Es dauerte, bis sie sich wieder auf ihr Kissen sinken ließ. Sie dachte darüber nach, was Frau Schmid gesagt hatte.
Es hat ihn also einiges gekostet, mich hier unterzubringen.
Sie hätte sich verkauft fühlen können, wie ein Stück Fleisch, das man nun doch nicht mehr essen will – oder das schon schlecht geworden war. Wäre sie in einem behüteten Zuhause aufgewachsen, es hätte ihr vermutlich etwas ausgemacht. Beschützt von inneren, ambitionierten Wächtern wusste Katharina, dass sie nichts wert war und dass es nur eine logische Konsequenz darstellte, dass man sie nicht haben wollte. Doch Katharina fühlte solche Dinge nicht, sie war sogar erleichtert darüber, dass sie nun hier war und als sie endlich einschlief, hatte sie ein Lächeln auf den Lippen, weil er, der größte Geizhals vor dem Herrn, so viel hatte geben müssen, um sie los zu werden. „Ich hoffe, es hat dir richtig weh getan.“, flüsterte sie und fiel in einen traumlosen und tiefen Schlaf.
In den folgenden Tagen nahm das hauswirtschaftliche Leben Form an. Christel wies sie in das Haushaltsleben des Alltags ein und unterwies sie in die unterschiedlichen Tätigkeiten in den vielen Zimmern, erzählte ihr Geschichten und Gerüchte über die Herrschaften und hatte ganz offensichtlich einen Drang zum Tratsch. Katharina genoss es.
Jeden einzelnen Tag.
Sie arbeitete hart, ging der Hausherrin aus dem Weg und ließ sich nur dann in den entsprechenden Stockwerken blicken, wenn sie wusste, Frau Schmid war nicht ebenfalls in der Nähe.
Von dem Herrn des Hauses war weit und breit keine Spur. Es hieß, er würde noch eine weitere Woche geschäftlich in Nürnberg bleiben. Katharina war es recht, sie hatte mit Männern sowieso kein glückliches Händchen. Sie machte sich keine Illusion, dass es hier anders sein würde.
Während sie mit Christel die Wäsche auf die Leinen hängte, spürte sie die warme Sommersonne in ihrem Nacken. Was war das plötzlich für ein Gefühl in ihr? Sie war ganz offensichtlich zufrieden.
Glücklich.
Un-einsam.
„Hörst du mir eigentlich zu?“, Christel stand neben ihr und verschränkte die Arme. „Ich rede und rede und rede und du? Du hörst nicht mal hin.“
„Doch, doch. Entschuldige.“, begann Katharina.
„Ach schon gut. Ich rede ja sowieso zu viel. Ich weiß das. Meine Mutter sagte mir das auch ständig. Aber eigentlich stört es mich nicht.“ Sie grinste frech „Es macht mich einzigartig. Und vor allem macht es mich unendlich wertvoll. Weißt du warum?“ Sie sah Katharina fragend an.
„Ich habe keine Ahnung.“, grinste Katharina
„Weil diese Gruft, die wir Haupthaus nennen, sonst nicht zu ertragen wäre.“
Beide lachten.
„Mädchen!“, schrie Maria von der Terrasse in den Garten. Katharina und Christel ließen die Wäsche in die Körbe fallen und eilten zu der Köchin. Ihr roter Kopf und ihre schwitzigen Hände zeigten deutlich Alarmsignale. Als sie bei ihr ankamen, tobte Maria los. „Heute Abend haben wir eine Gesellschaft zum Essen. Richtet das große Esszimmer her.“
„Wie viele?“, fragte Christel sofort. Es schien, als ob die beiden in einer Art Notfallsituation ihren eigens kreierten Prozessablauf abspulten.
„11. Mitsamt den Herrschaften.“
„ER kommt wieder? Schon?“
„Ja. Ihr habt nicht viel Zeit. Beeilt euch. Ich brauche euch danach in der Küche. Ich fahre in die Stadt und besorge die nötigen Dinge für das Essen.“ Maria rauschte davon und Katharina wollte schon Christel hinterhereilen.
„Nein. Mach die Wäsche fertig und sorge dafür, dass die Leinen später wieder leer sind, wenn die Gäste kommen. Manchmal gehen sie bei schönem Wetter noch auf die Terrasse. Wenn Frau Schmid dann noch Wäsche auf den Leinen sieht, macht sie uns beide einen Kopf kürzer.“, erteilte Christel Befehle. „Und ich mag meinen Kopf.“, schickte sie grinsend hinterher, als sie schon fast bei der Terrassentür war. Sie drehte sich um. „Er ist ja auch etwas ganz besonderes.“ Sie warf sich theatralisch das nicht vorhandene lange Haar nach hinten, blinzelte hektisch und stolzierte wenig grazil davon. Katharina schüttelte den Kopf und lachte. Dann eilte sie in den Garten.
