1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 In der Schule bekamen wir von den Mädchen Poesiealben zugesteckt, mit der Bitte doch etwas Nettes da rein zu schreiben. Na toll. Was schrieb man denn bitte da rein? Ich meine, bei den hübschen und beliebten Mädchen war das kein Problem. Man schrieb: „Ausrufezeichen! Punkt daneben. Dich vergess´ ich nie im Leben“ oder so. Das war unverfänglich genug, verriet aber trotzdem so ein bisschen, dass man sie süß fand. Die normalen Mädchen bügelte man mit so was wie: „Punkt, Punkt, Komma, Strich. Fertig ist das Mondgesicht“ ab. Mein Standardspruch war da immer: „Wo man singt, da lass Dich nieder. Böse Menschen singen keine Lieder.“ Aber was zum Teufel sollte man bei den echt hässlichen Mädchen ins Poesiealbum schreiben, hä? Im Land der Dichter und Denker gab es massenweise Gedichte und Lieder für gottgleiche Schönheiten und feenhafte Wesen. Aber von einer „Ode an die hässliche Gabi“ hatte ich noch nichts gehört. Darüber hatte sich der Herr Goethe scheinbar auch noch nie so richtig Gedanken gemacht. Also, was sollte man da schreiben?: „Lass mich in Ruhe, Du Hackfresse“? Das ging ja nun auch nicht, denn wir wollten ja trotzdem auf die entsprechenden Garten- und Geburtstagspartys eingeladen werden.
Das Partyspiel der damaligen Zeit und eigentlich der einzige Grund, überhaupt auf eine Party zu gehen, war Flaschendehen. So. Und jetzt verrate ich Ihnen mal ein Partygeheimnis der Jungs von damals: Das Auswahlkriterium, ob wir auf die eine Party gingen, auf die andere aber nicht, hing ausschließlich von der Gästeliste ab. Auf coolen Partys war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass Flaschendrehen gespielt wurde. Deshalb war es wichtig, wer von den Mädchen aus der Schule auf die Party gehen würde. Hach Gott, ja. Flaschendrehen. Bei keinem anderen Spiel in dieser Zeit lagen himmelhoher Triumph (Knutschen mit der heißen Susi) und völliges und abgrundtiefes Versagen (Knutschen mit der nicht ganz so heißen Barbara) so dicht beieinander. Ein Knistern der Spannung lag in der Luft. Wie in Zeitlupe drehte sich wieder einmal der Flaschenhals ganz langsam an der heißen Susi vorbei, hin zu Barbara. Die Susi war, nennen wir es mal, rein körperlich etwas weiter entwickelt und alleine das war es schon wert, mit Susi zu knutschen. Barbara war aufgrund ihrer außen liegenden Zahnspange schon rein technisch gesehen, nicht so einfach zu küssen. Damals bedeutete einmal richtig Knutschen mit der heißen Susi einen gesellschaftlichen Aufstieg in der Schule. Man war mindestens bis zur nächsten Party der „Lord vom Ort“. Es war nämlich bekannt, dass die Susi mit Zunge knutschte. Hallo? Können Sie sich vorstellen was „mit Zunge“ für einen Stellenwert damals hatte?
Aber eigentlich schon fies, was Eltern und die Zahnmedizin Kindern damals zumutete. Dabei war Barbara eigentlich auch hübsch. Richtig hübsch, sogar. Bei späteren Klassentreffen, als Babsi ihre Altmetallsammlung schon Jahre wieder los war, stach sie die anderen Damen mit Leichtigkeit aus. Jörg, ein unscheinbarer Junge aus der Parallelklasse schien damals über die nötige Weitsicht und den Kennerblick zu verfügen und kam mit ihr in der Abschlussklasse zusammen. Sie blieben es auch über Jahre und heirateten nach der Schule. Bei den Klassentreffen stand Jörg dann immer blöd grinsend etwas im Abseits, während wir anderen Jungs bewunderten, welch schöner, weißer Schwan aus dem grauen Mäuslein von damals wurde. Die heiße Susanne von damals ging so langsam aus dem Leim und die Schwerkraft forderte von ihren damaligen körperlichen Vorzügen mittlerweile ihren Tribut. Bei Babsi konnte die Schwerkraft noch gar nix einfordern. Mit oder ohne Silikon, da waren sich die anwesenden Damen noch nicht so richtig einig, was uns Jungs aber ziemlich scheißegal war. Und wöchentliches Power-Yoga leimte zusammen, was zusammen gehörte. Ach so. Und Susanne hatte von Nikotin und Kaffee gelblich eingefärbte Hauer, während Babsi zwei Reihen strahlend weiße Zähne im Mund hatte.
