele? - Eine Aura aus Licht.“
Adoree endete abrupt und hielt sich die Hand vor den Mund, weil sie sich ihrer anmaßenden Rede gewahr geworden war. Bevor die Pompadour reagieren konnte, mischte Saly sich ein:
„Madame müssen verzeihen, ein junges Mädchen bei außergewöhnlichem Verstand und mit besonderem Sinn für die Kunst hat sich vor euch vergessen.“
Wie schnell ihm die Entschuldigung für Adoree über die Lippen gekommen war, wurde ihm kaum bewusst. Die Pompadour blickte ihn an:
„Nein, Monsieur Bildhauer, nein, ganz und gar nicht hat sie sich vergessen. So aufrichtig, wie sie alle Mal sein konnte, entsprang ihrer Impression die Wahrheit. Noch nie hat mir jemand so untadelig den Spiegel vorgehalten! Beherzigt ihre lautere Illustration, Monsieur Saly, und legt sie in unser Werk hinein!“
Sie küsste Adoree freundschaftlich auf die Wangen:
„SIE soll mich in Positur setzen!“
Saly verneigte sich und gab den Wunsch an Adoree weiter. Diese führte Madame zum Podest und half ihr hinauf. Währenddessen flüsterte die Dame dem Mädchen etwas zu:
„Ich hoffe, dein Monsieur Bildhauer hat uns verstanden. Sonst taugt er nichts!“
Adoree musste nicht antworten, denn die Mätresse des Königs hatte schon Platz genommen. Kerzengerade und mit starrem Blick. Adoree musste lachen. Das Mädchen begann behutsam mit dem Formen des versteiften Körpers.
Zur Untätigkeit verdammt, konnte Saly nach kurzer Zeit nicht anders, als sich einzumischen:
„Den Oberkörper aus der Hüfte noch ein wenig nach links. So, ja. Wenn der Kopf entgegengesetzt nach rechts gedreht würde. Nun ein wenig im Nacken abkippen. Nein, halte ihr Kinn oben, sie soll es ein wenig vorrecken, nur ein wenig, nicht zu viel – es könnte leicht herrisch wirken. Am besten, sie blickt nach oben, dann streckt sich der Nacken ein wenig und ihre Brust wird auf natürliche Weise angehoben. Ich muss ihre Schlüsselbeine sehen können, kann sie kein geeigneteres Gewand tragen?“
Saly redete sich in Rage und Adoree formte und gestaltete die Figur. Madame Pompadour wurde zur Puppe aus Lehm, weich durch Fühlung aber ein wenig schwer. Ohne sich zu bewegen schlug das Modell vor:
„Lass uns die Kleider tauschen, Kind. Vielleicht könnte Monsieur Saly eine schnelle Skizze von dieser Positur anfertigen, damit wir diese danach wieder genauso einnehmen können?“
Der Bildhauer hatte sich bereits auf Papier und Kohle gestürzt und mit dem Zeichnen begonnen. Die Pompadour registrierte jenes wohlwollend. Dieser Saly dachte mit und stellte sich immer mehr als Fachmann heraus. Die Sache begann ihr Spaß zu machen.
Bei ihrer Ankunft trug die Pompadour eine schlichte, dunkelblaue Robe. Darunter verbarg sich ein schweres, taubengraues Taftensemble, mit wenig ausladendem Reifrock und vergleichsweise geschlossenem Kleid. Sie trug keine Perücke und die Frisur war unaufdringlich gesteckt. Offensichtlich hatte Madame sich vorher Gedanken über ihr Erscheinungsbild gemacht. Entgegen der Ausstaffierung beim Sitzen vor den Malern hatte sie für den Bildhauer etwas gewählt, was ihre Persönlichkeit unterstrich, ohne diese manieristisch zu verändern oder in einen anderen Zusammenhang zu rücken. Sie hatte auf historischen Pomp oder modernen Schick verzichtet.
Adoree beorderte Saly und Jean aus dem Atelier und ließ die Türen schließen. Dann winkte sie die Tante und Lisette herbei, welche beim Umkleiden behilflich sein sollten. Lisette half Madame vom Podest herunter. Die vier Frauen verschwanden flux hinter dem Paravant. Das unverkennbare Kleiderrascheln wurde von lautem Kichern begleitet. Adoree kommentierte zwischendurch:„Madame sehen noch jünger aus, wenn sie lacht! Und das Italienische Kleid, welch ein Zierde!“ „ Oh, ja, weiß steht dir ausgezeichnet! Warten sie, Adoree, ich helfen ihnen mit dem Reifrock!“
„Ich fühle mich so befreit, in diesem Gewand. Ein so luftiger Stoff!“
„Na, das ihre macht zwar eine gerade Figur, aber engt doch sehr ein. Kaum bekomme ich Luft. Lassen sie bitte zwei der hinteren Knöpfe lose!“
„Ist die Frisur so richtig? Wie ringelt man diese Löckchen an der Seite?“
Die Tante erschien als erste wieder auf der Bildfläche:
„Seid ihr beiden fertig? Dann öffne ich jetzt die Tür zum Saal, damit ihr in den Spiegel schauen könnt!“
Als die beiden Frauen hinein schwebten, standen Saly und Jean an der hinteren Fensterfront und blickten angestrengt in den Garten. Belustigt posierten die Damen vor der Spiegelwand. Nach einigen „Ahs“ und „Ohs“ meinte die Pompadour verschmitzt zu Adoree:
„Meinst du, wir können den beiden Herren unsere Verwandlung zumuten? Meine Herren, drehen sie sich bitte um!“
Beide taten, wie befohlen. Saly brachte seine Anerkennung spontan zum Ausdruck:
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