»Ey komm, mach das Licht wieder aus. Die Tucke , mit der du mich verkuppeln wolltest, war übrigens der Cousin von deiner Lena und - by the way - überhaupt nicht schwul. Und er ist außerdem ein guter Freund von Tessa.«
»Wer.. ist Tessa?«, frage ich und wanke ein wenig, weswegen ich mich an der Türe festhalten muss. Dabei nehme ich noch einen tiefen Schluck aus der Sektflasche und schlabbere mir die Brust voll. Ich muss gerade echt fertig und kaputt aussehen. Ben nickt mit dem Kopf hinter sich:
» Das ist Tessa.« Die Botschaft ist angekommen, heute geht’s allein nach Hause. Ich zwinkere Ben zu, mache das Licht wieder aus, verlasse das Zimmer und schließe die Tür. Ich stehe allein im Flur und rühre mich für eine kurze Zeit nicht, um nachzudenken und um die räumliche Atmosphäre in mir aufzusaugen. Die Luft ist nebelig von der Qualmerei. Die weißen Flurwände sind im unteren Drittel dreckig. Vermutlich von jenen Partygästen, die an die Wand angelehnt ihre Hosen rieben und ihre Füße abstützten. Leises Gegacker der kiffenden Jungs drängt vom Balkon aus herein. War doch irgendwie eine fette Party. Da kann ich später meinen Enkeln noch von erzählen. Schwankend zünde ich mir die vorhin erworbene Zigarette an. Sie schmeckt nach Gras. Ich schaue auf mein Handy, das den ganzen Abend in meiner Hosentasche lautlos vor sich hin lebte. Drei neue Nachrichten und zwei Anrufe in Abwesenheit. Von Sophie.
»Ups«, rutscht es mir laut heraus und packe mein Handy samt ungelesener Nachrichten von Sophie wieder ein. Ich bin ja so ein Idiot. Ich bestelle über Lenas Festnetz-Anschluss ein Taxi, da lass ich mich nicht lumpen. Die halbe Flasche Sekt kann ich aber nicht mehr trinken, dafür haut die selbst gedrehte Zigarette gerade zu sehr rein. 35 Minuten später liege ich mit mehrfach entleertem Magen, dafür aber noch immer bekifft und total betrunken, allein im Bett.
Ich wache nur auf, weil das Telefon nicht mehr aufhört zu klingeln. Ich liege mit allen vier Gliedmaßen von mir gestreckt auf dem Rücken im Bett und schaue an die früher mal bestimmt weiße Decke. Ich habe einen widerlichen Geschmack im Mund und der verrauchte Geruch meiner Klamotten liegt wie eine Dunstwolke in meinem verdunkelten Zimmer. Ich drehe mit schmerzverzerrtem Gesicht meinen Kopf zur Seite, um auf die Digitaluhr auf meinem Nachttisch zu stielen. Es ist 13.34 Uhr. Okay, das ist eine gute Zeit, weil der Tag noch nicht vorbei ist. Die Sonne scheint in einem schmalen Strahl durch die Jalousien geradewegs in mein Gesicht. Ich brauche etwas Zeit, um meine Gedanken zu sammeln. Das Telefon ist derweil verstummt. Dann lasse ich, noch immer in gleicher Position liegend, den Abend Revue passieren und bin überrascht darüber, dass ich gar kein sonderlich schlechtes Gewissen verspüre. Da habe ich mich gestern noch weitaus schlechter gefühlt. Ich raffe mich auf. Mir ist schwindelig. Ich schlendere nur in Boxershorts ins Wohnzimmer zum Telefon und erkenne an der Nummer auf dem Display, dass mich Sophie versuchte zu erreichen. Mit dem Telefon in der Hand geht’s dann in die Küche. Dort setze ich mir einen Kaffee auf. Als ich nach einer noch sauberen Tasse suche und nicht fündig werde, entdecke ich einen gelben Post it auf dem Küchentisch:
»Hey du Partygurke! Wir waren kurz hier, um noch ein paar Sachen abzuholen. Sind schwimmen und danach zu Anjas Eltern! Wissen nicht, wann wir wieder kommen. Lieben Gruß, Michael und Anja«
Partygurke? Es ist Anjas Handschrift. War ja klar, sie schreibt aus Michaels Perspektive, in Michaels Namen. Und so unnötig. Als müsse ich über jeden Punkt ihrer Tagesplanung informiert werden. Ich bin doch nicht mit Michael verheiratet. Wobei ihm das sicherlich gut täte. Vielleicht will mich Anja ja eifersüchtig machen. Anja ist so scheiße. Neben dem Zettel liegt eine Tüte mit zwei normalen Brötchen und einem Croissant. Okay, das ist wiederum nett. Michael und Anja sind schon niedlich. Eigentlich sollte ich heute auch mit Sophie schwimmen gehen. Sie hat das alles nicht verdient. Ich setze mich auf einen der harten, hölzernen Küchenstühle, die wir damals nur aus rein optischen Gründen in einem Kölner Billig-Möbelhaus kauften. Den einen Stuhl mussten wir schon mehrmals wieder instand setzen. Ich halte mir das Telefon vor meine Nase und wähle Sophies Nummer. Ich hätte ihr doch wenigstens schreiben können als ich wieder zu Hause war. Das Freizeichen ertönt.
