Laylas Blick fiel auf Elisabeth, die ein geschocktes Gesicht machte. Offenbar hatte sie die Geschichte der armen Frau sehr bewegt. Layla lächelte ihr aufmunternd zu und das Mädchen erwidert tapfer das Lächeln.
Layla sah Master Bernau an, um ihn etwas zu fragen und bemerkte, dass er tief und fest eingeschlafen war. Elisabeth hatte es auch gemerkt und machte Layla ein Zeichen, dass sie jetzt besser gehen sollten. Layla nickte und stand auf. Die beiden jungen Frauen dankten Johanna ausgiebig und machten ihr ein Zeichen, ihren Dank auch an Master Bernau weiterzugeben. Dann gingen sie zur Türe.
Überrascht stellte Layla fest, dass es inzwischen dunkel geworden war. Elisabeth nahm sie wieder bei der Hand und führte sie wieder durch das Straßenlabyrinth in Richtung Norden. Nach circa einem halben Kilometer kamen sie wieder in einem etwas ärmeren Viertel an, wobei es aber offenbar doch noch besser war, als jenes das sich direkt am West Tor befand. Hier waren die Häuser zwar auch aus Holz und nicht aus Stein, aber das Holz erschien deutlich frischen und besser verarbeitet. Auch waren die verwendeten Balken deutlich dicker.
Elisabeth führte Layla zu einem Gebäude, das relativ neu erschien. Das Holz war durch die Sonneneinstrahlung noch nicht nachgedunkelt und auch der Grauschleier durch heftigen Regen, fehlte ganz.
Das Haus war zweistöckig, wobei die untere Etage deutlich breiter war, als die obere, wodurch ein wunderschöner Balkon resultierte. Neben der Türe, die ebenfalls aus massivem Holz war, waren zwei schmale Fenster. Es gab sogar Glas. Im Obergeschoss waren ebenfalls drei dieser kleinen Fenster. Die hatten jedoch kein Glas. Offensichtlich war das Glas hier ein Luxusartikel, der nicht überall benutzt wurde. In den Holzhäusern am West Tor hatte keine der Häuser Glasscheiben gehabt, wie sich Layla zu erinnern glaubte.
Elisabeth ging zur Türe und klopfte mit der flachen Hand dagegen. Wenige Sekunden später öffnete sich die Türe und ein etwa acht jähriges Mädchen öffnete die Türe. Layla musste fast auflachen, denn das Mädchen sah aus, wie die exakte, etwas zu kleine Kopie von Elisabeth. Das Mädchen sprang glücklich in die Arme ihrer Schwester, wobei ihr ihre langen, roten Haare wild um Schultern schlugen. Ihre Augen leuchteten. Es war unschwer zu erkennen, dass sie ihre große Schwester anhimmelte. Die winkte ihr fröhlich zu und forderte sie auf, einzutreten. Zögernd, fast schüchtern folgte ihr Layla. Im Haus angekommen, schaute sich Layla erst einmal um. Das Erdgeschoss bestand nur aus einem einzigen großen Wohnraum. In einer Ecke war ein offener Kamin. Der war jedoch nicht an. Offenbar wurde er auch als Kochherd benutzt, wie die Töpfe bewiesen, die ordentlich an dicken Hacken an der Wand hingen. An einem alten Tisch saß eine Frau und nähte im Licht einer großen Kerze an einem Kleid. Der Größe nach zu schließen, gehörte es der Schwester von Elisabeth. Im Raum war es angenehm kühl. Offenbar hatten die kleinen Fenster, die den Raum zwar sehr dunkel erscheinen ließen, auf der anderen Seite einen angenehmen Effekt auf das Raumklima.
Elisabeth ging zu ihrer Mutter und umarmt diese. Die drehte sich zu ihr um und gab ihr einen dicken Kuss auf die Stirn. In Layla regte sich das unangenehme Gefühl von Heimweh. Wie sehnte sie sich danach, bei Ana Maria, Iztel, Balam, ihrem Adoptivsohn und Mark ihrem Verlobten zusammen im Wohnzimmer zu sitzen und die Erlebnisse des Tages durchzusprechen. Speziell Iztel hatte immer sehr viel zu erzählen.
Elisabeth winkte Layla zu. Sie nahm sie bei der Hand und sagte zu ihrer Mutter:
„Das ist Layla. Sie ist fremd hier und hat keinen Aufenthaltsort für die Nacht. Ich habe sie für die Nacht in unsere Stube eingeladen!“
Elisabeths Mutter lächelte Layla freundlich an. Auch in ihrem Gesicht war die Ähnlichkeit mit Elisabeth unübersehbar. Sie hatte die gleichen großen Augen, wie Elisabeth. Nur die roten Haare fehlen. Das Haar der Frau war schneeweiß, fast genau so weiß, wie das von Mark, wobei Layla keine Ahnung hat, ob dies ihre ursprüngliche Haarfarbe war, oder ob das Haar seine Färbung im Alter verloren hatte. Die Frau wirkte nämlich sehr alt. Sie sah eher aus, wie die Großmutter der Mädchen, aber Layla vermutete, dass sie das schwere, entbehrungsreiche Leben frühzeitig hatte altern lassen.
