Von Arnheim lächelte kurz.
"Es ist immer besser, einen verlässlichen Feind zu haben, als einen, den man nicht einschätzen kann, Ferdinand."
Ferdinand Rheinsberg, seines Zeichens Vorsitzender des Heidelberger Instituts für Marktforschung und langjähriger Freund von Arnheims, sah diesen fragend an.
"Und verlässlich ist er immer gewesen, dieser Adalbert, und im positiven Sinne bemüht, sich nicht in die Intrigen anderer zu mischen. Aber ihm fehlte eben die Zuneigung zum Heiligen Stuhl und außerdem hängt er einer Irrlehre an."
"Kommunismus?"
Von Arnheim lachte kurz auf.
"Ich bitte dich Ferdinand! Nein, er glaubt an die Notwendigkeit der eigenen Erforschung des Schöpfers und lehnt das Dogma der Kirche ab. Das reicht aus, um ihn für den Vatikan unerreichbar zu machen. Man kann ihn nicht lenken, deshalb ist er ihnen ein Dorn im Auge, aber ...", er schaute Ferdinand Rheinsberg kurz durch seine Brillengläser prüfend an, "er hat viele nützliche Kontakte, die sogar von dort genutzt werden konnten."
"Und wo ist dann der Vorteil, wenn er wegfällt?", fragte Rheinsberg nach.
Von Arnheim schwieg nachdenklich, bevor er antwortete.
"Es wird sich erweisen, ob es ein Vorteil ist. Ich bemerke nur, dass sein Einfluss schwindet. Die Nachrücker werden unruhig und der jetzige Großmeister ist zu schwach. Er hat nicht Adalberts Format, nicht dessen Einfluss. Andererseits würde die vorsichtige Übernahme der Bruderschaft durch eine Institution, die unsere Auffassung teilt und unter unserem Einfluss, steht durchaus wünschenswert sein."
"Wo liegt das Problem?", fragte Rheinsberg nach.
"Die Bruderschaft ist seit einiger Zeit in Besitz eines merkwürdigen Gegenstandes, der offenbar nicht von Menschenhand geschaffen wurde."
Rheinsberg lachte kurz auf.
Von Arnheim schwieg so lange, bis Rheinsberg unsicher wurde und nachfragte.
"Wer behauptet so einen Quatsch?"
Von Arnheim zog die Schultern hoch. "Wir haben einen Informanten gewinnen können, der sich als Nachfolger von Bruder Adalbert sehen möchte. Dafür scheint ihm jedes Mittel recht zu sein, sogar Verrat."
"Ich bitte dich!", entrüstete sich Rheinsberg. "Das hört sich nach einer Seifenoper an!"
"Nun, ich verstehe deinen Zweifel. Die Bruderschaft hat über mehrere Jahrhunderte geheime Riten gepflegt, die bis heute niemals an die Öffentlichkeit gelangt sind. Die Mitglieder hätten und haben sich lieber die Zunge rausreißen lassen, als irgendetwas davon kundzutun, was sie als Grundlage ihrer Arbeit ansehen."
"Soweit ich weiß, geht es dabei allerdings nur um mystische Belange, nicht um weltliche Einflussnahme", erwiderte Rheinsberg.
"Sehr richtig, aber wo ist die Grenze zwischen einer Weltanschauung und dem praktischen Leben? Auch wir gehen von einer moralischen Legitimation aus, um uns in die Gesellschaft einzumischen. Gerade diese Haltung der Abstinenz von weltlichen Dingen erzeugt doch das breite Vertrauen, welches weite Kreise in die Bruderschaft Erasmus von Rotterdam setzen!"
"Aber außerirdisch, ich bitte dich!", ereiferte sich Rheinsberg.
"Ich sagte nicht außerirdisch, sondern nicht von Menschenhand, Ferdinand!"
"Ist das nicht dasselbe?", fragte Rheinsberg, dem nun langsam das Thema zu lächerlich zu werden drohte.
"Nicht unbedingt", entgegnete von Arnheim ruhig.
"Und was tut dieses ... Ding, das nicht von Menschenhand geschaffen zu sein scheint?", fragte Rheinsberg ein wenig zu spitz.
Von Arnheim lächelt ihn ruhig an, bevor er bedächtig erwiderte: "Es zersetzt, es zerstört - scheinbar."
Man konnte der Miene von Ferdinand Rheinsberg ansehen, dass er langsam am gesunden Menschenverstand seines geschätzten Freundes zu zweifeln begann.
"Zerstört was?"
"Den menschlichen Geist!", antwortete von Arnheim ruhig und sah Rheinsberg prüfend über sein Weinglas hinweg an.
Sie schwiegen lange, bevor Rheinsberg wagte, nochmals nachzufragen.
