Ich schlage nach ihm und treffe ihn am Schienbein. Abrupt lässt er mich los, was mich auf die Erde vor ihm stolpern lässt. Keine zwei Sekunden später zieht er mich vor sich hoch und presst sich an meinen Rücken.
„Melody.“ Merics Stimme hallt durch den Garten. Der Hexer ist nicht allein. Er hat den Arroganz-Kelten mit Schwert und einen Wassermann mit Dreizack im Schlepptau.
„Keine Panik“, haucht Meric atemlos. Ich glaube, mehr zu sich selbst, als zu mir.
„Was ist denn das für ein scheiß Spruch, Meric?“, fahre ich ihn an. Er zuckt ratlos mit den Schultern.
„Irgendwelche Ideen?“, frage ich mal so in die Runde. Das Ding knurrt verächtlich und zieht mich näher an sich.
„Ich überlege noch“, informiert mich der Kelte.
„Lass dir Zeit“, spotte ich sarkastisch.
Plötzlich vernehme ich das Geräusch von brechenden Knochen und glaube schon, das Ding zerdrückt mich, doch es folgt kein Schmerz. Der Zombie brüllt, als schlage sein letztes Stündlein.
Im nächsten Augenblick bin ich frei und falle vor ihm auf den feuchten Erdboden.
„Hat es dich gebissen?“ Der Kelte kniet vor mir. Ruckartig zieht er mich an den Schultern in die Höhe.
„Nein.“ Meine Beine geben nach und ich stoße an seine Brust.
„Melody, bist du okay?“ Meric ist an meiner Seite. Auch er hält mich an der Schulter fest.
„Das hat ja ewig gedauert, Hilfe zu holen. Warst du zwischendurch noch Kaffeetrinken?“, raune ich erschöpft.
Meric lächelt leicht. „Schätze, es geht dir gut.“
Ich weiß nicht wieso, aber die Welt beginnt sich plötzlich in Kreisen zu drehen. Hey, ich fliege – meine Beine heben vom Boden ab.
„Toll, jetzt ist sie auch noch ohnmächtig.“ Die Worte sind nahe an meinem Ohr. Erst jetzt merke ich, dass mein Kopf in einem harten Nacken lehnt.
„Das hab ich gehört“, hauche ich zurück. „Brauchst gar nicht so überheblich zu tun. Als ob du noch nie einen Moment der Schwäche hattest.“
„Ich bin Kelte. So etwas wie Schwäche ist mir fremd.“
„Schon klar. Ähm, könntest du aufhören, mich zu schütteln. Das nervt gewaltig.“
„Das bist du, du zitterst.“ Verdammt.
„Dann verpass mir bitte eine, damit ich aufhöre.“
„Wieso willst du dich immer mit mir prügeln?“, raunt er.
„Negatives Karma?“
Etwas Weiches gräbt sich in meine Rückseite – ah, eine Matratze. Bin wohl in der Krankenstation gelandet.
„Schon gut, mir fehlt nichts“, beschwichtige ich. Mit etwas Schwindel behaftet setze ich mich auf und will aus dem Bett steigen.
„Na, na. Das sollte sich doch ein Experte auf diesem Gebiet ansehen.“ Vor mir steht ein Medizinmann – ohne Scheiß. Das volle Programm: Indianer – Knochen in der Nase – jede Menge Piercings – warte mal – Piercings?
Der Typ ist über dreißig und trägt die Kleidung eines Teenagers. Darüber hinaus hat er Raster und ich will gar nicht wissen, was in dem Becher ist, den er mir gerade hinhält. Noch dazu bin ich mit ihm allein im Raum. Prima.
„Keine Chance. Das … also … Nichts für ungut“, stoße ich ablehnend aus. Ich mustere ihn, während ich seine Statur mit der Hand nachfahre.
„Ich bin Medizinmann“, beschwichtigt er schulterzuckend.
„Ist mir nicht entgangen. Aber bevor Sie jetzt den Schrumpfkopf rausholen, möchte ich noch einwerfen, dass ich keine medizinische Betreuung brauche. Sehen Sie – ich seh zwar nicht so aus, aber ich kann einiges einstecken.“ Sein Blick ist unergründlich. Im nächsten Moment bricht er in schallendes Gelächter aus.
„Du hast echt Schrumpfkopf zu mir gesagt.“ Warte mal. So war das aber nicht.
„Also genaugenommen habe ich …“ „Du gefällst mir“, unterbricht er mich. „Du trägst das Herz am rechten Fleck, wie ich spüre.“ Ich schlucke laut.
