Thomas Ays
Ihr Versuch zu leben
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Inhaltsverzeichnis
Titel Thomas Ays Ihr Versuch zu leben Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1 Kapitel 1 Prolog Wenn sie lächelte, lag keine Freude darin. Es war eine geborgte, vorrübergehende Grimasse. Sie legte dieses Lächeln an wie eine Halskette, die sie nicht besonders schickte. Doch dieses Gefühl, in diesem Moment, war echt. Als stamme es aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Es war der Moment, in dem Katharina starb. Sie war 87 Jahre alt und hatte ihr Leben gelebt. Ein Leben, in dem sie ihr geborgtes Lächeln öfter gebraucht hatte, als ihr echtes. Sie spürte einen Sommerregen auf der Haut und sah einen Bauernjungen mit einer großen Nase und abstehenden Ohren, wie er sie anlächelte. Sie sah ihr kleines Mädchen und ihren Jungen, wie sie beide in ihren Armen lagen, nach der Geburt blutverschmiert und in eine Decke gewickelt. Sie sah ihre Schwägerinnen und sie sah ihre Mutter. Ihr wollte sie doch noch so viel sagen und hatte die Gelegenheit doch immer verpasst. Nun gab es eine zweite und sie wusste, dass sie es nun endlich tun konnte. Dass sie es tun konnte, aber nicht mehr musste. Weil es gut war. Weil es nun nichts mehr gab, was ihre Seele schwer machte. Sie lächelte. Sie lächelte bis das Leben aus ihr wich und es endlich friedlich in ihr wurde.
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Impressum neobooks
Prolog
Wenn sie lächelte, lag keine Freude darin.
Es war eine geborgte, vorrübergehende Grimasse.
Sie legte dieses Lächeln an wie eine Halskette, die sie nicht besonders schickte.
Doch dieses Gefühl, in diesem Moment, war echt.
Als stamme es aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben.
Es war der Moment, in dem Katharina starb.
Sie war 87 Jahre alt und hatte ihr Leben gelebt.
Ein Leben, in dem sie ihr geborgtes Lächeln öfter gebraucht hatte, als ihr echtes.
Sie spürte einen Sommerregen auf der Haut und
sah einen Bauernjungen mit einer großen Nase und abstehenden Ohren, wie er sie anlächelte.
Sie sah ihr kleines Mädchen und
ihren Jungen,
wie sie beide in ihren Armen lagen,
nach der Geburt blutverschmiert und in eine Decke gewickelt.
Sie sah ihre Schwägerinnen und
sie sah ihre Mutter.
Ihr wollte sie doch noch so viel sagen und hatte die Gelegenheit doch immer verpasst.
Nun gab es eine zweite und sie wusste, dass sie es nun endlich tun konnte.
Dass sie es tun konnte, aber nicht mehr musste.
Weil es gut war.
Weil es nun nichts mehr gab, was ihre Seele schwer machte.
Sie lächelte.
Sie lächelte bis das Leben aus ihr wich und es endlich friedlich in ihr wurde.
DAS MÄDCHEN
Bayern, Großdeutschland, 1940
Die Farbe war aus absolut allem gewichen, was sonst selbstverständlich satt und berauschend war. Das Grün der Wiesen, das Blau des Himmels, selbst das abgeblätterte Braun der Ställe. Doch ein Jahr nach Kriegsbeginn gab es diese Art Farben nicht. Das Leben auf dem Land war trist und blass. Trist und blass wie die Menschen.
Ein nicht gelebtes Leben.
Die meisten existierten nur wegen ihrer Höfe, ihrer Tiere und ihrem Geschick der Selbstversorgung. Es ging ihnen nicht schlecht, wohl auch, weil der Führer, Adolf Hitler, sie scheinbar vergessen hatte. Oder sie waren mit ihrem vermeintlich landwirtschaftlichen Intellekt nicht wichtig genug. Der Fokus lag auf den Städten, groß und klein, und nicht auf dem Land, nicht bei den Bauern. Die kamen erst später ins Spiel um Nachschub und Vaterlandsverteidigung. Hier, im Jahr 1940 und ein Jahr nachdem die große Hoffnung NSDAP der Welt den Krieg erklärt hatte, waren viele schon involviert und dabei sich auf Feindkontakt vorzubereiten – wenn sie ihn nicht schon kennengelernt hatten.
