Der Tag wird immer besser. Ich bin mittlerweile zu einem wandelnden Risikofaktor geworden.
Sonny winkt mir von Weitem zu und hält meine Tasche hoch. Hey, das ist ja voll nett. Als ich vor ihm stehenbleibe, wird mir erst das volle Ausmaß seiner Größe bewusst. Der ist ja über zwei Meter groß und breit wie ein Schrank. Dagegen bin ich ein Zwerg.
„Danke Sonny.“ Ich nehme ihm die Tasche ab.
Frankensteins Monster winkt beschwichtigend ab. „Kein Problem.“
„Du hast was gut bei mir.“ Zum Dank winkend schreite ich in Richtung Garten.
Professor Tate wartet bereits und heißt uns willkommen. In der Kleingruppe sind nur dreizehn Studenten. Schmerzlich erkenne ich den Hexen-Stalker, den Arroganz-Kelten- Lederjackenträger und Frankensteins Monster alias Sonny unter ihnen. Perfekt.
Außer mir sind noch ein paar andere Weibchen im Kurs, die sich kichernd aneinander schmeißen und den Jungs schöne Augen machen. Mich lässt das natürlich wieder vollkommen kalt. Naja, zumindest ist es bei mir nicht so offensichtlich.
„Willkommen, bitte findet euch in Zweierpärchen zusammen und sucht im Garten alle Kräuter auf dieser Liste.“ Wie auf Kommando laufen die Weibchen kreischend auf das jeweilige Objekt ihrer Begierde zu. Ich hab mich sogar kurz vor ihnen erschrocken. Mann, welch niedere Wesen.
Nachdem ich mir die Liste organisiert habe, drehe ich mich um und schreite alleine fort. Außerdem sind wir dreizehn Leute. Dreizehn ist eine ungerade Zahl, eine Primzahl sogar, also nur durch sich selbst oder durch 1 ganzzahlig teilbar. Bei Zweierpärchen bleibt also jemand übrig – also ich. Dreizehn ist außerdem eine Unglückszahl. Ich muss lächeln. Passt irgendwie zu mir. Hab ich schon erwähnt, dass ich Zahlen mag? Naja, ich bin jetzt nicht besessen oder so.
„Melody? Wollen wir zusammen gehen?“ Sonny steht neben mir. Ich zucke mit den Schultern.
„Von mir aus.“ Okay, wohl doch keine Dreizehn.
Ohne dem Schauspiel sich aufbauender verbaler Gefechte länger beizuwohnen, spazieren wir davon. Also, ein Riese mit Minikörbchen um den Finger und ein Zwerg mit Strickmütze.
„Wieso siehst du mich so an?“ Seine Frage reißt mich aus dem Zählen der Erdbeeren. Eigentlich hab ich ihn gar nicht angesehen, aber okay.
„Tut mir leid. Ich versuch nicht mehr zu glotzen.“
„Du warst die Einzige, die mich nicht angeglotzt hat.“ Doch kurz. „Ich meine, wieso siehst du mich anders an, als die anderen, Melody?“
„Keine Ahnung, wie seh ich dich denn an?“, hake ich nach.
„Als würdest du mehr sehen, als nur das Monster.“ Okay, hier liegt wohl ein Fall von Selbst-Monsterisierung vor.
„Du bist kein Monster, Sonny.“
„Woher willst du das wissen?“
„Hör zu. Also ich kenn mich mit Monstern ganz gut aus. Ich erkenne eins, wenn ich es sehe. Du bist keins.“
„Das sagst du nur so“, wirft er mir schmollend vor.
Ich halte ihn am Arm zurück – naja okay, ich greife nach seinem Arm und stoppe, also stoppt er auch. Den könnte man nie halten. „Bei mir kannst du dir eines ganz gewiss sein. Ich meine das, was ich sage und sage das, was ich meine. Okay?“
„Okay. Also, was siehst du sonst noch? Neben dem Monster.“
„Ich sehe jemanden, der nicht weiß, wer er ist oder wer er sein möchte. Aber das ist okay. Wer weiß das schon?“ Verblüfft starrt er mich an. Da hab ich wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Ich weiß, dass du die Toten sehen kannst, Melody.“ Na toll, die Gerüchteküche brodelt wohl schon.
„Siehst du. Da hast du dein Monster.“ Ich gehe voran und zupfe einige der Kräuter ab, die ich in Sonnys Korb schmeiße.
„Wie kommst du damit klar?“ Jetzt bin ich verblüfft. Diese Frage hat mir noch niemand gestellt. Normalerweise wollen alle, dass ich ihren verstorbenen Verwandten etwas ausrichte oder quetschen mich über belanglose Details aus.
