Am Schulhof herrscht reges Treiben. Anscheinend gibt es neuesten Klatsch und Tratsch und ich schnappe noch ein paar Wortfetzen auf, bevor ich mich wieder mit meinem mp3-Player zustöpsle.
„Hoffentlich … Jungs … wie sie wohl aussehen.“ Kicher, kicher. Mann, ich könnt kotzen. Das hatte ich fast vergessen. Morgen kommen ja die männlichen Wesen zurück.
Bis jetzt war das hier eine reine Mädchenschule. Jeder magische Junge muss so eine Art Militärdienst leisten. Nach den zwei Monaten stoßen sie zu uns und steigen ins laufende Schuljahr ein. Deshalb sind alle schon ganz aus dem Häuschen. Mich lässt das natürlich kalt – zumindest tue ich so. Naja, ist ja auch egal.
Wie jeden Tag, mache ich mich auf den Nachhauseweg, der durch ein Waldstück führt. Um ehrlich zu sein, ist es dort ganz schön gruslig, aber ich versuche zu ignorieren, dass ich vollkommen allein bin und mich hier niemand schreien hören würde.
Stattdessen singe ich lauthals mit meinem Player um die Wette und wirble herum. Das ist zwar voll peinlich, aber hier ist mir noch nie jemand begegnet.
Alle Schüler werden entweder abgeholt oder haben selber ein Auto. Naja, alle außer mir natürlich, die die drei Kilometer jeden Tag zu Fuß packt. Ich sehs positiv – ich bin an der frischen Luft und betätige mich körperlich. Naja, man kann sich ja so ziemlich alles schön reden. Außer Pickel oder so eine Scheiße.
Nach einer gefühlten Stunde erreiche ich eine hügelige Ebene, die aus, mit hohem Gras bewachsenen, Wiesen besteht.
Gerade frage ich mich, wie viele Blumen hier im Sommer wohl blühen, als mich ein unbekanntes Flugobjekt hart an der Schulter trifft. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass ich keuche, rückwärts stolpere und hart auf den Boden einschlage.
Im ersten Moment bleibt mir die Luft weg und da mein Schädel ebenfalls Bekanntschaft mit dem Erdboden gemacht hat, wird mir im nächsten Augenblick schwarz vor Augen.
„Du … getroffen. Wach …“ Langsam öffne ich die Augen, doch alles ist verschwommen und meine schweren Lider bleiben erst nach dem vierten Versuch von selbst offen.
Da ist ein verschwommener Junge über mir, der die Lippen bewegt. In meinen Ohren pfeift es laut und ich stöhne vor Schmerz auf. Mein Schädel dröhnt, als würde er gleich zerspringen.
„Hey. Kannst du aufstehen? Hallo? Nicht wieder einschlafen“, ertönt es über mir.
„Seh ich so aus, als ob ich schlafen würde?“, fauche ich mit kratziger Stimme.
Jetzt wird mir das dann doch zu blöd und ich versuche, mich hochzurappeln. Das funktioniert nicht ganz so, wie ich mir das vorgestellt hatte, also drehe ich mich auf die Seite und wuchte mich schwerfällig auf einen Ellbogen.
„Was zum Teufel war das?“, raune ich genervt.
„Mein Molok hat dich getroffen.“ Jetzt sehe ich mir den Typen genauer an und erkenne einen muskelbepackten Jungen der Marke Traummann, der schwarzes, schulterlanges Haar hat und dessen Augen tiefblau leuchten. Sein ärmelloses Hemd entblößt Arme mit Bizeps, die breiter als meine Oberschenkel sind. Ein Kelte also – super.
„Ich will nicht wissen, was das ist, oder?“, stoße ich genervt aus. Er zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich an, als hätte ich ihn gerade gefragt, ob er mich heiraten will. Netter Gedanke – und so viel dazu, dass mich Jungs eigentlich kaltlassen.
„Du weißt nicht, was ein Molok ist?“, erwidert er ungläubig.
„Ich weiß, dass es wehtut, wenn es einen trifft – das reicht mir schon.“ Im nächsten Moment gibt mein Arm nach und ich sinke wieder Richtung Boden.
Seine Hand – korrigiere: Pranke – an meiner Schulter verhindert den erneuten Absturz. Bevor ich „Rune“ sagen kann, hat er schon einen Arm unter meine Beine gelegt und hebt mich hoch, als würde ich rein gar nichts wiegen. Das kam so überraschend, dass ich mich in sein Hemd kralle, das ich im nächsten Moment aber wieder freigebe, als sich unsere Blicke treffen. Das ist nahe – viel zu nahe.