"Wer sagt das?"
"Ich sage das, weil es offensichtlich zu sein scheint", antwortete von Arnheim.
Dann lehnte er sich vertraulich vor.
"Sieh mal, ich will es dir erklären, weil ich selbst lange an der Konsequenz, die unsere Informationen nahelegen, gezweifelt habe. Zuerst hielt ich es für den Versuch unseres Informanten, sich wichtig zu tun, um sich uns anzubiedern. Er suchte Verbündete bei seinem Versuch, den Orden zu übernehmen. Wir hielten ihn als verlässliche Quelle für völlig ungeeignet, ließen ihn jedoch in dem Glauben, wir seien an seinen Informationen interessiert, da er gegenwärtig die einzige schwache Stelle im Orden zu sein scheint, die für uns erreichbar ist. Auf unser Anraten hin beschaffte er uns einige geheime Dokumente des Ordens, was nicht ohne Risiko für ihn war, da die Untersuchungen über das "Siegel", wie es dort genannt wird, von jedem Einzelnen eifersüchtig gehütet zu werden scheinen."
Er sah Rheinsberg prüfend an und fuhr erst fort, als dieser neugierig nickte.
"Es gibt nur Aufzeichnungen von dem "Siegel". Dasselbe liegt in dicken Bleikammern verborgen unter dem Haus der Bruderschaft."
"Wozu das?", fragte Rheinsberg interessiert nach.
"Weil es offensichtlich aus einem so hochradioaktiven Material zu bestehen scheint, dass es eigentlich gekühlt werden müsste."
"Unter dem Logenhaus?", fragte Rheinsberg mit hochgezogenen Augenbrauen. "Jenseits jeder Strahlenschutzverordnung?"
"Unter dem Logenhaus, in alten umgebauten Kellergewölben, jenseits jeder Strahlenschutzverordnung!", wiederholte von Arnheim.
"Das ist absurd!", empörte sich Rheinsberg.
"Das haben wir auch gedacht", nickte von Arnheim. "Deshalb habe ich veranlasst, dass dort gemessen wird, natürlich diskret."
Rheinsberg schüttelte ungeduldig den Kopf "Und?"
"Die Ergebnisse sind eindeutig! Die Strahlung um das Logenhaus sind um ein Vielfaches höher als in der Umgebung!"
Rheinsberg stieß die Luft heftig durch die Nase aus.
"Was sonst noch niemanden aufgefallen ist!"
Wieder erwarten nickte von Arnheim. "Nun, es hatte bislang niemand den Anlass, dort zu messen."
"Und das Grundwasser?", fragte Rheinsberg nach.
Von Arnheim zuckte nur mit den Schultern.
Rheinsberg schaute von Arnheim nach, der aufgestanden war, um mit dem Weinglas in der Hand im Raum auf und ab zu gehen.
"Wir fragten uns natürlich, warum die Bruderschaft ihre Entdeckung bislang geheim gehalten hat, ja geradezu auf kindisch naive Weise versteckt hält. Schließlich ist Bruder Adalbert nicht naiv."
Rheinsberg schaute ihn neugierig an.
"Nun, es gibt mehrere mögliche Erklärungen. Die wahrscheinlichste ist die, die uns der Informant weiter gegeben hatte. Sie hielten die Entdeckung geheim, um sie ungestört erforschen zu können. Dies war jedoch mit einem sehr hohen Aufwand verbunden, zumal die Bleiummantelung eines Kellers in den alten Gewölben erst einmal verbessert werden musste. Die Bruderschaft hatte offenbar bereits lange Jahre vorher eine Bleikammer installiert, die dem Zwecke diente, kosmische Strahlung fernzuhalten. Ein Teil irgend eines obskuren Einweihungsrituals, bei dem der Adept sich über mehrere Tage dort aufhalten musste, völlig abgeschlossen von der Umwelt. Dies reichte jedoch nicht aus, um die Strahlung völlig abzuschirmen und musste verbessert werden. Einige Mitglieder bezahlten dies offenbar mit dem Tod. Von da an war es schwer, sich nachträglich an die entsprechenden Behörden zu wenden, ohne größte Verwicklungen zu befürchten. Also deckte man den Mantel des Schweigens über die ganze Angelegenheit, in guter alter Logentradition."
"Und weiter?", fragte Rheinsberg, immer noch zweifelnd.
"In der Folge verschärfte sich der Konflikt zwischen den Mitgliedern der Bruderschaft offenbar. Ursprünglich wollten sie das Siegel als neue Reliquie mit dem Ziel erforschen, die daraus gewonnenen Erkenntnisse zum Vorteil der Bruderschaft zu verwenden. Wissen ist Macht.
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