»Hier, lasst es euch schmecken! Übrigens, alle mal aufgepasst: Das hier sind Mikka und äh, Ben. Richtig?«
»Richtig«, schmunzelt Ben, bemüht um Coolness und Gleichgültigkeit. Nachdem wir nun wirklich ausgiebig von allen Gästen begutachtet und nur zum Teil begrüßt werden, stehen Ben und ich noch einige Zeit im Abseits des Raumes. Lena springt unterdessen von Smalltalk zu Smalltalk, schenkt ihren Gästen nach, holt neues Bier und verschwindet hin und wieder draußen auf dem Balkon. Partys können ja noch so gut sein, als Gastgeber hast du in den seltensten Fällen was davon. Oje, diese Hausparty habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Nur gut, dass wir Bier haben. Okay, es ist noch früh und mittlerweile auch etwas voller geworden. Aber es ist räumlich einfach zu eng, die Leute sind größtenteils männlich oder hässlich, die Musik ist langweilig und irgendwie war die Stimmung bei der Fachsimpelei über Fußball vor der Türe noch mitreißender. Zu allem Überfluss behandelt mich Lena mit einer leichten Prise Ignoranz und das, obwohl ich heute ja wirklich gut aussehe. Oder gerade deswegen? Vielleicht ist das ja ihre Art mir zu zeigen, wie toll sie mich findet. Klingt total plausibel. Ben und ich beginnen wieder zu fachsimpeln. Ich mehr, Ben weniger. Wir beschließen einfach weiter zu trinken. Das mit dem Spaß kommt dann noch. Nach einer gefühlten Ewigkeit und einigen Zigaretten auf dem Balkon, ist es nicht nur aufgrund der räumlichen Kapazitäten ansehnlich voll geworden. Die Stimmung ist in Ordnung, auch wenn noch immer keine stimmungsfördernde Musik läuft. Und Ben und ich fühlen uns immer noch ein wenig ausgestoßen, wie blinde Passagiere auf einer Luxus-Kreuzfahrt in der Südsee. Oder so ähnlich. Niemand nimmt wirklich Notiz von uns. Ich könnte darüber hinwegsehen, wenn sich wenigstens Lena um uns kümmerte. Irgendwie gehören wir bis dato nicht zu den coolen Kids. Oder sind wir etwa zu cool für diese Party? Als ein ganz offensichtlich homosexueller Partygast in hautengen grauen Jeans, schwarzem Shirt mit V-Ausschnitt und violetten Hosenträgern die Musikanlage bedient und Smack my bitch up von The Prodigy laufen lässt, springt die Stimmung endlich um. Manche Leute versuchen nun sogar in der Enge des Raumes zu tanzen. Die Musik ist außerdem echt laut. Wenn ich Nachbar wäre, würde ich mich nun sicherlich bei Lena und ihrem Mitbewohnerinnen beschweren oder zumindest anonym die Polizei benachrichtigen. Letzteres wäre wahrscheinlicher.
»Heeeey«, grölt Ben mit erhobenen Daumen dem vermeintlich schwulen Hobby-DJ entgegen, um ihm seine musikalische Sympathie zu bekunden. Dieser lächelt verlegen, eingekleidet in seiner das Klischee bedienenden Mode, und nickt Ben zu.
»Ich glaub der mag dich«, schreie ich Ben ins Ohr, klopfe ihm auf die Schulter als wollte ich ihm Mut machen, meinen Blick dabei auf den Schwulen gerichtet, bemüht um Augenkontakt. Als dieser zustande kommt, habe ich mein Ziel erreicht. Der Schwule hat angebissen. Ich mache augenzwinkernd eine zeigende Kopfbewegung in Bens’ Richtung und verlasse unter dem Vorwand, dass ich dringend auf Toilette müsse, unverzüglich den Raum. Ben schaut mir fragend hinterher. Mensch, ist das lustig. Die Nacht ist noch zu jung, um Trübsal zu blasen. Ich muss zu Lena.
Ich finde sie nach nur wenigen Schritten in der Küche. Lena sieht noch immer umwerfend aus und unterhält sich gerade mit einem Pärchen. Er ist sicherlich nicht älter als 22, ist schlank, trägt hellblaue Baggy-Jeans und ein weißes T-Shirt von Karl Kany . Auch die schwarze und schrägsitzende Netzkappe mit NY -Schriftzug darf an diesem Abend nicht fehlen. Das Mädchen in seinem Arm ist die Wortführerin der Unterredung. Sie sieht älter aus als er, ist echt fett und komplett in schwarz gekleidet, weil schwarz ja schließlich schlank macht. Um die Illusion perfekt zu machen, sind ihre Klamotten nicht nur schwarz, sondern auch einen Hauch zu körperbetont, was in der Folge das ein oder andere Bauch- und Pospeckröllchen offenbart. Ich denke, dieses Pärchen könnte optische Vorteile voneinander ziehen, wenn sie ihre Outfits einfach tauschen würden. Alle drei haben kein Getränk mehr in der Hand. Ich schnappe mir also spontan aus einem in der Ecke stehenden Bierkasten vier Kölsch und eine noch unangebrochene Tüte Paprika-Chips und stelle mich, nachdem ich die Flaschen per Feuerzeug allesamt geöffnet habe, lächelnd und bemüht nicht allzu betrunken zu wirken, in die Runde dazu.
