„Welch schlichte Eleganz! Welch Erhabenheit! Nicht nur Aphrodite erkenne ich, nein auch eine Kaiserin!“
Die Marquise bemühte sich um verführerische Blicke und Adoree senkte gebieterisch das Haupt.
Man setzte das Modell unter Anleitung Salys wieder zurecht. Der Bildhauer huschte mit der Skizze um beide Frauen herum. Die Atmosphäre war gelöst und heiter. Jean und Lisette hatte man nach einem Imbiss geschickt, die Tante machte es sich im Saal bequem und las ein Buch. Die Pompadur fragte unbeweglich:
„Warum arbeiten ihr im Verborgenen hinter der Wand, Moniseur Saly? Birgt seine Kunstfertigkeit so viele Geheimnisse, dass man ihm nicht zusehen darf?“
Saly räusperte sich. Unsicher wog er ab, ob er sich der Dame anvertrauen sollte. Adoree kam ihm zuvor:
„Oh, Madame, wir hatten befürchtet, ihr würdet mit eurem gesamten Staat erscheinen. Das wäre doch ein wenig viel für Monsieur Saly geworden!“
Saly schaltete sich ein:
„Es schien mir angebracht, zunächst das Augenmerk auf das Modell lenken. Deswegen habe ich Adoree als Double ausgewählt und sie drappiert. War es nicht zu befürchten, dass lange Diskussionen über die Positur entstehen könnten? Dem musste man entgegen wirken. Bereits der erste Eindruck sollte bestechen und die Zuschauer gefangen nehmen. Es war ja nicht zu ahnen, dass Madame in Begleitung lediglich einer Person erscheinen würde.“
Die Pompadour lachte.
„So, so, Moniseur Saly hatten keine Angst vor mir, sondern vor meiner Bagage! Das hört man gerne!“
Sie hob die Rechte, um jegliche Antwort abzuwehren und erstarrte unvermittelt im Ernst:
„Mein alleiniges Erscheinen hat einen traurigen Hintergrund. Direkt vor meinen Augen fand ein geschmackloses Drama statt,“ sie stockte, „ eine Art Kindesmord war dessen Pointe - allerdings handelte es sich um ein Hündchen, ein kleiner Spaniel wie meine Mimi. Unbeschreiblich, wie unmittelbar die Tat geschah. Hingegen Routine auf der Bühne. Unbeirrbare Schauspieler, verhaftet in ihren Rollen. Durch diesen abscheulichen Mord offenbarte sich mir die Impertinenz dieser Parvenues aufs Neue.“
Sie schluckte in die Stille hinein.
„Der Vorhang fiel, weil ich es wollte. Schluss und Ende.“
Die Tante rief von drüben:
„Sie hat sie raus geschmissen – Alle! Gut gemacht, meine Liebe!“ Betreten schauten Saly und Adoree zu Boden. Die Pompadour jedoch begab sich, als sei der Exkurs vergessen, zurück in die alte Pose und forderte:
„Allez, allez, Moniseur Bildhauer – walten sie ihrer Kunst!“
Schon bald konzentrierte man sich nur noch auf die Arbeit. Saly hatte seine Trutzburg verlassen, umkreiste das Modell und zeichnete wie besessen. Er glich einem wilden Tier, das man aus dem Käfig befreit hatte. Obwohl es ihnen untersagt worden war, flüsterten Madame Pompadour und Adoree miteinander. Sie machten sich über sein Auftreten lustig, weil so ein Gebaren kaum zu diesem gesetzten Mann passen wollte.
„Hier kommt sein wahres Temperament zum Vorschein! Ein richtiger italienischer Maestro!“
„Wer weiß, was er noch im heißen Süden gelernt hat!“
„Na, na Kindchen, nicht so frivol – er ist sowieso zu alt für sie!“
„Aber dafür wie mein Vater!“
„Sie haben einen italienischen Vater?“
„Ja, aber ich kenne ihn nicht. Er ist Dirigent. Einst sang meine Mutter sang unter seiner Regie...“ „Dann haben wohl beide ziemlich intensiv gesungen und dabei so etwas schönes wie dich fabriziert!“
Adoree kicherte.
„Ich habe mit Monsieur Saly eine Abmachung getroffen: Ich helfe ihm mit den Gepflogenheiten am Hofe und erfahre dafür von ihm alles über Italien!“
„Oh ja, Italien ist wunderschön. Mein Bruder berichtete mir ausführlichst darüber. Schade nur, dass ich selten abkömmlich bin – und meine angeschlagene Gesundheit – obwohl, das warme Klima würde mir gut tun... wenn ich mich entschließen sollte, einmal in den Süden zu fahren, nehme ich sie mit. Versprochen!“
Als Saly einige Skizzen angefertigt hatte, entschloss man sich zu pausieren. Es war ein kleines Mahl im Saal vorbereitet worden und man speiste zusammen. Jean und Lisette aßen draußen auf der Terrasse, sie plauderten ungezwungen in der warmen Mittagssonne. Die Fensterfront stand so weit offen, dass die Natur hineinströmen konnte.