In der Zeit konnte man in jeder freien Minute, egal ob in der Schule, auf Partys oder in der Freizeit, aus allen Ecken dieses „wrack-wrack-wrack“, jenes Drehgeräusch des Zauberwürfels hören. Kennt noch jeder oder? Ursprünglich mal als Geduldsspiel entwickelt, driftete aber bald als Zeitvertreib für Hochbegabte ab. Wir „normale“ Kinder drehten da im Idealfall vielleicht mal drei Seiten zusammen. Dann lief es aber wirklich schon super. Im Normalfall war aber nach zwei Seiten Schluss. Ohne Anleitung, wohlgemerkt. Mit dieser Anleitung konnte wirklich jede Blöd-Tröte den Würfel zusammenfummeln und die wurde mal im Stern veröffentlicht. Ich hab ihn immer, wie Hunderttausende andere auch, auseinandergebaut und wieder richtig zusammengesetzt. Sehr zur Freude meiner Eltern: „Siehste Papa. Der Junge ist schlau“, sagte Mutti: „Aus dem kann doch noch was werden.“ Ich sagte ihr es nicht, ich wollte sie nicht enttäuschen.
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Wir waren ja in den 80ern noch gefühlte 100.000 Jahre von Musikplattformen und MP3-Dateien entfernt, die man sich mal eben aus dem www saugte. Um seine Lieblingslieder zu hören gab es eigentlich das Radio und das TV. Absolutes Muss war „Pop nach Acht“ mit Thomas Gottschalk auf Bayern 3 oder die „Internationale Hitparade“ mit Werner Reinke auf Hessen 3. Beide Sendungen wurden einmal in der Woche gesendet. Auch das Fernsehen war schon so weit und versorgte uns mit Musik aus den aktuellen Charts mit Sendungen, wie „Formel Eins“ und „Bananas“ und diese Sendungen waren für damalige Verhältnisse der absolute Hammer. Die Creme de la Creme der Charts gaben sich ein Stelldichein. Die Zeit der teuer und aufwendig produzierten Videoclips wie zum Beispiel „Thriller“ oder auch „Sledgehammer“ war lange noch nicht gekommen, darum mussten alle Bands und Künstler noch selber kommen, um ihre neuesten Lieder zu präsentieren. Niemand war sich zu fein, mit Peter Illmann oder Frank Zander vor Ort in den Studios ihre Musik-Videos zu produzieren. Kleinere und private Fernsehsender und auch das noch neue Kabelfernsehen befanden sich noch im Experimentier-Stadium und Moderatoren und Teams konnten tun und lassen, was sie wollten. Die Musik-Videos waren darum zum Teil derart dilettantisch und im höchsten Maße unprofessionell, sodass Bühnenaufbauten während der Aufnahme umkippten oder Dekos zusammen klappten. Einmal fiel Jürgen Drews während er „Ein Bett im Kornfeld“ sang sogar in einen kleinen Brunnen, weil der Laufsteg zusammen brach.
Man konnte im Hintergrund noch Frank Zander, mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen, kreidebleich zur Hilfe eilen sehen. Ein Wunder, dass Weltstars wie Madonna, Rod Stewart oder ABBA nicht schreiend aus den Studios rannten und ihre Manager „Formel Eins“ und „Bananas“ nicht bis in die Hölle verklagten. „Formel Eins“ oder „Bananas“ zu verpassen war in etwa so, wie seinen eigenen Geburtstag zu verpennen.
