1 ...6 7 8 10 11 12 ...29 Ich legte mich mit diesen plötzlichen, entsetzlichen Kopfschmerzen neben sie und rührte mich eine Weile nicht. Eine raue Bewegung ihrer Hand an meiner Schulter erschreckte mich und verwundert nahm ich wahr, dass sie zornig war, als ich ihr meine Kopfschmerzen erklären musste.
Die Aufklärung dieses Ereignisses kam etwas später in einem arabischen Restaurant, welches wir danach aufsuchten, um uns wieder zu finden. Sie berichtete mir von ihrem Vater, der sie als kleines Mädchen missbraucht hatte, und ihrer Mutter, die davon wusste, es jedoch verleugnete. Im Gegenteil, wie ich später erfuhr, war Silvia nicht etwa die Bürohilfe, die sie vorgab zu sein, sondern eine "freischaffende" Prostituierte, die ihre Eltern mit Geld und Geschenken überhäufte, was diese gerne geschehen ließen. Einfältige, geordnete Bürgerlinge ohne geistige Tiefe und ohne Würde.
Genau wie ich, der es sich gefallen ließ, durch die Aufnahme in der Unterwelt der Prostitution meinem Elternhaus entwachsen zu sein, Vater und Mutter mit jedem Beischlaf, der sehr willig gegeben wurde, zu ohrfeigen und zu töten.
Ihr schüchternes "Ich muss dir etwas sagen, weil ich nicht länger lügen kann!", und "Jetzt magst du mich bestimmt nicht mehr!", nachdem sie mich eingeweiht hatte, ging in meinem entrüsteten "Klar, mag ich dich noch!", unter, auch wenn es mir einen Knoten im Magen bescherte, gleichzeitig aber die Gewissheit aufkommen ließ, dass nun alle meine unerreichbar scheinenden sexuellen Träume mit einer Leichtigkeit Erfüllung finden würden, dass mir ein wenig schwindelte.
Überhaupt war und bin ich der Meinung, dass nur eine Prostituierte eine wirklich verehrenswerte Frau ist, eine Frau, die in der Lage ist, ihre Weiblichkeit zu jeder Zeit bereitwillig zu verschwenden an den Mann, im schöpferischen Akt der Liebe und des Aufgehens im Augenblick des ekstatischen Glückes. Die den Mann bereitwillig aufnimmt, auf dass er sich ihr hingebe. Ich habe nie verstanden, wieso die katholische Kirche so ein Geschrei um die "unbefleckte Empfängnis" Marias macht, als wenn der Sexualakt, also die Vereinigung zweier Körper und Seelen im Moment der sexuellen Ekstase, ein schmutziger, verabscheuungswürdiger Akt sei und nicht der Ausdruck der Schöpfergottheiten, wie auch immer sie genannt werden mögen, selbst.
Ich war also auf das höchste entzückt, wie die Dinge liefen und gleichzeitig beleidigt, dass sie nicht dem Standard entsprachen.
Die nachfolgende Zeit eröffnete sich mir eine ganz neue Welt. Da war einmal die Leichtigkeit, mit der Silvia unglaubliche Mengen Geld verdiente, indem sie jede Moral in den Wind schlug, wie sie von ihrer "Arbeit" sprach, wenn sie ihre Tätigkeit als Prostituierte meinte, wie sie die zudringlichen Zuhälter abhielt, ihr Gewalt anzutun, die Hausmeister der angemieteten Appartements beruhigte, die mit Beschwerden gutmenschlicher Anwohner zu ihr kamen und nicht zuletzt ihre ganz biedere, verzweifelte Sehnsucht nach einem Heim, einen normalen Freund und einem ganz bürgerlichen, spießigen Leben. In diesem ihrem Traum stellte ich Letzteres dar und als mir dies bewusst wurde, begann der Bruch zwischen uns. Sie wollte dahin, wo ich gerade herkam.
Ich begann, andere Frauen neben ihr zu haben, was zu derartigen explosiven und gewalttätigen Eifersuchtsszenen führte, dass ich kurzentschlossen all meine studentischen Habseligkeiten in einen VW-Bus packte und nach Italien floh.
Sizilien, wo ich der Vision eines Cannabisrausches folgend, nach einem weißen Haus mit ionischen Säulen suchen wollte.
Dies, glaube ich, war genau der Beginn, als das Siegel in mein Leben zu treten begann.
Derart in meinen Erinnerungen tastend, erreichte ich ein Café, bei welchem ich fast die Tür einrannte, da ich deren Glasscheibe übersah, jedoch mein Spiegelbild erkannte, kurz bevor ich schmerzhaft mit dem Kopf dagegen stieß.
Beim Zurücktaumeln kam mir schlagartig Stromboli in Erinnerung. So war es auf der Bergspitze des Vulkans, der in unsere Richtung explodierte.