Layla fiel außerdem auf, dass er offenbar keinen Vater gab. Das ganze Haus sah einfach nach Frau aus. Spuren eines Mannes konnte sie nicht entdecken. Auch konnte sie sich nicht erinnern, dass Elisabeth von einem Vater gesprochen hatte. Selbst der Apotheker auf dem Marktplatz hatte nur von einer Mutter und einer Schwester gesprochen, Das war Layla schon dort aufgefallen, sie hatte aber keine Gelegenheit gehabt, Elisabeth danach zu fragen. Elisabeths Mutter reichte ihr die Hand und sagte mit einer sehr angenehmen Stimme:
„Willkommen in meinem bescheidenen Heim, Maid Layla. Gebt mir die Ehre und fühlt Euch hier, wie zu Hause!“
„Vielen Dank für ihre Gastfreundschaft, Frau Schickendanz. Ich weiß das wirklich zu schätzen!“
Da hörte Layla hinter sich ein fröhliches Gekicher. Es war die kleine Schwester von Elisabeth. Die versuchte diese zum Schweigen zu bringen, aber das Mädchen rief trotzdem laut lachend:
„Was hat diese Maid für eine lustige Aussprache. Hat sie nicht richtig sprechen gelernt?“
Dieser Ausspruch und der peinlich berührte Blick von Elisabeth waren dann wiederum für Layla so lustig, dass sie laut auflachen musste. Natürlich war sie dem Mädchen nicht böse. Überhaupt was das Mädchen so süß, dass Layla sie am liebsten geknuddelt hätte. Als Elisabeth erkannte, dass Layla nicht beleidigt war, musste auch sie lachen. Dann zerwühlte sie dass Haar des Mädchens und sagte, wobei sie versuchte Laylas Aussprache zu imitieren:
„Und dieses kleine Monster ist Magdalena, meine jüngere Schwester!“
Layla reichte dem Mädchen die Hand und sagte, wobei nun sie versuchte, Elisabeths Aussprache zu imitieren:
„Freut mich, Euch kennen zu lernen, Maid Magdalena.“
Das Mädchen wollte erst auflachen, dann wurden seine Augen aber plötzlich groß, sie kniete auf den Boden und rief:
„Prinzessin Amalia, Hoheit, stets zu Diensten!“
Die Mutter erschrak und sah Layla nochmals an. Dann schien auch ihr die Ähnlichkeit aufzufallen und sie wollte aufspringen. Layla hob die Arme und sagte:
„Bitte nein, ich bin nicht Prinzessin Amalia. Ich scheine ihr nur sehr ähnlich zu sehen!“
Die Mutter sah Layla ungläubig an und auch die Schwester hob wieder ihren Blick. Elisabeth trat hinzu, griff Layla bei der Hand und sagte:
„Ich kann dies bestätigen, Mutter. Als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin, da sah sie überhaupt nicht wie die Prinzessin aus!“
Die Mutter begann wieder zu lächeln und lud Layla mit einer Handbewegung ein, sich zu ihr zu setzen. Neugierig sah sie Layla an. Offenbar wollte sie, dass Layla erzählte, wie sie nach Griendvolt gekommen war. Layla sah Elisabeth an und die nickte mit dem Kopf, woraufhin Layla ihre Geschichte nochmals erzählte.
Die Frau sah Layla erst verwundert, dann ungläubig und am Ende fast schon geschockt an. Aber als ihr Layla auf Ratschlag von Elisabeth das Messer zeigte und Elisabeth ihr die Stiftlampe, die ihr Layla geschenkt hatte, vorführt hatte, da schüttelte die Frau nur noch den Kopf.
Layla wusste, was die Frau beschäftigte. Layla war die Feindin der Bären und der Obermagier war ganz offensichtlich hinter ihr her. Das war unheimlich gefährlich für sie und ihre Mädchen. Sie konnte ganz schnell auch selbst in die Schusslinie geraten. Um die Frau zu beruhigen sagte Layla:
„Frau Schickendanz, ich verspreche Ihnen, dass ich alles tun werde, um Elisabeth und ihre Familie nicht in Gefahr zu bringen. Doch wenn sie wollen, dass ich Ihr Haus verlasse, dann werde ich dies in derselben Sekunde tun, ohne Groll, ohne böse Gedanken!“
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