»Ja, ich hab dich nicht gehört Mann, sorry! Aber komm erst mal rein!« Ich muss dabei lächeln und Ben wird bemerkt haben, dass ich ihn sehr wohl gehört habe, aber im Augenblick des Klingelns etwas Wichtigeres zu tun hatte. Er weiß, dass meine Haare Priorität haben. Wir kennen uns, wir verstehen uns. Und daher verkneift er es sich, eine große Szene aus seiner Geduldsprobe zu machen, schüttelt stattdessen nur widerspenstig den Kopf und tritt schlurfend in die Wohnung ein.
»Du siehst scheiße aus«, sagt er trocken, rempelt mich kurz an, als er an mir vorbeigeht, um direkt in der Küche angekommen, das Bier in den Kühlschrank zu verfrachten.
Ich erwidere seine körperliche Retourkutsche lediglich mit einem Lächeln, gehe ihm hinterher und klopfe ihm, als dieser vor dem Kühlschrank hockt und mir Einsicht auf seine Poritze verschafft, auf die Schulter.
»Bock auf Party?«
»Bock auf Party«, antwortet Ben.
Das erste Sixpack ist innerhalb einer Stunde getrunken. Und nach einigen weiteren Flaschen feinster Kölschkultur sitzen wir etwas stramm in der Bahn auf dem Weg zu Lena.
Auf dem Weg von der Bahnhaltestelle zu Lenas Wohnung macht sich mein Handy in der Hosentasche vibrierend bemerkbar. Ich empfange eine Nachricht:
»Hey Süßer, schon gut dabei? Pass auf dich auf, ja? Einen schönen Abend, freu mich auf morgen, dicken Kuss:-)«
Sophie hat mir geschrieben. Jetzt schon. Ich hatte ihr versichert, zweimal bestimmt zurückzuschreiben. Aber so früh schon? Eine Antwort sollte zum jetzigen Zeitpunkt noch warten können. Der Fußweg von der Bahnhaltestelle bis zu Lenas Wohnung sollte nach ihrer Aussage höchstens fünf Minuten andauern. Ben und ich machen 35 Minuten daraus. Zuerst müssen wir noch mal zwecks Bier und Flasche Sekt, die als Geburtstagsgeschenk dienen soll, in einen nahe liegenden Kiosk, in dem uns ein zahnloser Türke freundlich begrüßt. Er ist ganz sympathisch und ich finde es schade, dass er an offensichtlicher Dentalphobie leidet. Gute Zähne sind so wichtig. Ich könnte niemals ein Mädchen küssen, welches schlechte Zähne hat. Ich frage mich, wer unseren Bierverkäufer küsst. Ob er jemals schon mal geküsst wurde. Armer Kerl.
Im Anschluss an den Kölsch-Erwerb muss Ben noch auf Toilette. Auf der Suche nach einer geeigneten Erleichterungsstätte, wird er schließlich in einem Sülzer Vorgarten fündig. Die Fenster des Reihenhauses sind dunkel, so dass auch ich die Gunst der Stunde ergreife und mich dazugeselle. Die Eigentümer des Vorgartens werden sich bald über eine verdorrte Grünfläche wundern. Bevor wir unser eigentliches Ziel dann endlich erreichen, müssen wir noch zweimal falsch abbiegen und einen ebenfalls angetrunkenen Passanten nach dem Weg fragen. Als wir endlich vor Lenas Haustüre stehen, rauchen wir noch eine letzte Zigarette. Begleitet wird das Ritual des Rauchens der letzten Zigarette ehe man klingelt, mit fachmännischen Fußballunterhaltungen. Ben hat nie selber Fußball gespielt, hält sich aber für den größten lebenden Fachmann, der König Fußball unterstellt ist. So wie Ralf Rangnick . Ich hingegen habe jahrelang selber Fußball in der Bezirksliga gespielt, hörte erst mit 15 Jahren auf, als Marihuana, Alkohol und Frauen interessanter wurden, und bin noch immer topaktuell über alle Geschehnisse von der Kreisliga an aufwärts bis hin zur Championsleague informiert. Beim Damenfußball sind wir selbstredend beide Fans der Fortuna. Beim Bundesliga-Fußball der Männer sieht es aber ein klein wenig anders aus. Ben ist Lokalpatriot und bekennender Fan des 1. FC Kölns. Ich des FC Bayerns. Prägung geht über Lokalpatriotismus. Ein Frauenschwarm und einstiger Fußball-Gott machte mich schon als kleiner Schuljunge zum Bayern-Fan: Mehmet Scholl .
