Ein großer, unheimlich dicker Mann kam hinter dem Stand hervor und lächelte Elisabeth freundlich zu. Er hatte ein rundes Gesicht. Die Augen waren dagegen sehr klein und waren fast nicht zu sehen. Auch die Nase war in den gewaltigen Backen kaum zu sehen. Dafür war sein fleischiger Mund fast schon übergroß. Die Backen und das Doppelkinn waren von einem gepflegten Bart umgeben. Gekleidet war der Mann mit einer gelben Hose und einem hellroten, seidig glänzenden Hemd, die in dem Einheitslook der Bewohner sehr exklusiv und außergewöhnlich wirken. Selbst Schuhe hatte er an. Auf dem Kopf hatte er einen spitz zulaufenden Filzhut mit breiter Krempe. Layla bemerkte auf den ersten Blick, dass er sehr wohlhabend sein musste.
Der Mann machte einen ruhigen und bedächtigen Eindruck und war Layla auf Anhieb sympathisch.
Elisabeth gab ihm ihren Korb. Der dicke Mann sah hinein und rief vor Freude aus:
„Elisabeth, das ist ja wunderbar. Das Johanniskraut ist mir fast zur Neige gegangen. Ich gebe Dir zwei Münzen dafür!“
Elisabeth klatschte begeistert in die Hände. Der Mann griff immer noch lächelnd in die Tasche und holte die Münzen heraus. Dann bemerkte er offenbar Layla und fragte:
„Und wer ist diese junge Maid. Ich habe sie noch niemals vorher zu Gesicht bekommen!“
„Das ist Layla, meine Kusine aus Basilea. Ihre Mutter ist verschieden und sie wird in der nächsten Zeit bei uns wohnen!“
„Nehmt bitte meine aufrichtige Anteilnahme, Maid Layla und seid von Herzen willkommen!“
Damit drehte er sich um und ging wieder zurück zu seinem Stand. Layla sah Elisabeth mit großen Augen an. Die musste wieder lachen und sagte:
„Layla, wir haben genug Platz in unserem Haus. Du kannst mir beim Sammeln der Kräuter helfen. Es ist sicherer, dies zu zweit zu tun.“
„Was wird Deine Familie dazu sagen?“
„Meine Mutter wird sicher glücklich darüber sein. Wir können jede Hilfe im Haushalt gebrauchen und genug zu Essen wird auch da sein!“
Wenn sie sich da nur nicht täuschte, dachte Layla. Sie kannte noch nicht den Hunger eines Werwolfs. Layla war klar, dass sie der kleinen Familie nicht die Haare vom Kopf fressen dürfte. Sie würde relativ oft als Werwolf auf die Jagd gehen müssen.
Elisabeth hob Layla eine der Münzen hin, aber Layla wollte die nicht annehmen. Sie hob beide Arme nach oben und sagte:
„Nein Elisabeth, das ist dein Geld. Ich habe Dir nur geholfen. Es ist mehr als gerecht, wenn Du es behältst!“
Elisabeth sah Layla staunend an, dann lächelte sie aber und steckte das Geld in ihre Schürze. Da sah Layla plötzlich, wie die vier „Aufseher“ mit großen Schritten auf sie zu geeilt kamen. Offensichtlich wollten sie ihnen das Geld wieder abnehmen.
Diesmal war es Layla, die Elisabeth an die Hand nahm und hinter sich herzog. Elisabeth sah sie erst überrascht an, dann aber erkannte sie die vier Idioten (für Layla blieben es Idioten), die auf sie zu rannten und ihre Augen weiteten sich. Es war klar, dass die vier diesen Augenblick abgewartet hatten. Sie hatten offenbar gewusst, dass der dicke Mann einen guten Preis für die Kräuter bezahlen würde und hatten nur darauf gewartet, dass Elisabeth das Geld in den Händen hatte.
Layla übergab die Führung wieder an Elisabeth, die offenbar so schnell rannte, wie sie konnte. Trotzdem holten die Idioten schnell auf. In Layla stieg die Wut auf. Sie spürte, wie sehr Elisabeth unter den Arschlöchern leiten musste. Leider waren es sehr schnelle Arschlöcher, die sehr schnell näher kamen. Wenn sie Elisabeth und sie stellen würde, würde dies Layla in eine ganz schöne Zwickmühle bringen. Es war für sie absolut unmöglich, Elisabeth von ihnen ausrauben zu lassen. Aber wenn sie die Scheiße aus ihnen herausprügelte, dann würde der Obermagier nur Sekunden später wissen, wo sie zu finden war. Sie konnten also nur hoffen, die vier im Labyrinth der Straßen abzuhängen.