„Ich weiß nicht, ob das jetzt gut oder schlecht ist. So im Kontext Ihres Berufes betrachtet.“ Wieder lacht er laut.
„Bitte hör auf – ich kann nicht mehr.“ Er hält sich den Bauch vor Lachen.
„Okay.“
„Wenn du den Brandy nicht willst.“ Er zuckt mit den Schultern und leert den Becher in einem Zug.
Ich hebe beschwichtigend die Hand. „Hab sowieso aufgehört.“ Wieder lacht er laut.
„Melody – nicht wahr. Ich bin Doktor Francis.“ Er hält mir seine Hand hin, die ich zögerlich ergreife.
Er zieht die Augenbrauen hoch und drückt meine Hand fester. „Aha, ahaaaaa. Hm.“ Verdammt, was macht er da?
„Was immer es auch ist, ich will es nicht wissen“, informiere ich ihn präventiv.
„Okay“, meint er schulterzuckend. Mein Blick schweift neugierig im Raum umher. 15 Betten, eins davon verhüllt.
„Was ist hinter dem Vorhang?“ Da bricht die weibliche Neugierde wieder durch.
„Ein Patient, der im Koma liegt.“ Wie schrecklich. So was muss hart sein. Nicht aufwachen zu können. Gefangen in seinem eigenen Körper. Ich will mir das gar nicht ausmalen.
„Wie viel Prozent Wahrscheinlichkeit, dass er aufwacht?“, will ich wissen. Doktor Francis zieht die Augenbrauen hoch.
„Kann ich nicht sagen. Zehn? Vielleicht auch weniger.“ Also unwahrscheinlich.
„Wie kommen Sie damit klar?“
„Womit denn?“
„Nur zusehen zu können.“ Sein Blick wandert ins Leere.
„Es macht mich fertig“, gibt er zu. Er sieht aus wie ein Häufchen Elend. Aufmunternd drücke ich seine Hand.
„Wollen Sie ein Geheimnis erfahren? Von jemandem, der die Toten sehen kann.“
Er nickt interessiert.
„Sie tragen keine weißen Nachthemden.“ Die geplante Aufmunterung hat funktioniert – er lächelt. Mit der Info lasse ich ihn allein zurück und verlasse den Raum.
Draußen erwarten mich bereits Sonny und Meric.
„Hey, wie geht’s dir?“, will Meric wissen.
„Alles noch dran. Nur meinen schwarzen Humor konnte er nicht rausoperieren. Sitzt zu tief.“ Beide lächeln und ich flüstere: „Was zum Teufel war das?“
Okay, also scheinbar bedrohen Zombies, sogenannte „Nova“, die magische Welt. Toll. Als ob ich nicht auch so schon genug Probleme an der Backe hätte.
Sie wissen nicht, woher sie kommen oder welches Ziel sie verfolgen, aber sie greifen Leute an und machen sie ebenfalls zu Zombies, wenn man gebissen wird. So viel dazu.
Ach ja. Sonny stand hinter der Gartenmauer und hat den Typen, der mich angegriffen hat, zermalmt, womit er sich ein dickes Küsschen als Belohnung verdient hat, das ich ihm gleich an die Wange gedrückt habe. Natürlich unter dem Vorwand, ihm was ins Ohr flüstern zu wollen, sonst wär ich da nie drangekommen.
„Melody, träumst du schon wieder? Genau wie in meinen Stunden. Ich hatte dich schon viermal gerufen“, schnauzt mich Professor Triz – der Mathe-Langweiler – an, vor dessen Büro ich warte.
„Ich träume nicht, ich überlege. Da ist ein Unterschied“, kontere ich.
„Wie auch immer. Komm in mein Büro.“
Der Raum ist über und über voll mit Zahlentapete. Wow, so muss sich der siebte Himmel anfühlen. Ich komme aus dem Glotzen gar nicht mehr raus. Um alles in mich aufzusaugen, drehe ich mich sogar im Kreis.
„Melody?“ Er zieht die Augenbrauen hoch und ergänzt „Setz dich.“
Ich tue, was er sagt und nehme Platz. Mit zusammengekniffenen Augen mustert er mich, aber ich lasse den Blick durch das Zimmer gleiten. Die Tapete ist viel interessanter.
„Was tust du da?“, will er wissen.
„Ich hatte mich gesetzt, wie Sie’s mir befohlen haben.“
„Nein. Ich meine, wieso starrst du die Tapete an?“
„Ist das ein Verbrechen? Tut mir leid. Ich hatte wohl das „Tapete anstarren verboten“-Schild übersehen.“ Wieder schweift mein Blick ab.
„Zählst du?“ Seine Worte reißen mich wieder ins Hier und Jetzt.
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