Francesca lächelte traurig. „Das war eine Lüge, Christopher! Dieses Armband ist kein Familienerbstück! Es ist ein Custos !“
„Ein... was ?“
„Ein Custos ! Ein... Beschützer !“
„Beschützer vor was ?“ Christopher hatte immer noch nicht ganz verstanden.
„Niemand kann einfach so in die Hölle gehen. Auch nicht durch das Tor, dass die Pyramide geöffnet hat. Man würde unweigerlich sterben! Doch mit einem Custo s ist es möglich. Das Armband ist dabei nur die Materie, die ihn in sich trägt! Der Custos selbst ist ein Schutzzauber, der in einem bestimmten Ritual erzeugt und in einem Gegenstand abgelegt wird, wo er dann der Person, die ihn bei sich trägt, diesen Zauber zuteil werden lässt!“ Sie wartete, bis Christopher sie ansah. „Francesco muss bereits geahnt haben, dass Silvias Schicksal sie zu dem Dämon führen würde. Deshalb hat er ihr das Armband mit dem Custos im Inneren angelegt! Leider...!“ Ihr Blick wurde schlagartig sehr traurig. „...sollte er Recht behalten. Der Custos konnte nicht verhindern, dass der Dämon sie mit sich durch das Tor genommen hat. Das ist auch gar nicht seine Aufgabe, doch mit ihm an ihrem Körper...!“ Sie rang sich ein dünnes Lächeln ab. „...musste sie dabei nicht ihr Leben lassen, sondern konnte hindurchgehen und wurde auf der anderen Seite wieder materialisiert!“
„Und, was heißt das jetzt?“
„Ihr Körper hat sich wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückverwandelt! Silvia lebt jetzt als Silvia...in der Hölle!“
Christopher blieb stumm, doch schon nach einer Sekunde weiteten sich seine Augen voller Entsetzen. „Oh mein Gott! Soll das etwas heißen, sie lebt noch und ist jetzt an dem schlimmsten Ort, den man sich nur vorstellen kann? Seit über einem Jahr?“
Francesca nickte traurig.
„Um Himmels Willen!“ Er wirbelte herum zu seinem Freund. „Doug?“
Doch Douglas konnte nur traurig mit den Schultern zucken. „Es tut mir leid, Chris, aber...!“
„Aber?“ Christopher wandte sich wieder an Francesca. „Wie sicher ist das?“
Die Alte runzelte die Stirn. „Das der Custos sie beim Übergang geschützt hat?“ Christopher nickte. „Hundert Prozent!“
„Und das sie noch lebt?“ fragte er.
Francescas Blick wurde traurig. „Das kann ich ihnen nicht beantworten. Wie sie schon sagten, sie ist jetzt an dem schlimmsten Ort, den Menschen sich nur vorstellen können!“
Christopher schloss seine Augen, doch konnte man sehen, wie seine Augäpfel hin und her zuckten, wie aufgewühlt er war und das seine Gedanken um die Wette rasten. Außerdem atmete er mehrmals tief ein und sehr langsam wieder aus. Dann schien er etwas ruhiger zu sein und öffnete schließlich wieder seine Augen. „Ich muss zu ihr!“
„Ja!“ Francesca nickte. „Das müssen sie!“ Sie wartete, bis er sie ansah. „Und das können sie auch!“
„Ich...! Wie?“
„Es gibt für sie nur einen Weg in die Hölle!“
„Die...!“ Christophers Augen weiteten sich. „Die...Pyramide!“
Francesca nickte. „Die Pyramide!“
„Sie haben sie?“
Francesca schüttelte den Kopf. „Ich nicht! Aber...!“ Sie deutete auf Douglas. „... er hat sie!“
Christopher wirbelte sofort herum und starte seinen Freund an. „Du?“
„Ja...!“ Douglas nickte, doch zeigte sich in seinem Gesicht keine Freude. „Ich habe sie!“
„Aber...!“ Christopher war erneut sichtlich verwirrt. „Wie?“
Douglas lachte leise, aber freudlos auf. „Erinnerst du dich? Francesco hatte sich den Dämon auf dem Nordturm des World Trade Centers gestellt, doch konnte er ihn nicht besiegen. Er bezahlte dafür letztlich mit seinem Leben. Doch als wir schon dachten, wir hätten alles verloren, da kam Silvia, wie aus dem Nichts und spaltete der Bestie mit dem Schwert den Schädel. Und eben noch Verlierer, wähnten wir uns jetzt als Gewinner. Und wir waren uns so sicher, dass sie ihn vernichtet hatte. Doch im letzten Moment gelang es ihm, ein letztes Opfer mit sich zu nehmen, dann stürzte er vom Dach. Du konntest Silvia gerade noch ergreifen, aber Ihr Gewicht und das des Dämons waren einfach zu groß für dich. Doch du hättest niemals losgelassen, wärest mit ihr in die Tiefe gestürzt!“
„Also hast du mich an die Leine gelegt!“ Christopher nickte mit einem traurigen Lächeln.
