Alexander ließ sich erneut auf der Couch nieder, zappte noch ein bisschen durch die Kanäle und als er bemerkte, dass ihm ständig die Augen zufielen begab er sich in das Badezimmer um sich zu duschen und für das Bett zu richten. Eine Mütze Schlaf würde ihm sicherlich guttun. In der letzten Zeit war er ständig müde und lustlos. Während der Arbeit verging die Zeit wie im Flug. Doch abends saß er stets alleine in seiner Wohnung und grübelte. Er hatte hier noch keine Freunde gefunden. Wollte er das überhaupt? Diese Frage konnte er sich wohl nicht einmal selbst beantworten. Andererseits war es ziemlich langweilig jeden Abend alleine zu Hause zu verbringen. Von den Wochenenden ganz zu schweigen. Und immer wieder jede Menge Zeit zum Grübeln. Jedenfalls war Alexander nicht der Typ der so einfach Freundschaften schloss. Wo sollte er in dieser, ihm immer noch fremden, Stadt Leute kennen lernen? In Kneipen ging er so gut wie nie. Vielleicht sollte er sich bei einem Fitness-Club anmelden. Diesen Gedanken hatte er schon des Öfteren gehabt. Dort konnte man eventuell jemanden kennen lernen. Aber wären das dann auch die Menschen mit denen er sich gerne umgeben würde. Insgeheim hatte er das ein oder andere Vorurteil.
So in Gedanken versunken legte er sich, nachdem er noch einmal nach seinem „Hausgast“ gesehen hatte, in das Bett und versuchte zu schlafen. Obwohl er noch kurz zuvor kaum die Augen offenhalten konnte, so fiel ihm das nun in der Einsamkeit seines großen Bettes sehr schwer. Also knipste er das Licht der Nachttischlampe an und nahm seine Lesebrille und ein Buch um darin zu lesen. Doch irgendwann ertappte er sich dabei, dass er den gleichen Satz immer und immer wieder las ohne seinen Sinn zu verstehen. Das lag ganz einfach daran, dass seine Gedanken immer wieder abschweiften und ihm ständig das Bild eines lebhaften, blonden Lockenschopfes vor Augen erschien. Er senkte das Buch und zog die Brille ab. Lesen hatte keinen Wert, das sah er ein. Warum nur hatte ihn diese Frau heute so beeindruckt? Er hatte in den letzten Jahren doch ständig interessante und schöne Frauen kennengelernt. Allerdings hatte keine von ihnen auch nur annähernd die Wirkung auf ihn ausgeübt wie diese Sarah Ludwig. Dabei hatten sie doch kaum mehr als zwei-drei Sätze gewechselt. Aber ihre ganze Art, selbstbewusst, gleichzeitig schmollend und leicht trotzig wie ein kleines Kind, wie sie sprach und ihre Gestik, das alles hatte auf ihn gewirkt wie schon lange keine Frau mehr. Von ihrem Aussehen ganz zu schweigen. Einerseits hatte man ihr angesehen, dass sie erschöpft und ausgefroren gewesen war. Und trotzdem hatte sie eine natürliche Schönheit ausgestrahlt die vielen anderen Frauen fehlte. Und da war auch noch ihre Sorge um das kleine Wesen, dass sie kurzfristig in ihre Obhut genommen hatte. Sie war genau der Typ Frau bei dem Alexander Angst hatte doch noch einmal schwach zu werden. Obwohl sie sich so selbstbewusst gegeben hatte, hatte sie in ihm das Bedürfnis wachgerufen sie in den Arm zu nehmen, sie zu wärmen und zu beschützen. Wovor auch immer. Das alles war ihm in den wenigen Minuten durch den Kopf gegangen, die er mit ihr verbracht hatte. Wahrscheinlich würde er sie nie mehr wiedersehen und er wusste nicht ob er darüber enttäuscht sein sollte oder ob es nicht einfach so ganz gut war. Gedankenverloren schüttelte er den Kopf und legte Buch und Brille beiseite bevor er das Licht löschte. Nach einiger Zeit fand er sogar den erlösenden Schlaf. Allerdings spukte ihm im Traum immer noch ein blonder Lockenschopf durch die nächtlichen Gedanken.