In dem Wenige-Seelen-Ort Dürrbrunn war Katharina 1918 zur Welt gekommen. Sie war eines dieser Kriegskinder des Ersten Weltkrieges, die in eine Zeit und in eine Welt hineingeboren wurden, in der das Wort Zukunft keinerlei Bedeutung hatte. Das Hier und Jetzt zählte und wie man den kommenden Winter hinter sich bringen konnte ohne zu erfrieren oder zu verhungern. Ob man innerlich verkümmerte, daran zu denken hatte keinen Platz. Zur Verfügung stand eine erkaltete und mürrische Mutter.
Katharina wusste später nicht mehr, wie ihre Mutter den Gasthofbesitzer Karl kennenlernt hatte. Sie konnte sich weder an die Hochzeit, noch an die ersten Jahre zu Dritt wirklich erinnern.
Es hatte seine Gründe.
Karl ignorierte Katharina. Dessen Sohn Erwin allerdings ignorierte Katharina nicht. Im Gegenteil. Er schubste, ärgerte und beschimpfte sie, wann immer er konnte.
Als ihre Mutter wieder ein Kind bekam, war Katharina acht Jahre alt. Gleichzeitig wurde sie zu einem ärgerlichen Störfaktor, weil es nun andere Kinder gab, die wichtiger waren. Ein Störfaktor, der weg musste. Anni gebar noch weitere zwei Söhne, was Katharinas Stellung immer schwächer werden ließ.
Es gab keine Liebe, noch immer nicht.
Keine Liebe zu Karl, keine zu Katharina und auch keine zu irgendeinem anderen Kind in dieser Familie. Katharina hätte eine Emotion dazu entwickeln können, doch sie wusste nicht, wie das geht und so entschied sie sich dazu, dass es ihr schlichtweg nichts ausmachte. Sie war ein aufgewecktes Mädchen mit klarem Verstand und einem klugen Kopf für die Welt, in der sie lebte. Sie verbrachte wenige, freie Stunden mit Freundinnen, die sie in ihrer viel zu kurzen Schulzeit kennengelernt hatte. Von Lehrern wurde sie nicht gefordert und zuhause hielt man sie bestenfalls für eine dumme Magd. Eine dumme Magd, die keine Wiederworte gab. Katharina spielte die Rolle im Elternhaus mit, schluckte jede gemeine Demütigung und konzentrierte sich darauf den jeweiligen Tag hinter sich zu bringen. Darum ging es: Zu überleben. Sie wuchs auf wie ein Kind zweiter Klasse und ihr Lebensmotto war von Beginn an gewesen:
Du gehörst zu niemandem.
Im Jahr der Machtergreifung, im Januar 1933, Katharina war 15 Jahre alt, starb ihre Mutter. Wie bei jedem anderen Kind auch, war das auch für Katharina ein einschneidendes Erlebnis. Doch sie fühlte nichts. Sie schaffte es zwar, ein paar Tränen zu vergießen, doch das Mädchen begriff nicht, welchen Verlust sie gerade erlebt hatte. Sie hatte auch keine Zeit es zu realisieren, denn nur kurze Zeit später begann sie im stiefväterlichen Gasthof zu arbeiten. Doch auch hier war sie nichts wert.
Die Mutter tot, wollte Karl nicht für immer ein Kind in seinem Haus haben, dessen Vater er nicht war. Im Sommer 1940, mit 22 und ihm nicht mehr nutze, zog sie deshalb in das 18 Kilometer entfernte Forchheim. Ihr Stiefvater hatte ihr, nicht ganz uneigennützig, eine Stellung bei Fabrikfamilie Schmid verschafft. Katharina sollte dort als Hausmädchen das heimische Familienleben zuhause nicht weiter stören. Es hatte Karl einiges gekostet, das ungebetene Balg derart effizient loszuwerden, wohl auch, weil Familie Schmid nichts von ihm und seinem Gasthaus hielt. Sie hatten eine gute Menschenkenntnis.
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