»Glaub mir, Mikka! Die Zukunft gehört dem Ersten Fußballclub Köln. Karnevalsverein hin oder her. Das Image der Fahrstuhlmannschaft gehört doch längst der Vergangenheit an! Eine Mannschaft wie der FC gehört zum Standardinventar der höchsten deutschen Spielklasse. Und: Da kommt noch mehr. Allein schon wegen seiner Fans, muss Köln einfach international spielen. Pass mal auf: Ein paar Jahre noch im sicheren Mittelfeld, dann Europa-League und letztlich Championsleague! Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Ein ganz normaler Prozess.« Ich höre mir Bens Prophezeiungen - durch den Alkohol geduldet - eine Weile an, ehe ich ihn bei der Ausführung seines Zukunftsplanes für den 1. FC Köln unterbreche und ihn darauf hinweise, dass es bei aller Ruhe und Raffinesse des Trainer- und Managerstabes schwierig werden könnte, sich schlussendlich dauerhaft gegen finanzstärkere Konkurrenten, wie Schalke, Dortmund, Leverkusen oder eben Bayern zu behaupten. Als Ben erneut anfängt und versucht seine Theorie mit schwammigen Argumenten zu unterstreichen, flitsche ich desinteressiert meine Zigarette weg und klingle an der Tür. Er schaut etwas enttäuscht aus der Wäsche, hat die Botschaft aber richtig interpretiert.
»Bayern wird eines Tages noch froh sein, sich Köln-Jäger schimpfen zu dürfen«, spricht’s und trinkt den letzten Schluck seiner Flasche Kölsch. Der Türsummer ertönt und ich drücke die Tür zum Treppenhaus auf. Von einer Party ist nichts zu hören, aber das muss ja nicht gleich was zu bedeuten haben. Nach zwei Etagen Treppensteigen, dass Ben schon wieder den Schweiß auf die Stirn treibt, macht man uns die Wohnungstüre auf und eine leicht angesäuselte und lachende Lena begrüßt uns. Im Hintergrund läuft ruhige Chillout-Musik, die von diversem Gesprächsgemurmel begleitet wird.
»Heeey! Schön, dass ihr da seid! Sorry, wir sind schon ganz schön angetrunken.«
»Heeey!«, erwidere ich. »Alles Gute zum Geburtstag. Macht doch nichts, wir haben auch schon ein wenig was getrunken.« Wow! Lena sieht heute wieder echt heiß aus. Sie trägt ihre Haare offen, was verwegen und rockig aussieht. Dann trägt sie ein schwarzes Top von Fred Perry mit verhältnismäßig weitem Ausschnitt und eine dunkelblaue, verwaschene Jeans mit Löchern in den Knien. Ich wundere mich, wie man sowohl schick und elegant als auch ungemein sportlich und sexy zugleich aussehen kann. Ich umarme sie anlässlich ihres Geburtstages, wobei mir auch noch auffällt, dass sie verdammt gut riecht. Ich glaube ich habe mich gerade verliebt. Nachdem sich Lena aus meiner leicht übertriebenen Umarmung befreit hat, stelle ich ihr Ben vor und dann übergeben wir ihr, noch immer in der Türe stehend, feierlich die Flasche Sekt als außergewöhnlichstes Geburtstagsgeschenk des Tages.
»Ne Kleinigkeit«, tiefstaple ich gekonnt gespielt, während sich Lena bemüht, ein überraschtes und glückliches Gesicht zu machen.
»Ooooh, danke. Das ist ja lieb von euch. Kommt doch erst mal rein und geht durch! Ich stell euch dann den anderen vor.« Lena nimmt uns unsere Jacken ab und schmeißt sie in einen verdunkelten Nebenraum neben dem Eingangsbereich. Die Flasche Sekt stellt sie lieblos zu dem zahllosen anderen Alkoholika in die Küche. Ist aber auch ein blödes Geschenk. Ben und ich gehen den langen Flur entlang durch ins Wohnzimmer.
»Genau, geht schon mal rein!«, ruft uns Lena hinterher. »Ich hol euch noch was zu trinken! Ähm, wollt ihr Bier?«
»Klar, Bier ist gut«, rufe ich halbherzig zurückschauend. Es wird gleich lauter und alles sieht schon ein wenig mehr nach Party aus. Viel los ist aber noch nicht. Im Wohnzimmer angekommen, schauen alle Geburtstagsgäste gespannt in den Eingang, um die neuen Gäste beäugen und begrüßen zu können. Wir werden lediglich beäugt. Die hoffentlich später noch feiernde Gesellschaft sitzt gegenwärtig im Kreis, um einen gläsernen Wohnzimmertisch herum, teils auf dem Sofa, teils auf einem Stuhl oder auch auf dem Boden. Einige Leute stehen auch im Hintergrund, vor der Balkontür oder aber auf dem Balkon selbst. Zum Rauchen. Oder auch nur so. Bei einer ersten Analyse fällt mir auf, dass hier ein ganz deutlicher Männerüberschuss vorhanden ist. Da durften wohl noch andere Freunde einen Freund mitbringen. Einige Leute habe ich schon mal in der Universität gesehen. Keine coolen Leute. Meine Lust schwindet zusehends. Von hinten kommt Lena angespurtet, mit zwei Bieren in der Hand, um sie uns gastfreundlich zu überreichen.
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