Das war auch offensichtlich Elisabeths Ziel, die direkt eine kleine, fast nicht zu erkennende Gasse ansteuerte. Kurz später hatten sie diese erreicht. Layla ließ Elisabeth den Vortritt, als sie in die winzige Öffnung hineinstürmen. Die Gasse war gerade breit genug, dass Elisabeth und Layla darin rennen konnten. Die vier Aufseher hatten da mehr Probleme. Deshalb kamen sie auch nicht mehr so schnell voran. Trotzdem wollten sie noch nicht aufgeben und blieben den beiden Mädchen hartnäckig auf den Fersen.
Immer tiefen drang Elisabeth, gefolgt von Layla in die Häuserschluchten hinein. Die Gassen waren dabei so eng, dass oft auch die beiden schmalen Mädchen Probleme hatten, schnell voranzukommen. Dementsprechend wurde es auch immer dunkler. Layla schätzte, dass mittlerweile später Nachmittag war und dass deshalb die Sonnenstrahlen nicht mehr ihren Weg in die Gassen fanden.
Inzwischen war Elisabeth total außer Atem. Sie würde nicht mehr lange durchhalten können. Da sah Layla plötzlich eine winzige Öffnung in einem Steinhaus. Offensichtlich kamen sie in eine etwas bessere Gegend. Hier waren schon fast mehr Stein- als Holzhäuser zu sehen. Neben der Öffnung lagen einige Steine und tarnten sie fast perfekt.
Sie machte Elisabeth ein Zeichen. Die nickte aufgeregt und begann sich in das winzige Loch zu zwängen. Zum Glück hatten sie in der Enge der Gassen etwas Vorsprung herauslaufen können, sodass auch Layla in der Öffnung verschwinden konnte, bevor sie die vier Verfolger erreichen konnten. Hinter der Mauer spürte sie keinen Boden. Offenbar waren sie in einem Keller gelandet.
Layla glitt zu Boden, der nicht sehr tief war. Dann drehte sie sich schnell wieder um und ging zu dem Loch zurück, damit sie die vier Idioten beobachten konnte. Die waren ganz verwirrt, dass die beiden Mädchen so plötzlich verschwunden waren. Unschlüssig blieben sie stehen. Der Anführer der vier war stocksauer und schlug mit seinem langen Stock auf den Jungen ein, der die Führung bei der Verfolgung gehabt hatte. Wütend brüllte er ihn an, während jeder seiner Worte von einem brutalen Schlag begleitet wurde:
„Du wirst mir das verlorene Geld ersetzten, Du Nichtsnutz!“
Der geschlagene Junge versuchte noch seinen Kopf mit den Händen zu schützen, musste aber trotzdem die Mehrzahl der Schläge einstecken. Aus zahlreichen Wunden blutend sank er zu Boden. Layla konnte hören, wie er weinte. Der Schläger spuckte auf den Boden, drehte sich um und ging ungerührt von dannen. Ein zweiter Junge, wie Layla sich zu erinnern glaubte, genau der, der Elisabeths Korb untersucht hatte, spuckte auch auf den Boden und folgte dem Bandenchef. Der vierte blieb unschlüssig stehen. Offenbar wusste er nicht, ob er ebenfalls den beiden folgen, oder aber seinem Kameraden helfen sollte. Dann drehte aber auch er sich um und ging den beiden hinterher. Er spukte jedoch nicht auf den Boden. Der geschlagene Junge blieb weinend zurück. Er tat Layla leid. Offensichtlich wurde diese Bande von Aufsehern von ihrem Chef und seinem Speichellecker auf brutale Art geführt. Wer nicht spurte, oder in Augen des Chefs versagte, der wurde brutal abgestraft. Konnte dies vielleicht sogar eine Gelegenheit für sie sein? Layla konnte es sich schon vorstellen. Die Wahrscheinlichkeit war sehr hoch, dass der Geprügelte nicht gerade mit vollen Herzen dabei war und dass er vielleicht sogar auf Rache hoffte. Layla beschloss, dies mit Elisabeth zu besprechen.
Layla drehte sich zu Elisabeth zurück, die mit großen Augen mitten im Raum stand. Sie hatte die Hand wieder vor den Mund gepresst. Da sah auch Layla, wo sie gelandet waren. Sie stehen in einem circa 8 x 8 Meter großen Raum. In einem Ofen brannte ein Feuer, was bei den heißen Temperaturen, die bei dem Sommertag draußen herrschten, schon sehr seltsam war. Im Raum war es deshalb auch fast unerträglich heiß und stickig. In der Mitte des Raums war ein großer Steintisch. Und auf diesen Steintisch standen verschiedene Glasflaschen in unterschiedlicher Größe in einem verwirrenden Durcheinander. Auch auf dem Boden, der ebenfalls aus Stein zu bestehen schien, lag eine Vielzahl von Flaschen. Einige waren zerbrochen und die Flüssigkeit war ausgelaufen. Ein beißender Geruch nach Chemikalien raubte Layla fast den Atem. Sie waren in einem Labor gelandet!
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