Ein „Kannst du stehen?“, reißt mich dann aus meinem Schmachten.
„Denke schon.“ Der Koloss zieht seine Hand langsam zurück und bringt mich in eine aufrechte Position.
Als ich Bodenkontakt habe, lässt er mich los. Fehler, sag ich nur. Augenblicklich geben meine Beine nach und ich verliere bedenklich an Höhe.
Hätte er mich nicht geschnappt und würde ich nicht gerade an seine Brust gepresst den Schwindel wegatmen, wär das sicher eine Geschichte, über die man sich hinterher halb todlachen kann. So gesehen ist es einfach nur peinlich und ich drücke mich von ihm weg, nachdem ich wieder halbwegs fit bin.
„Du sagtest, du könntest stehen“, knallt er mir fast vorwurfsvoll an die Birne.
„Ich sagte, ich denke, ich könnte stehen. Da ist ein Unterschied“, belle ich zurück. Erst jetzt sehe ich, dass da noch zwei Keltenjungen stehen, die mich amüsiert mustern.
Mein Kommentar scheint sie zu erheitern – oder meine Kleider, wer weiß das schon so genau. Im nächsten Augenblick tue ich das, was man als Mädchen in so einer Situation am besten kann – ich zicke.
Mit vor der Brust verschränkten Armen entgegne ich ein ungeduldiges: „Ich warte.“
„Worauf?“, fragt er doch tatsächlich.
Ist das zu fassen. „Auf den Bus für gestrandete Zauberer“, spotte ich. Er lacht nicht. Kelte eben. Also ergänze ich: „Mann, auf eine Entschuldigung natürlich. Du hast mich ja mit dem Ding sauber aus dem Weg geräumt.“
„Ich sehe es so. Du warst meinem Molok im Weg“, kontert er. Was ?
„Dann wird sich dein Molok bei mir entschuldigen“, fordere ich ungeduldig. Keine zwei Sekunden später prusten alle drauflos – naja alle außer mir natürlich. Na toll. Ich bin wohl die reinste Lachnummer. Jetzt bin ich echt stinksauer.
„Weißt du was? Vergiss es einfach.“ Ein leichter Schwindel packt mich und ich wanke bedrohlich.
Sein Arm hält mich wieder in der Vertikalen. Prompt entreiße ich mich seinem Griff und mache auf dem Absatz kehrt. Ich lasse es mir nicht nehmen, ihm noch ein für ihn hörbares „Troll“ mit auf den Weg zu geben.
„ Wie war das ?“, knurrt er hinter mir.
„Du hast mich schon verstanden“, entgegne ich, mich umdrehend.
„ Du wagst es, mich zu beschimpfen“, raunt er forsch.
„ Du wagst es, über mich zu lachen, also wage ich es, dich zu beschimpfen. Dort wo ich herkomme, nennt man das ausgleichende Gerechtigkeit.“
„Und dort wo ich herkomme, steht auf Beleidigung ein Kampf.“ Er will echt was auf die Fresse. Okay.
Herausgefordert stelle ich mich ihm entgegen und strecke die Arme von meinem Körper weg. „Bringen wirs hinter uns, Kelte .“ Ihm ist gerade vor Verblüffung die Kinnlade runtergeklappt. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Als er sich gefangen hat, bricht er in Gelächter aus.
Toll, jetzt lacht er wieder über mich.
„Ich schlage keine Mädchen“, verkündet er eingebildet.
„Angst zu verlieren?“, spotte ich. Ja Melody, reiß die Klappe noch weiter auf. Okay, ich sollte ihn lieber nicht noch wütender machen.
„Du bist verrückt, Weib“, knallt er mir kopfschüttelnd hin.
„Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß“, brülle ich ihn an. Ups. Kurzer Kontrollverlust. Meine Stimme hallt sogar über die Ebene. Und verdammt, eine Träne hat sich aus meinem Augenwinkel gelöst. Das hat niemand gesehen. Hoffentlich. Vollkommen in Rage mache ich mich sprichwörtlich vom Acker und schimpfe vor mich hin.
Ungehobelte Rabauken diese blöden Kelten. Denken, sie können Frauen wie den letzten Dreck behandeln.
Mein Zuhause als Bruchbude zu bezeichnen, wäre noch ein Kompliment. Das Gebilde ist so wacklig und zusammengezimmert, dass ich Angst habe, es könnte beim nächsten Windstoß zusammenbrechen.
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