Mein Interesse für die Musik machte sich mehr und mehr bemerkbar und daher war die „Reiner-fahr-das-Band-ab-Hitparade“ mit Dieter Thomas Heck eine Pflichtveranstaltung. Alle bekannten Musiker und Bands aus Deutschland gaben sich dort die Klinke in die Hand. An einen Auftritt von Nena kann ich mich heute noch erinnern. Künstler traten dort auf und sangen ihre Lieder zu einem Halbplayback dazu. Nena sollte ihren Nummer-eins-Hit „99 Luftballons“ singen, hatte aber das Problem, sich wegen eines technischen Fehlers selber nicht singen zu hören und musste das Lied zwei Mal abbrechen. Zur damaligen Zeit ein echter Skandal. Dabei hatte Reiner „Fahr-das-Band-ab“ Reiser, der Tontechniker der Sendung, einfach nur an den falschen Reglern gedreht. Hinter vorgehaltener Hand wurde allerdings gemunkelt, Nena wäre damals schon zu oft als Gewinnerin aus der Hitparade hervor gegangen. Darum hätte man diesen „Fehler“ absichtlich eingebaut, sodass Nena nicht nochmal gewinnen konnte. Klappte natürlich nicht. Sie gewann erneut den Zuschauerpreis, erntete aber „Buh“-Rufe und Pfiffe aus dem Publikum.
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"I love you baby and you love me
that´s a big thing, you know what I mean
I´m happy, I´m happy.
She loves me, man, no matter what I do
if I´m over the top or down on my knee
I´m happy, I´m happy"
(Ich: „I´m Happy“, unveröffentlicht.
Erstes eigenes, aufgenommenes Lied für
ganz frische Teenager-Liebe mit schwarzhaarigem Mädchen)
Einmal im Monat kam „Disco“. Licht aus „WHOM“. Spot an „YEAH“. Ilja Richter, talentierter Sänger und eigentlich Radiomoderator, begrüßte uns in jeder Sendung mit „Hallo Freunde“, während wir ihm „Hallo Ilja“ entgegen schmetterten. Im Gegensatz zu Hecks Hitparade, traten bei Ilja die internationalen Stars auf. Zwischen den Liedern zeigte Herr Richter uns in kleinen gespielten Sketchen sein komödiantisches Talent und bewies uns damit, dass er nämlich tatsächlich ernst zu nehmender Künstler und Schauspieler war und „Disco“ nur moderierte, weil er halt gerade zufällig Zeit hatte. Und auch diese Sendung hatte ihren Skandal. In der gesamte Schule wurde darüber noch tagelang hitzig gesprochen. Welche Gruppe das damals war, weiß ich nicht mehr, aber in Anbetracht des Vorfalles auch vollkommen unwichtig. Einer der beiden Sängerinnen verrutschte nämlich während des Auftrittes das Oberteil und es blitzte, für den Bruchteil einer Sekunde, ihre nackte Brust in die Kamera. Für die damalige Zeit pure Pornografie und Gesprächsstoff auf allen Pausenhöfen Deutschlands. Markus und Marcus, der mit „c“ erzählten es wieder und wieder und ich hörte zu. Denn: Ich hatte es nicht gesehen. Eine nackte Brust im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der 80er und ich hatte es nicht gesehen. Die ganze Schule hatte es gesehen. Aber ich nicht. Vermutlich sah das ganz Deutschland, die ganze Welt, das gesamte Universum, inklusive sämtlicher Aliens. ABER ICH NICHT. Ein Ereignis, welches sich unwiderruflich auf die Festplatte eines pubertierenden Jungen einbrannte: „Titten. Wir haben richtige, echte Titten gesehen.“ Am Samstagabend kam dann „Verstehen Sie Spaß“ mit dem vollkommen spaßfreien Moderatorenpärchen Kurt und Paola Felix aus dem Schweizer St. Gallen. Die beiden verschwanden sogar schon zum Schmunzeln in die Katakomben der Sendeanstalt. Zum Lachen flogen K. und P. aus S. extra in die östliche Hochebene von Paraguay. Trotzdem habe ich es mit meinen Eltern geschaut und trotzdem habe ich mich mit meinen Eltern kaputt gelacht. So war eben der Humor von damals. Als große Samstagabend-Show schickte zuerst die ARD ihr Flaggschiff „Am laufenden Band“ in die Schlacht. Der niederländische Show-Master Rudi Carrell und sein Assi Heinz Eckner führten uns durch die Sendung und Rudi Carrell sang in jeder seiner Show ein Lied. So richtig erfolgreich war er damit aber nicht. Seine größten Erfolge waren ´75 „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ und 1978 das Lied „Goethe war gut“, aber das war es dann auch schon. „Goethe war gut“ hat sich mir bis heute ganz tief ins Gedächtnis gehämmert. Wahrscheinlich, weil ich ihn damals schon so richtig scheiße fand oder weil ich diesen niederländischen Wortwitz nicht verstanden habe:
"... Er sagte zu ihr, Du mein name ist Sepp,
ich seh´ zwar so aus, doch ich bin gar kein – Lehrer.