„Es war reiner Reflex. Das eine Ende an deinen Sicherungsgurt, das andere Ende an die umgestürzte Antenne. Doch die Hoffnung, euch so zu retten, war trügerisch und hielt nicht lange an. Die Antenne rutschte vom Dach und ich glaubte, euch schon hoffnungslos verloren, doch dann verkantete sich dieses verdammte Ding zwischen den Türmen. Doch wieder war das keine wirkliche Rettung für euch, denn jetzt ward ihr dem geöffneten Tor zur Hölle so nah, dass euch der Sog dort erfasste, der sogar stark genug war, dass er selbst die Antenne immer weiter in die Tiefe zog...!“ Douglas hielt inne, schien tief in Gedanken die Bilder der Vergangenheit nochmals zu durchleben und schüttelte dann den Kopf. „Und da stand ich nun auf dem Dach des Word Trade Centers, schaute in die Tiefe und musste mit ansehen, wie mein bester Freund und seine Frau in das Höllentor gezogen wurden. Anfangs unfähig, mich zu bewegen, glaubte ich, keine Chance mehr zu haben, euch noch davor zu bewahren. Aber das stimmte nicht...denn ich hatte noch eine allerletzte Chance...und die befand sich am Boden zwischen den Türmen!“
Christopher hatte Douglas aufmerksam zugehört, jetzt nickte er. „Und dann bist du durch den ganzen Nordturm nach unten gestürmt!“
„Stimmt! Und es hat bestimmt noch nie jemand vierhundert Höhenmeter schneller überwunden, als ich!“ In Douglas Gesicht konnte man diese Strapazen beinahe sehen. „Doch als ich unten angekommen war, war es fast schon zu spät. Der Dämon war schon durch das Tor gegangen, schließlich auch Silvia. Und das Tor selbst schloss sich immer schneller!“ Douglas hielt wieder einen Moment inne. „Und da warst du...!“ Er blickte Christopher direkt an. „Zehn Meter über der Pyramide und hast verzweifelt versucht, dich von dem Sicherungsseil loszumachen. Ich wusste, du würdest nicht aufgeben, bevor du das nicht geschafft hattest und würdest Silvia und dem Dämon folgen, doch in diesem Moment...wusste ich...!“ Douglas schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht warum, ich wusste es einfach, dass ich das nicht zulassen durfte! Also bin ich losgerannt. Ich habe keine Ahnung, ob du es noch geschafft hättest, Silvia zu folgen, denn als du dich endlich losmachen konntest, war das Tor nur noch einen winzigen Spalt geöffnet. Tatsache aber war, dass ich dich in dem Moment erreicht hatte, als du entweder durch das Tor gegangen oder zu Boden geschlagen wärest...!“ Douglas atmete einmal tief durch. „Unser Zusammenstoß aber...hat beides verhindert!“ In Christophers Augen sah er Tränen und er konnte sie mehr als verstehen. „Warum wir uns dabei nicht sämtliche Knochen gebrochen haben, weiß ich nicht zu sagen, doch da lagen wir beide nun, am Ende all unserer Kräfte am Boden zwischen den Türmen des World Trade Centers, während sich das Tor endgültig schloss. In diesem Moment – aber das wurde mir erst viel später durch unzählige Augenzeugenberichte bewusst - muss sich auch die unsichtbare Wand aufgelöst haben, die mit der Aktivierung der Pyramide aufgebaut worden war, um das Geschehen rund um die Türme vor den Augen der Welt zu verbergen...! Und kaum konnten alle die Auswirkungen dieser Nacht sehen, hörte ich auch schon Polizeisirenen und mir war klar, dass wir nicht verweilen durften, denn niemand...!“ Douglas lachte verbittert. „...hätte uns je geglaubt, was wir zu berichten gehabt hätten. Also rief ich den einzigen Menschen an, dem ich jetzt noch vertrauen konnte...!“ Er schaute liebevoll zu seiner Frau und nickte ihr zu. „Cynthia! Bevor ich dich dann aber außer Sichtweite brachte, fiel mein letzter Blick…auf die Pyramide, die jetzt vollkommen unscheinbar am Boden lag...!“ Douglas hielt inne, schien nachzudenken und schüttelte dabei den Kopf. „Also habe ich sie an mich genommen! Aber ich weiß bis heute nicht wirklich, warum...!“
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