Adoree wirkte glücklich:
„Monsieur Saly, vielleicht werde ich Italien bald mit eigenen Augen sehen! Madame Pompadour war so großzügig, mich einzuladen, falls man eine Reise plant. Ist das nicht wunderbar?“
Saly lies sich von der Freude anstecken und tat wie ein italienischer Fremdenführer, der seiner Reisegruppe die wichtigsten Kulturstätten Italiens zeigt. Man startete in Florenz, machte einen Abstecher in die Paläste der Medici, bummelte über die Ponte Vecchio und landete in den Uffizien. Die ungeheuren Kunstschätze konnten bestaunt werden. Später besuchte man den David des Michelangelo. Die Beschreibung dieser Figur brachte die drei Frauen vor Bewunderung zum Erglühen. Es folgte ein Abstecher in die Mythen der Antike vor der Darstellung des Herkules und Cacus. Dem in der Siegerpose verharrenden Helden zollte man Bewunderung und ließ sich gleichwohl durch die Tat abschrecken: Herkules habe über die wunderbaren Rinder des Geryon gewacht und sei nach einem üppigen Mahl eingeschlafen. Unterdessen habe sich Cacus, ein riesenhaftes Ungeheuer, der besten Tiere bemächtigt und diese, um alle Spuren zu verwischen, an den Schwänzen rückwärts in seine Höhle gezogen. Herkules habe am nächsten morgen, nachdem er den Verlust der guten Tiere bemerkt hatte, ausnahmslos Spuren gefunden, die aus der Höhle führten, aber keine, die hinein gingen. Er habe sich von der List täuschen lassen und die Herde von diesem seltsamen Ort weg treiben wollen. Als einige der Tiere nach den vermissten Artgenossen riefen, habe Herkules lautes Brüllen aus der Höhle gehört. In die Höhle einzudringen sei ihm zunächst nicht gelungen, da Cacus sich dort verschanzt hatte. Weil das Gebrüll der Tiere in der Höhle jedoch so laut war, sei ein Teil der Decke eingestürzt und in diesem Moment habe sich Herkules auf Cacus gestürzt, diesen trotz Gegenwehr gewürgt und ihn schließlich mit seiner Keule erschlagen. Die Damen wirkten aufgewühlt und taten entsetzt. Saly berichtete weiter: Nach der Heldentat habe es eine Opferfeier für Herkules im nachmaligen Rom gegeben.
Er war in Wallungen gekommen. Weil er beim Spielen so intensiv wie ein echter Italiener gestikuliert hatte, lief dem Bildhauer der Schweiß von der Stirn. Die anwesenden Damen klatschten Beifall, beglückwünschten ihn zu seiner Vorstellung und räumten ein, dass sie niemals einen Schauspieler in ihm vermutet hätten. Saly erklärte, die Eindrücke der Kunstgestalten, das Wesen der Italiener und die Atmosphäre der Stadt Florenz, all das habe ihn so in seinem tiefsten Inneren berührt und aufgewühlt, dass es jetzt beim erzählten Erlebnis aus ihm heraus gebrochen sei.
„ Aber sagen sie nun, Monsieur Saly, was soll diese Allegorie uns beibringen? Alle Heldentaten enden mit Blutbädern und man weiß nicht, warum. Vielleicht steckt zu viel des Wesens einer männlichen Schöpfung darin? Ist ein Mann nur ein Held, wenn er tötet? Frauen maßen sich die Entscheidung über Gut und Böse nicht ohne Nachdenklichkeit an. Wir trachten mehr nach dem Gefühl. Somit sind wir sparsam beim Urteilen. Unsere Stärken sind die Worte, durch sie erzielt das Weibliche seine Wirkung. Unser empfindliche Geist wägt das Böse ab und geht dem Ungeheuer auf den Grund. Und statt stumpfsinniger Keulen bedienen wir uns natürlicher Reize. Wir vergöttern den Feinsinn im Mann und der, der uns beipflichtet, ist unser Archetypus. Der geläuterte Deus ex machina.“ Saly fühlte sich ein wenig überrumpelt. Plötzlich war die lockere Stimmung einer anstrengenden gewichen. Wie hatte das so schnell passieren können? Die Madame echauffierte sich immer mehr: „Er muss nicht darauf antworten. Der Exkurs ist rein rhetorisch zu verstehen. Ich weiß absolut, dass Männer ihr Eigentum verteidigen und mehren wollen. Ihr ganzes Streben zielt darauf ab, Ruhm und Ehre zu gewinnen. Glaubt mir, in jedem Mann steckt ein widerlicher Held. Ich muss es wissen, denn schließlich bin ich Mätresse eines Herrschers!“ Dergestalt fand die Interpretation des Mythos' ihr Ende. Adoree griff tröstend die Hand der desillusionierten Frau:
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