„Hör zu, ähm, wieso holst du nicht ein paar von den gelben Blumen dort drüben und ich seh mal, wo ich die Minze finde?“ Schneller als ein D-Zug suche ich das Weite. Ja – okay, ich hab Schiss zu antworten. Ich will ihn nicht anlügen – ihm aber auch keine Angst machen. Obwohl, er hat glaub ich vor gar nichts Angst. Außer vor sich selbst natürlich.
„Mein Name ist Meric.“ Vor Schreck lasse ich alle Minzblätter fallen. Das belustigte Gesicht meines Hexen-Stalkers lässt Aggressionen in mir aufsteigen.
„Mann, musst du dich so anschleichen?“ Er hilft mir nicht mal, die Kräuter wieder aufzusammeln. Idiot.
„Dachtest du, ich wär ein Toter?“ Das ist nicht witzig. Jetzt weiß es schon die ganze Schule – wunderbar.
„Nein, der steht da drüben und hat zumindest den Anstand, mich aus der Ferne zu stalken. Könntest du auch mal ausprobieren.“ Er sieht ganz schön ängstlich aus und sucht die Umgebung ab. Da er abgelenkt ist, entferne ich mich angefressen.
„Melody, warte. Das war ein Scherz.“
„Ich lach mich tot“, erwidere ich trocken. Er greift nach meiner Hand und fährt ohne Widerstand durch meinen Körper hindurch. Okay. Astralprojektion. Sieht täuschend echt aus.
„Das war echt gruslig Meric“, tadle ich ihn.
„Verdammt, ich vergesse immer, dass meine Projektion noch nicht so gut ist.“
„Du solltest zu deiner Partnerin zurückkehren. Sie fragt sich sicher schon, warum ein hirnloser Zombie, der nicht auf ihre Fragen antwortet, neben ihr steht.“
„Oh, ich hab einfach auf Ja-Modus gestellt. Sie schnattert sowieso die ganze Zeit, also passt das Wort so ziemlich immer.“
„Deine Logik hat nur einen Haken“, stelle ich fest.
„Der wäre?“
„Was, wenn sie dich fragt, ob du mit ihr auf den Schulball gehen willst und sie vorschlägt, dass ihr im rosa Partnerlook geht? Ist alles schon vorgekommen.“
Er sieht zwar blass aus, sagt aber: „Darauf lass ich es ankommen, glaub ich.“
Ich will seine Aussage kontern, da trifft irgendetwas vor mir hart auf den Boden auf. Vor Schreck taumle ich zurück und stolpere, sodass es mich auf den Hintern setzt. Das gibt sicher blaue Flecken.
Schockiert erkenne ich ein deformiertes, aus eitrigen Wunden blutendes, Etwas vor mir, das erschreckende Ähnlichkeit mit den Zombies aus dem Film „ I am Legend “ hat.
Nach dem Blick von Meric zu urteilen, der die Kinnlade runtergeklappt hat, ist es wohl kein Freund.
Es kommt auf mich zu und ich brülle seine Astralprojektion an: „Könntest du mal die Kinnlade einklappen und mir helfen?“
„Ich kann so nicht … ich … hol Hilfe.“ Schon hat er sich in Luft aufgelöst und lässt mich mit dem Ding allein, das gleich bei mir ist.
„Hi.“ Toll Melody, jetzt grüßt du das Teil auch noch. Es knurrt und hält den Kopf schief. Bei genauerer Betrachtung erkenne ich, dass es von einem transparenten Schein, der sich bewegt, umgeben ist. Ein Geist – da steckt ein Geist drin. Wahnsinn.
Der Zombie ist erschreckend nahe und greift nach meinem Arm.
„Hey Süßer. Also so gut kennen wir uns auch wieder nicht“, ist mein jämmerlicher Versuch, ihn auf Abstand zu halten, nachdem ich zurückgewichen bin. Das scheint ihn böse zu machen. Er macht einen Satz auf mich zu und kriegt meinen Arm zu fassen.
Geistesgegenwärtig spult mein Gehirn meinen Selbstverteidigungsmodus ab, aber das Wesen ist stärker als ich dachte und so zapple ich nur in seinem Griff, während es mich hinter sich herzieht.
„Lass mich los, Pissnelke.“ Warte mal. Mir kommt da grad so eine Idee.
Ich greife nach dem transparenten Geist in ihm und rufe: „ Princeps gloriosissime caelestis militiae. Veni in auxilium hominum, imperat tibi. Deus Spiritus Sanctus .“ Mehr fällt mir auf die Schnelle nicht mehr von den Worten meiner, von Trotteln durchgeführten, Exorzismen ein.
Der Geist schreit im nächsten Augenblick, als hätte ich ihn mit meiner Berührung verbrannt. Der Zombie schnappt mich an den Schultern und drückt mich brutal an die Gartenmauer.
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