Was wusste denn ich...?
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Mit den schönsten Werbeslogans die sich Werbeagenturen ausdenken konnten, versuchte man mich zu überzeugen, ihre Produkte zu kaufen. Man gab sich da echt ganz schön viel Mühe, wenn man bedachte, dass ich keinen Pfennig Geld besaß, um mir auch nur eins dieser Dinge zu kaufen. Ich bekam zu der Zeit etwa zwei Mark Taschengeld in der Woche und die musste ich mir redlich verdienen, indem ich am Samstagmorgen die Straße fegte oder Papa beim Rasen mähen half. Und ich würde einen feuchten Kehricht tun, meine Kohle für Merz Spezialdragees auszugeben. Auch wenn sie immer so schön geworfen wurden: „Raider heißt jetzt Twix.“ So. Bitte. In your face. Eat this. Einfach so. Von einem Tag auf den anderen Ich verstand nicht, warum ich das tun sollte? Wir kannten Raider seit jeher als Raider, warum sollten wir ab heute dazu Twix sagen, nur weil sich das irgendwelche Werbemenschen ausgedacht hatten? Mich hatte niemand gefragt, ob ich dazu überhaupt Bock hätte. Mann, ich hatte mir doch auch jetzt schon genug zu merken. Was hatte ich heute in Mathe auf? Wann musste mein Deutsch-Aufsatz fertig sein? Was sollte ich dem c-Markus für seine Geburtstagsparty kaufen? Und nun sollte ich mir noch merken, dass Raider nun Twix heißt? Außerdem können Sie mir erzählen, was sie wollen, Raider schmeckte besser, als Twix. Eine Frau fragte mich ständig, wo denn nur der Deinhardt sei, worauf ich allerdings nie eine Antwort wusste und ich hoffte inständig, dass sie ihn irgendwann finden würde. Was sollte ich denn noch alles wissen?: „ADO - die mit der Goldkante“ war ne glatte Lüge. Ich habe nie eine Goldkante an einer Gardine gefunden und ich bin, weiß Gott, auf genug Böden herum gekrochen, um Goldkanten zu suchen. Hätte doch eine recht ertragreiche Sache werden können? Ich meine, welche Hausfrau kontrollierte schon regelmäßig ihre Goldkanten? Militärisch stramm marschierendes Gemüse skandierte zur rhythmischen Marschmusik: „Bonduell ist das famose Zartgemüse aus der Dose“.
Ein knopfäugiger Teddybär belehrte uns, dass nichts über Bärenmarke gehen würde, aber auch gar nichts, außer Bärenmarke im Kaffee. Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet ein Bär. Warum der Kühe molk, entschloss sich mir damals völlig. Den Almbauer mit dem weißen Rauschebart, der uns warnte: „Aber Vorsicht. It´s cool, man“ fand ich aber schon lustig. Zumindest verstand ich, was der, im Gegensatz zu dem Problem-Bär, in den Bergen zu tun hatte. Viele Jahre später würde er dafür ab geballert werden. Der Bär, nicht der Opi: „Persil – Da weiß man, was man hat. Guten Abend“.
Irgendwann kam man auf die Idee, doch auch internationale Musiker bei der Werbung mitspielen zu lassen. Immerhin hatten die doch schon Lieder. Da brauchte sich kein Texter die Mühe zu machen, noch extra ein Lied zu komponieren, einen Text zu schreiben, es für hohe Studiokosten produzieren und es von einem unbekannten Künstler singen zu lassen. Und am Ende würde niemand wissen, ob dieses Lied und letztlich auch das Produkt ankommen würde. Mein persönlicher Lieblingswerbesong war David Dundas´ „Jeans on“, der für Jeans der Firma Brutus verwendet wurde. Das Lied wurde für den Werbespot etwas umgetextet und aus „Jeans on“ wurde eben „Put My Brutus Jeans on“. Ich mag das Lied heute noch. Der US-Sänger Barry Manilow sang für Tchibo das Lied „Mandy“ und Robin Beck hatte mit dem Lied „First Time, First Love“ für einen Coca-Cola-Werbespot sogar eigentlich erst ihren richtigen Durchbruch. Sie durfte dann noch mal mit dem englischen Titel „Close to You“ und der deutschen Übersetzung „Einfach gut“ für McDonalds werben. Daran, dass bekannte Musiker ihre Lieder für TV- und Kinowerbung hergeben, hat sich bis heute nichts geändert. Und mit Künstlern wie zum Beispiel Phil Collins, Bon Jovi, Pink Floyd, Depeche Mode, Joe Cocker, Johnny Cash, Melanie Thornton, Gott hab sie selig, sind das durchaus Künstler aus der ersten Reihe und nicht etwa irgendwelche Hinterbänkler, die sich dadurch erst einen Durchbruch oder mehr Erfolg versprechen.
