Phillip hörte, wie sich jemand in langsamen Schritten auf ihn zubewegte. Die Schritte klangen gelassen, fast majestätisch. Es klang so als hätte die Person festes stabiles Schuhwerk an.
Direkt hinter Phillip blieb die Person stehen. Er hörte wie sich die Person langsam von hinten zu ihm hervor beugte. Phillip spürte den Atem an seinem rechten Ohr. „Hallo Phillip“, flüsterte eine Stimme. Es war eindeutig eine männliche Person, vernahm er. Phillip erstarrte. Für einen Moment hörte er sogar auf zu zittern. „Wer bist Du?“, fragte er.
„Du kannst mich Dämon nennen“, erwiderte die Stimme flüsternd.
Phillip begann seinen Kopf nach rechts zu drehen, um zu sehen, wer ihm ins Ohr flüsterte. Noch im selben Moment verspürte er einen harten Schlag an seinem ohnehin schon von Schmerzen geplagten Kopf.
„SIE MICH NICHT AN!!!“, wurde er von einer, jetzt nicht mehr flüsternden, tiefen, fast zu tiefen Stimme, für einen Menschen angebrüllt.
Phillip starrte verängstigt wieder nach vorn.
*
Miriam Ahlers wuchs in der neuen Vahr, einem Stadtteil Bremens, der nicht gerade als Vorzeigestadtteil galt, in einem für diesen Stadtteil typischen Mehrfamilienplattenbau auf. Ihre Eltern ließen sich vor zwei Jahren, kurz vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag scheiden. Sie blieb bei ihrer Mutter Cornelia. Ihr Vater Kurt, war Alkoholiker, was auch der Grund der Scheidung war. Es war auch der Grund, warum Miriam bei ihrer Mutter blieb.
Miriam hatte eine unbeschwerte Kindheit, mit wenig Geld, aber viel Liebe. Zuviel Liebe, schien sie zu bekommen, soviel, dass es für sie schon zur Selbstverständlichkeit wurde.
So entwickelte sie sich zu einer intelligenten, attraktiven aber arroganten Prinzessin. Sie wusste genau, wie sie andere Menschen um den Finger wickeln konnte und stets bekommen konnte, was sie wollte.
Da sich Miriam weder um eine Ausbildung, noch um eine Arbeit scherte und daher auch nicht wirklich über genügend Geld verfügte, wohnte sie noch immer bei ihrer Mutter.
Wenn sie etwas brauchte, fragte sie einfach ihre Mutter, die ihr auch ihr letztes Hemd vermachen würde. Ihre Mutter war der Annahme, dass Miriam sehr unter der Scheidung der Eltern litt, doch das ganze Scheidungsgeschehen nahm Miriam weniger mit als man meinen würde. Sie war sich selbst stets die nächste. Miriam sah gut aus, was sie sich auch im Umgang mit anderen Menschen zunutze machte. Sie war mit ihren 1,65 Meter Größe nicht unbedingt groß, was bei einer jungen Frau auch nicht wirklich eine große Rolle spielte. Sie hatte schulterlanges glattes brünettes Haar und war stets gut gekleidet und gekonnt geschminkt. Mit ihren großen blauen Augen, ihrer kleinen Stupsnase und ihrer seidigen Haut wurde ihr schon oft nachgesagt, dass man sie sofort knuddeln möchte, wenn man sie sah. Sie war aufgeweckt und hatte immer einen frechen Spruch auf den Lippen, ganz egal, wen sie vor sich hatte.
An diesem Freitag war Miriam voll entschlossen, wild abzufeiern. Sie trennte sich am Montag gerade nach einem Jahr Beziehung von ihrem Freund Marc getrennt. Marc liebte Miriam über alles. Er hätte alles für sie getan, aber darauf setzte sie nicht viel. Sie wollte damals unbedingt mit ihm zusammen sein, weil er gut aussah und alle ihre Freundinnen auf ihn standen. Nach einem Jahr wurde er ihr aber zu langweilig und sie schoss ihn einfach ab. Nicht zuletzt, weil sie wusste, dass er alles für sie tun würde und das machte ihn noch unattraktiver für sie. Für Marc brach die Welt zusammen und er fiel in ein tiefes Loch. Für Miriam drehte sich die Welt einfach weiter, wie immer. Für sie war er nun einfach nur noch jemand, den sie mal kannte, was sie ihn auch jedes Mal rücksichtslos spüren lies, wenn sie sich mal zufällig sahen. Dies passierte relativ oft, da sie ja im selben kleinen Stadtteil wohnten.
Für diesen Freitagabend hatte sich Miriam mit all ihren Freundinnen verabredet. Sie wollten sich erst bei ihr treffen, da ihre Mutter als Krankenschwester bis spät in die Nacht Dienst hatte.
