1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 »Du, mit gestern Abend… und überhaupt, ist ja nicht das erste Mal. Ich frag mich oft… liebst du mich eigentlich, Mikka?« Wir haben noch nicht einmal angestoßen. Ich stutze und fühle mich überrempelt. Ich habe ihr tatsächlich noch nie gesagt, dass ich sie liebe. In den gesamten drei Jahren nicht einmal . Es gab einen Augenblick, da hätte ich es fast über die Lippen bekommen, weil ich mir irgendwie sicher war. Und auch, weil ich das romantische Ambiente auf der Bank vor dem Erdmännchen-Gehege des Kölner Zoos überwältigend fand. Irgendwas hat mich dann doch davon abgehalten. Insgesamt bin ich ohnehin ein wenig emotional abgestumpft. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals schon mal einen anderen Menschen, außer mir natürlich, geliebt habe. Gut, meine Eltern sicherlich. Und meine Großeltern und Geschwister wohl auch. Und gut, Mehmet Scholl zu Kindertagen abgöttisch. Aber nur eine meiner Freundinnen? Ehe ich mir eine verlegende Antwort aus den Fingern saugen kann, setzt Sophie nach:
»Mikka, du hast mir noch nie gesagt, dass du mich liebst.« Mein Blick wandert nachdenklich durch das Lokal. Das hab ich gerade auch selbst herausgefunden. Ehe ich mich irgendwie erklären kann, fragt sie mich noch, warum wir überhaupt zusammen seien. Weitere ganz blöde Frage.
»Na, weil wir zusammen gehören! Du bist ein tolles Mädchen und ich will nur dich und keine Andere.« Ich muss kurz an Lena denken und bin mir nicht ganz sicher, ob das gerade die Wahrheit war.
»Du weißt doch, dass ich da meine Probleme habe. Ich wäre ja sonst nicht mit dir zusammen, oder? Mach dir nicht so viele Gedanken, Kleine!«
Ich erhebe mein Glas und ergänze:
»Auf dich, Sophie.«
»Auf uns «, erwidert sie.
»Natürlich… auf uns.« Ich verlogenes Arschloch. Sophie frisst mir aus der Hand. Ich gelobe Besserung und dann ist das Thema endlich abgehakt. Wir reden wieder über die alltäglichen Dinge, wie ihren Job, mein Studium, unsere Eltern und so weiter und sofort. Das Essen schmeckt hervorragend und ich vergesse für den Augenblick jegliches Beziehungstheater. Nachdem ich die Rechnung bezahlt habe, beschließen wir zu mir nach Hause zu gehen.
Als wir ankommen, machen wir uns ohne Umwege direkt bettfertig. Wir sind beide müde vom Essen. Ich außerdem noch zusätzlich vom fehlenden beziehungsweise ungesunden Schlaf aus der Nacht zuvor. Sophie hat sich schon in meine Bettdecke eingelümmelt, als ich aus dem Badezimmer komme. Sie sieht aus, wie eine kleine Haselmaus, die sich für den bevorstehenden Winterschlaf bereit macht. Sehr niedlich. Sehr toll.
»Hey Kleine, du kannst jetzt aber noch nicht schlafen, ich hab da noch eine Überraschung für dich.«
Ich nehme stolz eine Flasche Lavendel-Massageöl hinter meinem Rücken hervor und bemerke, dass die kleine Überraschung auf Begeisterung stößt.
»Oooh, das ist echt süß von dir.« Sophie macht sich ohne Aufforderung oben herum frei. Dann auf Aufforderung auch unten, weil es sich ja um eine Ganzkörpermassage handelt. Nachdem ich die Musikanlage einschalte und Tomte – Buchstaben über der Stadt auf »Repeat all« stelle, schwinge ich mich aufs Bett und beginne die ölige Lavendelsoße auf ihrem jungen geschmeidigen Körper zu verteilen. Ich kann ganz gut massieren. Angenehme Laute des Genusses diverser Frauen stützen da meine These. Auch Sophie gibt sich mir hin und genießt meine Art der Wiedergutmachung in vollen Zügen. Ich massiere sie eine dreiviertel Stunde. Wir reden kaum miteinander, sondern lauschen nur den Klängen von Tomte . Während ich Sophie sinnlich durchknete, muss ich unvorhergesehen wieder an Lena denken. Na toll. Hat doch bis hier hin alles so gut geklappt. Was sie wohl jetzt gerade macht? Ob sie in diesem Augenblick auch an mich denkt? An die vergangene Nacht. Nur aus Spaß stelle ich mir vor, dass nicht Sophie, sondern Lena unter mir läge und von mir massiert wird. Keine so schlechte Vorstellung. Lena ist doch auf das Äußerste anziehend. Was mache ich nur? Bin ich Sophie jetzt wirklich fremdgegangen? Gut, wir hatten Sex, abgeschlossenen Sex. Aber zum einen war ich betrunken und zum anderen habe ich mich durchaus gegen diesen Akt zur Wehr gesetzt. Im Grunde bin ich vergewaltigt worden, nur eben ohne Gewalt. Zumindest ohne körperliche Gewalt, sehr wohl aber mit einer geheimnisvollen suggestiven Gewalt. Und da haben wir ihn, den Kasus Knacksus: eine Vergewaltigung ist kein Fremdgehen. Stumpfen Blickes auf die glänzende Haut gerichtet, sitze ich kopfschüttelnd auf Sophie und durchknete ihren Rücken mit immer monotoner werdenden Bewegungen. Ich verarsche mich hier doch gerade selbst. Egal, nach welcher Definition, da kann man nichts mehr dran rütteln oder klein reden, wie bei den zwei Malen zuvor. Ich bin fremdgegangen. Schluss machen ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch undenkbar. Beichten sowieso. Zum Schlussmachen müsste ich den richtigen Zeitpunkt finden. Vielleicht wieder darauf hin arbeiten? Sophie würde in sich zusammenbrechen und sich vielleicht was antun, was weiß ich.