Es war bereits Nachmittag, als Katharina beladen mit Wäsche den Gang entlanghetzte, um sie noch am richtigen Platz verschwinden zu lassen. Christel war mit Maria in der Küche beschäftigt und auch sie sollte ihnen gleich zur Hand gehen. Als sie die großen Laken korrekt gefaltet und ordentlich zu den anderen in den großen Schrank gelegt hatte, stürmte sie zur Tür hinaus - und stand vor den Herrschaften.
Vor beiden.
Frau Schmid stand neben ihrem Mann mit einem säuerlichen Gesichtsausruck und starrte Katharina an. Sie war ganz offensichtlich nicht auf sie böse.
„Ah. Katharina.“, begann sie. „Das ist Katharina.“ Sie deutete erklärend auf sie, was eigentlich nicht nötig war. Es war ja sonst niemand hier.
„Der Bastard des Wirts?“
„Der Wirtin, wenn schon. Er ist nur der Stiefvater. Und auch das spielt keine Rolle. Sie ist ja nun hier – dank dir.“ Sie sah ihren Mann nicht an während sie mit ihm sprach sondern sah ungewandt zu Katharina.
„Ich hätte ja auch mal Glück haben können. Doch nein, wieder eine hässliche.“ Er ging an Katharina vorbei Richtung Treppe und steckte sich dabei eine Zigarette an. Katharina stand wie vom Donner gerührt vor Frau Schmid und wusste nicht, was sie nun tun sollte.
„Du kannst gehen.“, sagte Frau Schmid und ging den Flur Richtung Schlafzimmer weiter als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen. Christel hatte also recht gehabt. Er war tatsächlich ein Widerling.
Sie kam wenig später in der Küche an, wo dampfende Töpfe und das feine Geschirr bereitstanden. Der Nebel verhüllte den Raum und machte es Katharina kurz nicht möglich ihre Kolleginnen zu erkennen.
„Da bist du ja.“, Christel packte Katharina am Arm und stellte sie an der Arbeitsfläche am Fenster ab. „Beeil dich mit den Kartoffeln.“, und machte sich selbst wieder an ihre Arbeit. Maria war eine fantastische Köchin. Sie hätte es vermutlich niemals laut gesagt, aber man spürte, dass sie mit Leidenschaft bei der Sache war und dafür lebte. Sie schmeckte x-mal ab und war ein echtes Organisationstalent. Wenn sie derart beschäftigt war, vergaß sie sogar zu schimpfen und zu zetern. Sie war ganz bei der Sache, bei ihrem Essen.
„Wer kommt denn?“, traute sich Katharina zu fragen, als sie einigermaßen auf dem Laufenden waren. „Jemand wichtiges?“
„Spielt das eine Rolle?“, blaffte Maria „Es sind Gäste. Wichtig oder unwichtig, sie haben Hunger und wir müssen dafür sorgen, dass sie satt werden. Christel übernimmt die Bewirtung, du hilfst mir mit Anrichten und vorbereiten.“
Trotz dass Maria wieder zu alter Form auflief, fühlte sich Katharina als Teil einer Gemeinschaft. Maria akzeptierte sie anscheinend nach nur wenigen Tagen. Sie wurde nicht gelobt.
Nie.
Mehr war nicht wichtig. Maria sagte nicht, sie solle verschwinden. Ein größeres Kompliment gab es nicht, als das, dass sie sie neben sich in ihrer Küche duldete. Sie arbeiteten, richteten und kümmerten sich um die diversen Gänge. Katharina wurde es zeitweise ganz schwindelig anhand der Fülle an Essen. Zuhause gab es dank des Hofes und des Gasthauses zwar auch immer ausreichend Mahlzeiten, diese Fülle an hochwertigen Speisen jedoch? Für Katharina war das nur schwer zu fassen, welches Leben die Herrschaften hier führten. Ganz selbstverständlich und aufgesetzt fröhlich.
Während an anderen Orten Bomben fielen.
Der Abend verlief zufriedenstellend. Es kamen nur leere Teller zurück, was Maria zu geradezu euphorischem Hintern wackeln inspirierte. Sie schwebte durch die Küche, spülte und putzte. Als Christel hereinkam und weitere Teller abstellte, flüsterte sie Katharina zu: „Es fehlt noch, dass sie anfängt zu singen.“ Beide grinsten.
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