Es erwies sich jedoch, und dass sage ich aus den Berichten des Informanten schlussfolgernd, dass jeder, der mit dem Siegel beschäftigt war, allzu sehr an sich selber dachte und das Verlangen spürte, selbst in den Besitz der daraus gewonnen Erkenntnisse zu gelangen, unter Ausschluss der Mitbrüder!"
"Und?", fragte Rheinsberg verständnislos.
"Du kennst dich mit den Prinzipien der Bruderschaft nicht aus, Ferdinand. Ein solches Verhalten hätte früher zum Ausschluss aus der Bruderschaft geführt ...", er machte eine Pause, "mit den allergrößten Nachteilen für Leib und Leben!"
Rheinsberg nickte. Er hatte so etwas bereits von anderen Bünden gehört, dies jedoch ein wenig in den Bereich der Fabel angesiedelt.
"Und warum interessiert sich z. B. der Heilige Stuhl dafür?", fragte er nach?
"Auch dorthin gibt es offenbar eine undichte Stelle in der Bruderschaft. Der Zusammenhang ist recht offensichtlich. Wenn es sich um einen Gegenstand handelt, der der kirchlichen Lehre zuwider laufen sollte, so muss dieser
unbedingt entschärft werden, vorsorglich!", erwiderte er vorsichtig. "Und, dann gibt es da noch eine andere Überlegung. Möglicherweise wäre der Gegenstand auch von militärischer Bedeutung, was sich wirtschaftlich als sehr vorteilhaft erweisen könnte."
Rheinsberg lachte kurz auf.
Von Arnheim schaut ihn leicht verärgert an, woraus er schloss, dass dieser es wirklich ernst gemeint haben musste.
"Warum ist dann nicht die ein oder andere Seite bereits im Besitz des "Gegenstandes?", fragte er nach.
"Ich habe davon abgeraten!", erwiderte von Arnheim ruhig.
"Abgeraten?", fragte Rheinsberg erstaunt.
Von Arnheim nickte: "Interessenten gäbe es inzwischen genug, glaub mir Ferdinand. So eine Angelegenheit lässt sich nicht auf Dauer vertuschen. Aber ..."
"Aber?", echote Rheinsberg.
"... Es gibt inzwischen einen mysteriösen Mord in diesem Zusammenhang ..."
"Dieser Psychiatrieprofessor? Wie hieß er noch?"
"Herold", half von Arnheim aus.
"Und?", fragte Rheinsberg interessiert nach?
"Nun, bei nüchterner Überlegung kann man zweierlei daraus schließen. Erstens wurde das "Siegel" möglicherweise als Mordwaffe verwendet und zweitens war Herold von einer interessierten Seite schon vor vielen Jahren in die Bruderschaft eingeschleust worden, um sich den Einfluss dort zu sichern."
Rheinsberg zog fragend die Augenbrauen hoch, doch von Arnheim wehrte mit eindeutiger Geste ab.
"Top secret! Es besteht jedoch der Verdacht, dass er störte, möglicherweise!"
Rheinsberg schwieg, doch seine Zweifel waren noch nicht ausgeräumt.
"Und die Herkunft des ›Siegels?‹"
"Im Ungewissen - noch!"
"Deine Schlussfolgerung ist, dass es zerstört wurde?"
Von Britzen lächelte leicht. "Eine höchst private Meinung. Der Orden zersetzt sich, seit er im Besitz dieses Gegenstandes ist. Für einen Außenstehenden ist dies vielleicht nichts Besonderes, aber zudem scheinen sich bei den Mitgliedern der Bruderschaft merkwürdige Fehlwahrnehmungen auszubreiten. Möglicherweise eine Folge der erhöhten Strahlung, der sie sich aussetzen oder ausgesetzt haben, aber dennoch bemerkenswert, da es sich nicht prinzipiell um bekannte Strahlenfolgen handelt, wie ich erfuhr."
"Worin bestehen diese Fehlwahrnehmungen denn?", fragte Rheinsberg.
Von Arnheim lächelte überraschend bubenhaft:"Jetzt halte dich fest, Ferdinand! Sie glauben, Bienenschwärme zu beobachten, die in merkwürdigen Mustern schwärmen, sich ungewöhnlich verhalten und ..."
"... und?"
"Sie sehen Löcher und Muster in zufälligen Strukturen um sich herum."
"Löcher und Muster, worin?"
Von Arnheim zuckte mit den Schultern, machte eine hilflose Geste. "Scheinbar in allem, in Schatten, in den Wolken, in der Maserung des Fußbodens oder von Kacheln und so weiter!"