Als ich mit der Massage fertig bin, decke ich eine leicht eindösende Sophie sanft zu und gebe ihr gefühlvoll einen Kuss auf die Wange. Sie öffnet schwach ihre Augen und sagt, dass sie es sehr schön gefunden habe. Im Rückblick betrachtet habe ich wohl die Nacht zuvor wunderschön gefunden. Wir sagen uns »gute Nacht« und ich lasse Sophie mit ihrem Kopf auf meiner Brust einschlafen. Ich liege noch lange wach und atme den noch immer in der Luft liegenden Lavendelduft tief ein. Heute Morgen lagen noch drückende Nebelwolken der nächtlichen Ausdünstungen von Alkohol und Nikotin in meinem Zimmer. Nun liegt eine gewisse Frische in der Luft, eine Mixtour aus Lavendelöl und Sophie. Ich streiche sanft über ihr Haar und grüble still vor mich hin. Als sie sich irgendwann zur Seite dreht und ich an ihrem Atmen höre, dass sie tief genug schläft, greife ich zu meinem auf dem Nachttisch liegenden Handy und schreibe eine Nachricht:
»Hey Lena! Musst dich für nichts entschuldigen! Hast du nächste Woche Zeit für’n Kaffee? Lg, Mikka.«
Ich bin guter Laune und freue mich, trotz eines durchaus gefährlichen Spiels mit dem Feuer, auf Lena. In der Uni läuft - wenn man das überhaupt behaupten kann - derzeit alles wie geschmiert, da ich in diesem Semester mit Ausnahme eines Seminars bei Herrn Dr. Gremberg kaum Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht belegt habe. Bayern gewann am Wochenende wieder und auch Köln hat einen wichtigen Dreier für eine mögliche goldene Zukunft eingefahren. Vielleicht bekommt der FC ja doch endlich mal die Kurve. Ich freue mich für Ben und denke darüber nach, ob seine Prophezeiungen vom internationalen Geschäft bald wahr werden könnten. Als ich das Café Die Wohngemeinschaft betrete, sehe ich Lena bereits in der Mitte des Raumes an einem Tisch sitzen. Sie ist überpünktlich, das imponiert mir. Ich gehe strammen Schrittes und zielfokussiert auf sie zu. Sie sieht erwartungsgemäß wieder äußerst gut aus. Sie trägt einen geringelten Pullover in grauen und grünen Farben. Dazu eine hellblaue Jeans und dunkelgrüne, halbhohe Chucks. Ihre Beine sind überkreuzt, ihre Ellbogen sind beide auf den Tisch gestützt und als sie mich entdeckt, schaut sie mir lächelnd entgegen.
»Hi«, sage ich sicher und selbstbewusst, was ich ihr jedoch nur vorspiele.
»Hey!« Sie steht erfreut auf und wir umarmen uns, ehe wir uns wieder hinsetzen und einen sehr harmonischen Smalltalk starten. Als sei in jener Nacht überhaupt nichts passiert. Unser Techtelmechtel scheint heute ein Tabuthema zu sein. Komisch eigentlich, wenn man überlegt, dass wir uns ja eigentlich nur deswegen treffen. Aber auch wenn ich es ja irgendwie noch mal gerne wiederholen würde, kommt es mir gelegen, nicht darüber reden zu müssen. Ist ja auch blöd, das so offen und direkt anzusprechen. Unangenehmes Thema. Für uns beide, das merkt man intuitiv. Ich trinke vier schwarze Kaffee, Lena zwei Latte Macchiatos. Dann bestelle ich einen fünften Kaffee und ich bekomme Kopfschmerzen und zittrige Hände. Und dann werden uns plötzlich die Gesprächthemen knapp. Wir erleben eine nonverbale Phase von 14 Sekunden. Ich schaue aus dem Fenster und zähle die Sekungen in Gedanken mit. So etwas ist immer unangenehm.
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