»Halloooo«, platze ich in die Unterhaltung hinein. »Was zu trinken? Haut rein!«
»Hey Mikka«, anwortet mir Lena. »Danke dir. Das sind Sarah und Torsten. Die kenn ich schon seit der Grundschule in Viersen, müssen jetzt aber auch wieder los, weil die Bahn ja fährt.« Das ist natürlich schade, dass die Bahn ja fährt. Trotzdem nehmen beide dankend die Flasche Bier entgegen und stoßen mit Lena und mir an. Beide sind wirklich nett, was ich nicht erwartete. Ich darf mich nicht immer von meinen oberflächlichen optischen Eindrücken leiten lassen. Und auch Lena wirkt nun gar nicht mehr so ignorant und scheint tatsächlich erfreut zu sein, dass ich zu ihr gekommen bin. Vielleicht liegt es aber auch lediglich an der berauschenden Wirkung der konsumierten alkoholischen Substanzen. Sarah redet sehr viel und auch sehr schnell und ich ertappe mich dabei, dass ich ihr gar nicht zuhöre, ihr bei Augenkontakt aber zunicke, um ihr mein Interesse und Verständnis zu bekunden. Zu oft schweift mein Blick hinüber zu Lena. Verdammt, sie ist so schön. Die Tüte Chips hat Sarah nun auch aufgemacht. Jeder von uns greift ein paar Mal hinein, Sarah ein paar Mal mehr, und dann sagt sie einen der häufigsten und dümmsten Sätze, die früher oder später immer beim Chips essen fallen müssen:
»Boa, wenn man einmal angefangen hat, ne? Dann kann man nicht mehr aufhören.« Ich kann Sarah ja gut verstehen. Ich könnte auch schon wieder in die Tüte hineingreifen, aber wenn man sich die figürlichen Attribute von ihr anschaut, könnte man meinen, sie habe schon als Kleinkind einmal angefangen, nur niemals wieder aufgehört. Lena, Thorsten und ich sind verbal sehr zurückhaltend und nehmen unterm Strich gar nicht an der Unterredung teil. Irgendwann während Sarahs Monologs, der nun ihrem vermeintlichen Abschiedszenario angehört, bemerke ich, dass sich Lena an mich anlehnt. Vermutlich nur um sich abzustützen, was mich aber so sehr überrascht, dass mir fast meine Flasche Bier aus der Hand fällt. Ich überspiele meinen Fauxpas und setze zum Konter an, indem ich meinen Arm um ihre Taille lege. Sehr gewagt, aber sie lässt es geschehen. Krass. Ich muss mich ja auch irgendwie abstützen. In diesem Augenblick schaut es so aus, als würden sich zwei Pärchen gegenüberstehen. Sarah und Thorsten, Lena und Mikka. Arm in Arm. Für ungefähr fünf Sekunden. Danach müssen Sarah und Torsten wirklich gehen, weil die Bahn ja jetzt hoffentlich tatsächlich fährt. Lena begeleitet sie zur Tür. Ich warte derweil angelehnt im Türrahmen der Küche, meinen gläsernen Blick in den Flur gerichtet. Ich winke Sarah und Torsten noch zu und bin froh, dass sie nun weg sind, denn wenn ich jetzt schnell genug handle und die Situation nicht fehlinterpretiere, habe ich Lena für mich allein. Sie schließt die Haustüre, dreht sich um und kommt leicht torkelnd auf mich zu. Yes. Lena gibt mir einen freundschaftlichen Fausthieb auf die Schulter.
»Sag mal, wie läuft’s eigentlich bei dir in der Uni? Ich find das voll schade, dass wir uns so selten sehen.«
»Ja, läuft ganz gut. Da kann ich mich nicht beklagen. Also… ich bin selten da. Im Grunde sehen wir uns ja gar nicht mehr, weil du immer andere Veranstaltungen belegen musst, die ich noch gar nicht belegen darf . Du bist da als Mädchen, glaub ich, etwas engagierter und ziehst das mit deinem Studium echt konsequent durch.«
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