Ich hatte mich in Vulkano, einer kleineren der aeolischen Inseln mit meinem VW-Bus eingerichtet und ein leidlich freundschaftliches Verhältnis zu einigen Insulanern gefunden, die mich zuerst misstrauisch beäugten, als ich länger blieb wie die übrigen Touristen zu der Jahreszeit. Es war November oder Dezember, glaube ich. Sie sahen mich zuerst offenbar irgendwie als Eindringling in ihre private Welt an, von der sie nach der Abreise der letzten Touristenmassen von der Insel wieder Besitz ergriffen. Der kleine, nach Schwefelgasen und faulen Eiern riechende Hafen beherbergte zwei Restaurants, ein größeres zur linken, das für die Touristenströme eingerichtet war, und ein kleines direkt am Hafenbecken, für die Angestellten der Fähren und die Einheimischen. Über das größere, dessen Namen mir entfallen war, herrschte Emilio, ein typischer sizilianischer Macho und über Emilio herrschte Josefina, seine Frau, von ihrem Haus aus, welches in Sichtweite der Restaurantbar lag. Dort lernte ich ein deutsches Studentenpärchen kennen. Sie waren auf dem Weg zum einzig ununterbrochen tätigen Vulkan Europas, dem Stromboli. Ich schloss mich ihnen an.
Dort angekommen, begannen wir am frühen Morgen, bewaffnet mit Schlafsack, Verpflegung und zwei Flaschen Marsalawein, den Aufstieg auf den 900 Meter hohen Vulkankegel. Dieser war nicht sehr beschwerlich, da ein gut ausgetretener Pfad den Weg zum Hügel markierte.
Je höher wir kamen, desto heftiger vernahmen wir das Fauchen und Brausen der Vulkanschlote, desto stärker wurde das Beben unter den Füßen, sobald diese ihre Dämpfe düsenstrahlähnlich in die Lüfte entließen. Wir überquerten kurz vor dem Gipfel einen Pass, durch den giftige Schwefeldämpfe zogen. Nur unserer jugendlichen Leichtfertigkeit war es zu verdanken, dass wir weitergingen und die Stelle unbeschadet passierten, indem wir einfach die Luft solange wie möglich anhielten. Hinterher lagen wir lachend auf dem Gipfel und genossen den wunderbaren Blick auf das aeolische Meer und die unregelmäßig verteilten zuckerhutartigen Erhebungen der anderen Vulkaninseln.
Zum eigentlichen Schlot ging es wieder ein wenig bergab und um den gewaltigen Krater führte ein schmaler Grat, der auf der einen Seite zum aschebedeckten Bergrücken und auf der anderen Seite in den tödlichen Schlund des Vulkanschlotes abfiel. Dort lagerten wir, wie auch einige andere Wagemutige übrigens, und warteten auf die Nacht.
Wir vertrieben uns die Zeit damit, zu raten, welcher der vier sichtbaren Schlote als Nächstes seinen Inhalt in Form gelbbrauner, weißer oder grauer Gaswolken, vermischt mit kleinen Bocken rotglühender Lava entlassen würde. Die meisten Eruptionen gingen in Richtung Meer, so dass wir uns relativ sicher fühlten. Auch tat der schwere Marsalawein ein Übriges. Nur dies kann erklären, warum wir es nächtens irgendwann einmal wagten, näher zum Kraterrand heranzugehen, denn von unserem Lagerpunkt aus konnten wir zwar den Dampf, nicht jedoch die rotglühende Lava auf dem Grund des Kessels erblicken.
Der Vulkan wurde auf einmal merkwürdig ruhig. Die vorher so eifrige, fast regelmäßige Aktivität, die Erschütterungen des Bodens ließen nach, das Düsenjetgeräusch der entlassenen Gase und Gesteinsbrocken verstummte. Als dies einige Minuten anhielt, machten wir uns auf, den Grat hinunter zu verfolgen, bis wir einen besseren Einblick in den Kessel erhalten würden.
Ich weiß nicht, was mich warnte. Ich weiß nur noch, wie sich ein Gedanke plötzlich wie ein Fremdkörper in meinem Gehirn formte, der mir wie eine fremde Stimme vorkam und mir das Bild eines explodierenden Dampfkessels eingab. Mir wurde plötzlich geradezu körperlich bewusst, welch ungeheurer Druck sich im Inneren des Vulkans aufbauen musste, wenn das Ventil, welches die vier rauchenden Schlote darstellten, verstopft wäre. Dies drang mit solcher unerwarteten Klarheit durch meinen Alkohol geschwängerten Geist, dass ich unvermittelt stehen blieb und schrie: "Weg, zurück, der explodiert gleich!", und mich zur Flucht umdrehte. Dies geschah keine Sekunde zu früh. Ich war noch keine 20 Schritte wieder den Pass hinauf geeilt, da erhob sich der Vulkan gegen uns mit einer derartigen Wucht, dass ich einige Meter weiter geschleudert wurde und zu Boden fiel, während kartoffeldicke rotglühende Lavabrocken um mich herum nieder stürzten. Meine Begleiter hatten nicht so viel Glück. Das Mädchen wurde von einen Brocken direkt hinter ihrem Ohr getroffen mit der Folge, dass sofort eine dicke Brandwunde entstand, sämtliche Haare im Umkreis von gut 5 cm verkohlt waren, und der junge Student hatte über und über Brandlöcher in seiner Kleidung zu beklagen. Auch von den anderen, noch dort verbliebenen Schaulustigen hörten wir Geschrei und Wehklagen. Wie durch ein Wunder kam niemand zu Tode. Der Vulkan hatte nur mit dem Finger gedroht.
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