Auch bekannte Größen aus dem Sport sollten da mal ran. Die Firma Esso wollte gerne mit den Spielern des FC Bayern München werben. Ging aber nicht. Franz „Der Kaiser“ Beckenbauer hatte schon einen Werbevertrag mit Aral. Also gab das Bayern-Management die Anfrage an die Nationalmannschaft weiter, die den Job gerne übernahm. Und so warb die gesamte 74er Fußballnational-Mannschaft für einen Werbespot zum Selbsttanken bei Esso, wofür jeder Spieler 35.000 DM für seine Arbeit erhielt. Mit bekannten Namen wirbt es sich eben besser und einfacher, als mit unbekannten Gesichtern. Das hatte der Herr Beckenbauer schon 1971 verstanden, als er für 12.000 DM eine Knorr-Suppe löffelte. Im Jahr 2000 ließ ihn die Werbeabteilung von e-plus: „Jo is denn heit scho Weihnachten?“ fragen. Das aber sicher nicht mehr für 12.000 Tacken, da können Sie mal sicher sein.
Was die Fernsehnation damals schon faszinierte, war das Leid und die Not anderer zu sehen. Schön gemütlich daheim im Fernsehsessel sitzen und bei Chips und Bierchen zusehen, wie das Leben fremder Menschen aus den Fugen gerät. Das ist so, wie uns ein Unfall auf der anderen Autobahnseite fasziniert. Wir wissen eigentlich ganz genau, wir sollten da jetzt nicht hin schauen, denn dann wären wir Gaffer. Niemand mag Gaffer. Aber von den vielen blinkenden Lichtern der Einsatzfahrzeuge und dem regen Treiben der Sanitäter, Feuerwehrleute und Polizisten sind wir so gebannt, dass wir den Blick nicht abwenden können. Und wehe, zwei Feuerwehrmänner halten als Sichtschutz eine Decke oder Plane hoch. Ja, dann ist es völlig vorbei mit der Contenance. Da könnte ja ein zerschmetterter Körper oder sogar ein Toter dahinter liegen. Uiuiui, da gucken wir doch mal etwas genauer hin. Vielleicht kann man ja noch einen Fuß oder einen Arm unter der Plane hervor lugen sehen. Holy Moley, da hätte man aber heute Abend beim Abendbrot was zu erzählen, hab ich Recht? Schnell noch ein Selfie, mit Daumen hoch und Unfallstelle im Hintergrund und weiter geht die Fahrt. Dieses Phänomen des Gaffens machte sich Eduard Zimmermann zu nutze. Ede Zimmermann war im Grundschulalter schon etwas dicklich, war extrem unsportlich und trug noch dazu eine dicke Hornbrille. Grund genug für seine Klassenkameraden, ihn auf das Übelste zu verarschen und ständig seinen Turnbeutel zu verstecken. Um sich zu wehren, fehlte dem jungen Eduard schon damals der Mut, außerdem wollten ihm die Lehrer seine Mobbing-Geschichten auch nicht so recht glauben. Später, als junger Erwachsener, träumte er davon, sich ein Kostüm, eine Maske und ein Cape zu schneidern, um wie der Held seiner Jugend, Peter Parker, alias Spiderman gegen das Unrecht in den Kampf zu ziehen. Aber mit 43 Jahren war Eduard nun fett, trug eine noch dickere Hornbrille mit dicken Brillengläsern und hatte seinen ersten Bandscheibenvorfall hinter sich. Kein Spinnfaden der Welt hätte den fetten Spiderman in der Luft gehalten. Darum petzte er sich im ZDF zwölfmal im Jahr durch den Fernsehfreitagabend, um jeden Verbrecher Deutschlands, mit der Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“, zur Strecke zu bringen. Edes späte Form der Rache und der Wiedergutmachung. Herr Zimmermann war der einzige Moderator, der es sich im Fernsehen leisten konnte, mit verdrießlicher Miene, immer schlecht gelaunt in die Kameras zu blicken, denn seine Themen waren immer ernst und erschütternd. Urvater war aber eigentlich die Vorgängersendung „Vorsicht Falle!“, beziehungsweise „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“. Lustigerweise sind das Namen, die heute durchaus wieder erfolgversprechend wären. Der Sat1-Film-Film am Donnerstagabend, beruhend auf einem wahren Drama: „Das Wunder von Korschenbroich – Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Ein Dorf setzt sich zur Wehr“. In den Hauptrollen Heino Ferch und Monika Ferres. Weil die immer mitspielen, wenn es irgendwo in Deutschland ein Wunder gab, das es Wert war, verfilmt zu werden. Zugegebenermaßen hat Herr Zimmermann mit Hilfe seiner Sendung so einigen Verbrechern das Handwerk gelegt, was ihr ihre Daseinsberechtigung gab.
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