Am Nachmittag fuhr Miriam noch in den Weserpark, ein großes Einkaufszentrum in der östlichen Bremer Vorstadt.
Sie wollte sich noch etwas neues Schickes zum Anziehen für den Abend kaufen. Von Mutters Geld versteht sich. Als sie das Einkaufszentrum betrat, lief ihr Christina entgegen, eine ihrer zahlreichen Freundinnen. Christina hatte blondes, fast weißes kurzgeschnittenes Haar. Sie war schlank, etwas größer als Miriam. Obwohl ihr Gesicht etwas Plattes hatte und ihre Nase etwas größer war, als man es von einer Frau erwarten würde, sah sie trotzdem sehr gut aus.
Miriam schloss sie sofort mit den Worten „Hey Uschi!“, in die Arme, wie es sich in ihrer Clique gehörte.
„Kommst du heute Abend mit ins Modernes?“, fragte Miriam.
„Klaro, Schnittchen“, erwiderte Christina.
„Wann soll es denn losgehen?“, fragte sie grinsend.
„Gegen sieben bei mir, Uschi“, antwortete Miriam.
„Okay okay, dann bis nachher!“, verabschiedete sich Christina mit einem Kuss auf Miriams Wange. Sie ging weiter zum Ausgang.
Miriam führte ihren Weg in die heiligen Hallen des Einkaufszentrums hastig fort.
Da es in den heiligen Hallen recht stickig und heiß war, schlug sie zuerst den Weg zu einem der drei Eisstände ein, die es im Weserpark gab und kaufte sich an dem Stand ein Eis zur Abkühlung. Schoko und Vanille waren ihre Lieblingssorten. Sie bevorzugte immer ihr Eis aus der Waffel zu genießen. Nachdem sie das Eis bei dem südländisch wirkenden Eisverkäufer bezahlt hatte, schlenderte sie in Richtung eines naheliegenden Kleidungsgeschäfts, während sie genüsslich an ihrem Eis nippte. An dem Geschäft angekommen, drehte sie verträumt einen Kleiderständer herum an dem eine Reihe von Sommertops hingen.
Als sie das Eis aufgegessen hatte, nahm sie ihre zweite Hand zur Hilfe um genauer in den Sachen zu stöbern.
Sie bemerkte nicht, dass sich jemand neben sie stellte und dort einige Sekunden stehen blieb bis sie angesprochen wurde.
„Tschuldigung“, hörte sie von ihrer rechten Seite. Sie blickte auf und wandte sich in Richtung der Stimme zu, die sie ansprach. Vor ihr stand ein Mann, nicht viel größer als sie, Ende zwanzig. Er hatte dunkles kurzes Haar, fast dieselbe Farbe, wie sie. Er hatte auch ähnlich blaue Augen wie sie. Eine schmale fast schmächtige Gestalt, mit einem schwarzen T-Shirt und einer schwarzen Jeans gekleidet. Die weißen Turnschuhe, die er trug, waren schon etwas aus dem Trend und sahen abgelatscht aus.
„Tschuldigung“, wiederholte er, nachdem Miriam ihn von oben bis unten und wieder zurück musterte.
„Ich saß eben da vorne auf der Bank und bist du mir sofort aufgefallen.“, sagte er.
„Ich wollte dich fragen, ob ich dich vielleicht auf einen Kaffee oder eine Kola einladen dürfte.“, fügte er hinzu. Er grinste dabei etwas verlegen und zögerlich und blickte ihr tief in die Augen.
„Was?“, lachte sie schon fast laut.
„Guck Dich mal an und dann guck mich mal an, Rumpelstilzchen“, sagte sie so laut, dass eine Frau, die an dem benachbarten Kleiderständer stand und diesen drehte, es hören konnte und den Kopf schüttelte.
Sein lächeln verschwand von seinen Lippen, jedoch blieb sein Blick unverändert.
„Junge, du passt wahrlich nicht in mein Beuteschema und jetzt mach nen Abgang!“, fügte sie noch hinzu, während sie ihm schon fast bösartig in die Augen blickte. Dann bewegte sie sich von ihm weg. Als sie ein paar Schritte gegangen war, blickte sie noch einmal hämisch grinsend zurück, aber sie sah ihn nicht mehr. Wahrscheinlich waren ihre Worte so durchschlagend, dass er sofort im Boden versank, dachte sie noch witzelnd. Sie konnte sich aber auch gar nicht mehr klar an sein Aussehen erinnern. Das lag wahrscheinlich daran, dass dieses „Rumpelstilzchen“ so eine unscheinbare Gestalt war.
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