Ich glaube, so richtig bin ich der Musik und dem Rock & Roll im speziellen verfallen, als mir ein Sammelalbum für Singles in die Hände fiel. In diesem Album steckten etwa 30 oder 40 Singles in so Klarsichtfolien und man konnte es wie ein Fotoalbum durchblättern. Außen herum war ein Einband im typischen 50er-Jahre-Stil. Das Teil gehörte meinem Vater und er hatte darin die Singles seiner Jugend gesammelt. Und was ich da für seltene Raritäten fand, war der Hammer. Singles von Elvis Presley, Bill Haley, Sam Cook und anderen Stars aus den 50ern im Original. Also, im Original im Sinne von, dass diese Singles von meinem Papa in den Jahren zwischen 1953 bis 1956 selbst gekauft wurden und es sich um Singles der ersten Auflage handelte. Ich hielt hier gerade 30 Jahre alte Singles in meinen Händen. Aufnahmen, die es heute so gar nicht mehr gibt. Damals schon echte Raritäten und heute sind sie es erst recht. Eine Aufnahme von „Lover Doll“ von Elvis Presley, die nur mit Kontrabass und Gitarre gespielt wurde. Eine Single von Bill Haley & His Comets, auf der bei den Liedern „Rock This Joint“ und „Rock Around The Clock“ aus Zeitmangel bei den Studioaufnahmen, dasselbe Gitarrensolo gespielt wurde. Erst bei der zweiten Auflage der Single, wurde ein anderes Solo eingespielt. Selbst im Radio, in Georg Kostyas Sendung „Aus meiner Rocktasche – Platten, die es in sich hatten“ konnte man so was nicht jeden Tag hören. Gute Aufnahmen bekam man zu der Zeit nur mit einem Radiorekorder hin. Vom Fernseher aus musste man ein Mikrophon vor den Lautsprecher halten, was allerlei Geklappere und Nebengeräusche verursachte und um direkt vom Plattenspieler aufzunehmen brauchte man die entsprechende Anlage oder ein Überspielkabel. Beides gab es in den 80ern noch nicht in jeden Haushalt und im Kinderzimmer erst recht nicht. Na ja und außerdem hätte man sämtliche LPs und Singles gebraucht und auch das war jetzt eher unmöglich. Vielleicht bei Richie Ritch daheim, aber nicht bei uns. Das Radio aber hatte wiederum den Nachteil, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, der Moderator entweder am Anfang oder am Ende des Liedes in die Aufnahme quatschte. Man quälte sich über Wochen hinweg durch die Radioprogramme, um endlich das Lied zu bekommen, hinter dem man her war. Die Finger auf den Tasten „Aufnahme“ und „Start“, wartete man, dass der Moderator endlich seine Ansage fertig hatte. Man war gespannt wie Pfeil und Bogen, bereit in einer Zehntelsekunde die Tasten los zu lassen. Die Finger begannen langsam zu zittern, Schweißperlen rannen über die Stirn, zur Nasenspitze, verharrten dort kurz, um dann lautlos zu Boden zu tropfen. Nicht eine Sekunde wollte man die Tasten zu früh loslassen, um auch ja nichts von der Anmoderation auf dem Band zu haben. Und meistens war dann doch noch ein „…kson“ von „Michael Jackson“ auf der Kassette. Das gleiche Drama spielte sich knapp drei Minuten später, am Ende des Liedes ab. Die letzten Töne klangen aus und man pokerte quasi mit Werner Reinke um jeden einzelnen Takt. „Warte ..... noch ein Augenblick und noch einen ...warte ...“ und dann: „Das w…“ Stopptaste drücken. Kacke, wieder nix. Mist. Eine echte Sisyphusarbeit, also. Bei Werner Reinke gingen aber mit der Zeit irgendwann so viele Leserbriefe ein, dass er ein Einsehen mit uns Kassetten-Junkies hatte und vor und nach jedem Lied so ein bis zwei Sekunden nichts sagte, damit wir alle die Start- und Stopp-Tasten drücken konnte, ohne einen Wortfetzen auf dem Band zu haben. Damit machte Herr Reinke sich zum Superstar unter den Kassetten-Kindern.
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