»Hallo?«
»Ja hey, Kleine! Ich bin’s.«
»Oha. Der Herr bequemt sich, sich zu melden.« Sophie ist sauer. Das erkenne ich schnell an ihrer Tonlage. Wenn sie sauer ist, hört sie sich immer wie ein bockiges Grundschulkind an. Sie hat ja auch allen Grund sauer zu sein. Ich schaffe es jedoch schnell, sie wieder zu besänftigten, indem ich ihr erkläre, dass Ben und ich ein wenig über die Stränge geschlagen haben und dass ich mein Handy zu Hause vergessen hätte. Und selbst wenn ich es dabei gehabt hätte, wäre ich vermutlich nicht mehr in der Lage gewesen, es zu bedienen. Fette Party, Männerabend, große Sause halt. Das ist nicht einmal gelogen. Und was verschwiegen wird, kann nicht als Lüge gelten. Sophie kauft mir glücklicher Weise alles ab. Ich verspreche ihr, dass ich das am Abend alles wieder gut mache. Ich hätte eine Überraschung für sie. Nach knapp 20 Minuten beenden wir das Telefonat versöhnlich und freuen uns auf den Abend, den wir gemeinsam verbringen werden. Ich lege auf und werfe das Telefon rücksichtslos auf den Küchentisch.
»Scheiße«, sage ich dann zu mir selbst. Die ganze Kacke in der letzten Nacht und dann muss ich mir noch irgendeine Überraschung für Sophie einfallen lassen. Ich versuche optimistisch zu bleiben. Mit Lena, das war sicherlich nur ein Ausrutscher, der sich im beidseitigen Einverständnis vergessen lassen wird und für heute Abend wird mir bestimmt auch noch was einfallen. Das mache ich wieder gut, und zwar ohne, dass Sophie von der kompletten nächtlichen Eskapade erfährt. Schwamm drüber. Abhaken. In die Ablage.
Ich öffne die Spülmaschine, um mir eine Tasse herauszuholen. Ein drückender Geruch steigt mir entgegen, weil die Maschine lange nicht mehr lief. Das ist mal wieder Michaels Schuld. Wäre er häufiger zu Hause, würde es sich auch wieder lohnen, die Maschine anzumachen. Ich spüle die Tasse flüchtig mit kaltem Wasser durch und schenke mir den fertig aufgebrühten Kaffee ein. Die Brötchen ignoriere ich. Vorerst. Nach Essen ist mir im Augenblick noch nicht zumute. Danach schlendere ich mit der Tasse zurück in mein Bett und schalte den Fernseher ein. Cool. RTL beglückt mich mit einer Real-Life-Doku. Eine leichte Kost unterstem Niveaus, die mir zum Kater-Frühstück gerade gelegen kommt. Beim Zapping durch das trostlose Mittagsprogramm des deutschen Fernsehens, lande ich im Niemandslands der hinteren Programmplätze. In einer US-amerikanischen Talkshow sind gerade zwei dicke schwitzende Hausfrauen sozialer Unterschicht zu sehen, die scheinbar um die Gunst eines eher schmächtigeren Mannes mit schlechten Zähnen und grünen Wollpullunder kämpfen. »Kämpfen« ist hierbei tatsächlich wörtlich zu nehmen. Sie keifen sich an und watschen sich gegenseitig ab. Athletische Security-Bedienstete haben alle Mühe sie zu bändigen. Was ein Scheiß! Ich glaube, dass es gar nicht ihre Aufgabe ist, die Situation zu deeskalieren. Wenn diese zwei glatzköpfigen Kanten wirklich Ruhe wollten, bekämen sie diese von den dicken Hausfrauen sofort. Akustisch kommt da außer dem berühmten Piepton nicht viel bei mir an. Der Mann sieht glücklich aus. Die Sendung ist purer Zucker für sein Ego. Da sind tatsächlich zwei Frauen, die um ihn kämpfen. Wahnsinn. Welch ein schöner Tag.
Ich trinke meinen Kaffee aus und schnappe mir mein Handy. Ich lösche die zwei Anrufe in Abwesenheit aus der Anrufliste. Die kamen ja von Sophie und das ist geklärt. habe vier neue Nachrichten empfangen. Drei sind von Sophie und eine Vierte von Lena. Die muss ich erst heute Vormittag bekommen haben. Diese lese ich zuerst:
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