Sarah verließ die Praxis und blieb kurz auf dem Treppenabsatz stehen, nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Sie nahm einen tiefen Atemzug und bemerkte erst jetzt, dass sie sich in seiner Gegenwart kaum getraut hatte Luft zu holen. Dieser Mann war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Auch wenn er zunächst arrogant gewirkt hatte, so sah man ihm bei der Arbeit doch an, dass er ein gutes Wesen besaß. Wie liebevoll er mit dem kleinen Streuner umgegangen war. Sie hatte sich bei dem Gedanken daran ertappt wie gerne sie an dessen Stelle auf dem Praxistisch gelegen hätte. Auf einmal kam ihr dieser Gedanke daran so lachhaft vor, dass sie tatsächlich kurz laut auflachen musste als sie die paar Schritte zu ihrem Fahrzeug ging. Sie startete den Motor und machte sich auf den Weg zurück nach Hause. Was für ein Tag. Und vor allen Dingen was für ein Abschluss dieses Tages. Es war Zeit, dass sie endlich nach Hause kommen würde und sich unter die warmen Wasserstrahlen ihrer Dusche stellte. Die ganze Aufregung mit dem Hund und dann dieser Mann... Erst jetzt wurde ihr bewusst wie sehr sie eigentlich gefroren hatte. Doch unter den Blicken von Alexander Lorenz war ihr seltsam warm geworden. Bisher hatte sie sich selten in Gegenwart eines Mannes so eingeschüchtert gefühlt. Normalerweise bot sie jedem noch so großen Macho stets Contra und wehrte reihenweise die Annäherungsversuche der verschiedensten Exemplare Mann kurzerhand und unmissverständlich ab. Doch dieser Lorenz war ein ganz spezieller Fall. Er hatte noch nicht einmal den Versuch eines Flirts bei ihr gemacht. Sie war nicht eingebildet doch sie wusste um ihre Wirkung auf Männer. Und nachdem sie das ein oder andere Mal auf die Nase gefallen war hatte sie für das Erste dieselbe voll und keine Lust auf eine weitere, früher oder später doch gescheiterte, Beziehung. Sie hatte sich fest vorgenommen ihr Singledasein in vollen Zügen zu genießen und außerhalb ihrer Arbeitszeiten, in ihrer Freizeit alles zu tun und zu lassen so wie sie es wollte ohne auf irgendjemanden Rücksicht zu nehmen. Noch gut konnte sie sich an ihre kurze Beziehung mit Robert erinnern. Sie hatte es tatsächlich gewagt und war bereits nach kurzer Zeit zu ihm gezogen. Was zu Anfang recht harmonisch begonnen hatte war im Alltagsstress des Zusammenlebens schon nach ein paar Wochen gescheitert. Was ihr vorher nicht klargewesen war; Robert war der reinste Pedant. Alles hatte seine genaue Ordnung. Und seiner Meinung nach hatte sie vom Tag ihres Einzugs bei ihm an dafür zu sorgen, dass diese Ordnung auch eingehalten wurde. Penibel achtete er auf jeden, noch so kleinen Wasserspritzer im Waschbecken und ein Krümel an der Brotschneidemaschine konnte ihn förmlich zum Ausrasten bringen. Es verging kein Tag ohne Streit und er war ständig darauf aus ihr vorzuschreiben wie sie zu leben hatte. Noch nicht einmal das Fernsehprogramm konnte sie selbst bestimmen. Er sagte ihr welche Kleidung sie tragen sollte wenn sie in die Arbeit ging, was sie essen, trinken und selbst wann sie zu Bett gehen sollte. Mal alleine mit einer Freundin oder Kollegin etwas trinken gehen....? Das war gar nicht drin. Roberts Eifersucht kannte keine Grenzen und so entschloss sie sich schon nach kurzer Zeit sich von ihm zu trennen. Alles was sie anfangs eventuell für ihn empfunden hatte war schon nach wenigen Wochen unter seiner Herrschsucht im Keim erstickt. Das war der Zeitpunkt gewesen wo Sarah sich entschloss so schnell keinen Mann mehr in ihr Leben zu lassen. Sie genoss es abends heimzukommen, ihre Klamotten abzustreifen und sich in Jogginghosen und T-Shirt mit einem großen Teller Spagetti vor die Glotze zu schmeißen. Wenn ihr danach war schlief sie einfach davor ein und niemand motzte mit ihr herum weil sie nicht rechtzeitig ins Bett gegangen war und der dreckige Teller noch auf dem Wohnzimmertisch stand. Männer.....wofür braucht man die eigentlich... das war ihre Devise. Und bis zu diesem Nachmittag empfand sie das tatsächlich auch so. Doch beim Anblick dieses Prachtexemplars heute Abend war es ihr sofort wieder eingefallen. Obwohl er so eisig und abweisend zu ihr gewesen war, oder vielleicht sogar gerade deswegen...? Auf jeden Fall hatte er auf sie und ihren Körper, dieser Verräter, eine überwältigende Wirkung gehabt.
Zu Hause angekommen parkte sie ihr Auto in die noch immer freie Parklücke und holte sich ihren mittlerweile leicht durcheinandergeratenen und zerbeulten Einkauf aus dem Kofferraum. Eilig machte sie sich auf den Weg in ihre Wohnung im zweiten Obergeschoss. Auf der Treppe begegnete ihr Frau Wiesner aus dem Erdgeschoss, die gerade dabei war zu dieser abendlichen Stunde noch die Treppe zu fegen. „Hallo Frau Wiesner, sie sind ja wieder mal fleißig .... wie immer halt.“ lächelte sie der netten Nachbarin entgegen. „Hallo Frau Ludwig. Sie sind aber heute spät dran. War es heute so stressig auf der Arbeit?“ „Nein nein...... aber das erzähle ich ihnen gerne morgen wenn sie möchten. Ich besuche sie morgen Nachmittag auf einen Tee oder Kaffee wenn es ihnen Recht ist, jetzt will ich nur noch was essen und ins Bett.“ „Na dann wünsche ich ihnen einen erholsamen Abend. Ich freue mich doch immer wenn sie mich besuchen.... sie wissen ja....ich bin immer daheim.“ Sarah nickte ihr lächelnd ein letztes Mal zu und tätschelte ihr im Vorbeigehen die Schulter. „Also bis morgen dann. Ich bringe was Süßes mit.“
Читать дальше