Bin Bauer, der heiraten muss“,
darauf gab sie ihm einen ganz heißen – Kaffee,
der dünn war, doch Liebe macht blind.
Er nahm sie ins Heu und sie kriegte ein – Schnupfen....“
Als der Reiz dieser Show langsam verflogen war, trat der ZDF-Quotenhammer „Wetten, dass….?“ in den Ring. Frank Elstner, Radiomoderator der ersten Stunde bei RTL plus und Urgestein der Fernsehunterhaltung, erdachte, entwickelte und produzierte diese Sendung, verkaufte seine Idee rund um den Globus und wurde damit wahrscheinlich reicher als Gott. Die Idee, dass jemand behauptete, etwas Außergewöhnliches zu können und ein prominenter Wettpate musste dafür oder dagegen wetten, war völlig neu und fegte die Straßen am Samstagabend leer. Wer glaubte schon, dass es möglich wäre, einen schweren Lkw auf Biergläser abzustellen? Oder das es tatsächlich Menschen geben könnte, die Wärmflaschen aufblasen und zum Platzen bringen würde? Also, jetzt mal echt. So´n Quatsch! Wo gibt’s denn so was? Später übernahm die Sendung ein merkwürdig gekleideter, aber recht locker daher plaudernder Thomas Gottschalk. Und Sie werden es mir nicht glauben, aber auch bei „Wetten, dass...“ gab es einen Eklat. Ein Wettkandidat behauptete, er würde am Geschmack von Buntstiften, die Farbe erkennen können. So‘n Quatsch. Konnte er natürlich auch nicht. Bernd Fritz, Redakteur der Frankfurter Zeitschrift „Titanic“ schummelte sich unter falschen Namen in die Sendung, lugte unter der abgedunkelten Brille hervor und sah so, an welchen Buntstiften er gerade lutschte und hatte so seine großen 15 Minuten. Ha, einmal den großen Gottschalk verarschen. Wirklich Freunde machte er sich mit dieser Aktion auf jeden Fall nicht. Das Saalpublikum pfiff und buhte ihn aus. Herr Gottschalk reagierte sehr besonnen, humorvoll und professionell in diesem Augenblick. Das Fernsehen entwickelte sich weiter und weiter. Und mit der größer werdenden Anzahl von Fernsehgeräten in der Bevölkerung, wurde Werbung im TV für große Konzerne natürlich immer interessanter. Es gab einen Werbespot, der mich damals regelmäßig in ungläubiges Staunen versetzte. Allerdings muss man bedenken, dass ich da gerade mal etwa zwölf Jahre alt war und auch nicht den Hauch einer Ahnung von den technischen Möglichkeiten eines TV-Studios hatte. Heute wären solche technischen Spielereien wahrscheinlich mit jeder Handy-Kamera machbar. Es war der Werbefilm von Merz Spezial Dragees. Es wurden da immer zwei dieser rosafarbenen Dragees auf ein Porzellantellerchen geworfen und das innerhalb des Filmchens mehrere Male. Das Verrückte war, diese Dragees fielen immer gleich. Immer und immer wieder. Ein ums andere Mal. Und ich stellte mir die Frage: „Wie zum Teufel machen die das nur? Wie schaffen die es, dass diese Dinger immer genau gleich fallen und immer an der genau gleichen Stelle liegen bleiben?“ Ich testete das mit zwei Münzen, indem ich sie immer wieder in die Höhe warf. So oft ich sie auch warf, nie kamen sie an der gleichen Stelle nach unten und ich war ein guter Münzenwerfer. Ich war damals der festen Überzeugung, dass Werbespots live gesendet wurden. Also, dass just im Augenblick des Werbespots jemand mit einer Kamera dieses Tellerchen filmte, während jemand dahinter stand und diese beiden Dragees in die Luft warf. Ein Sprecher stand etwas abseits des Tellerchens und sprach: „Wahre Schönheit kommt von innen“, in ein Mikrofon.
Das es damals schon die Möglichkeit einer Aufzeichnung gab und Teile eines Films kopiert und mehrmals hintereinander zusammen gefügt werden konnten, war mir nicht bewusst. Also war ich jedes Mal über die militärische Präzision des Werfers erstaunt und zog ernsthaft in Erwägung, später professioneller und natürlich hoch bezahlter Dinge-Werfer zu werden. Es würde ja bestimmt genug Werbefilme geben, in denen irgendwelche Dinge hin und her geworfen werden müssten, um sie entsprechend bewerben zu können. Früchte, Bälle, Lebensmittel, vielleicht Autos?
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