Rheinsberg lachte auf. "Scheint so, dass ihr oberster Psychiater ansteckend war?"
Unerwartet teilte von Arnheim aber seine Fröhlichkeit nicht.
"Leider bleibt das Phänomen scheinbar jedoch nicht auf die Bruderschaft begrenzt, sonst würde ich dir gerne zustimmen."
"Wie das?", fragte Rheinsberg irritiert nach.
"Es gibt offenbar Hinweise von Meeresbiologen, dass manche Fischschwärme ganz unerwartete Verhaltensweisen angenommen haben. Sie bilden geometrische Muster und scheinen die Fähigkeit entwickelt zu haben, Netzen und Ortungsstrahlen auszuweichen, so dass die Fangerträge sich seit kurzem teilweise drastisch vermindern."
Rheinsberg starrte ihn mit offenen Mund an.
"Wie jetzt?"
"Es ist, wie ich sage, ich sehe da einen möglichen Zusammenhang."
Rheinsberg kannte von Arnheim lange genug, um ihn für außerordentlich seriös und vorsichtig zu halten. Das war Anlass genug, ihm vorsichtig Glauben zu schenken. Eine Frage nagte nun an ihm, warum hatte er ihn zu diesem Gespräch eingeladen?
Von Rheinsberg schien seine Gedanken lesen zu können.
"Ferdinand, wir kennen uns nun lange genug, um uns gegenseitig vertrauen zu können. Ich brauche deine Hilfe in dieser delikaten Angelegenheit."
Rheinsberg sah, dass von Arnheims Hand leicht zitterte, mit der er sein Weinglas wieder abgestellte und sah ihn aufmerksam an.
"Nun?"
"Lass nachprüfen, ob der Gegenstand, das Siegel, noch dort ist, wo es vermutet wird!"
"Wie ... ?", fragte Rheinsberg ungläubig.
"Du verfügst über gute Kontakte zur Kernkraftwerksindustrie. Dort gibt es das nötige Know-how, um jemanden vor Ort zu schicken, der sich dort umsehen kann."
Rheinsberg sah von Arnheim lange an. Hatte der den Verstand verloren?
Doch von Arnheim machte nicht den Eindruck, dass er spaße.
"Es ist wichtig, dass du vorerst die Fuzzis vom Militär heraushältst, bis wir sicher sind. Es muss diskret geschehen, aber schnell. Geld spielt keine Rolle."
"Du meinst, nicht einmal die gängigen Geheimdienststellen wissen um die Angelegenheit?"
Von Arnheim zog die Schultern hoch. "Wenn doch, dann weiß ich nichts davon!"
Rheinsberg fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Die Sache schmeckte ihm nicht.
Er erwiderte von Arnheims Blick, der forschend auf ihm ruhte, lange. Dann nickte er langsam. "Ich könnte da vielleicht was arrangieren", meinte er leise.
"Was weiß die Bruderschaft darüber?"
"Adalbert hat sich vertraulich an mich gewandt, gestern!", antwortete von Arnheim.
"Adalbert?", fragte Rheinsberg ungläubig nach. Das war, als wenn sich die Maus an den Fuchs wendet mit der Bitte um Hilfe.
"Na ja, eigentlich der jetzige Großmeister im Auftrag von Adalbert!", nickte von Arnheim, ohne dass sich auf seiner Miene ablesen ließ, was er dazu dachte. Die beiden Männer, Adalbert und von Arnheim, waren in vielerlei Hinsicht erbitterte Gegner. David gegen Goliath und Goliath war von Arnheim.
Rheinsberg schwieg erschüttert.
Die Angelegenheit schien nicht nur ernst, sie musste von höchster Brisanz sein, denn von Arnheim war nur der Kapitän, der das Schlachtschiff der Habsburg-Stiftung steuerte, nicht der Eigentümer. Wenn von Arnheim Gelder einsetzen konnte, die nicht den unmittelbaren Zielen der Stiftung entsprachen, dann mussten sie von höherer Stelle freigemacht worden sein.
"Ich sehe zu, dass ich das arrangieren kann", erwiderte er kurz und knapp.
Von Arnheim tat darauf hin etwas für ihn sehr Merkwürdiges. Er hielt ihm die Rechte hin und schüttelte die seine lange und herzhaft.
"Danke! Ferdinand!"
Schlechte Nachrichten
Das Telefon klingelte zum wiederholten Male mit einer Penetranz, dass Meisner sich nun doch entschloss, seine Grübeleien einzustellen und den Anruf anzunehmen.
"Ja?"
Eine schnarrende Männerstimme antwortete mit:
"Nichts!"
"Nichts?"
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