Neugierig sah sich Layla um. Es sah wirklich aus, wie in einer mittelalterlichen Hexenküche. An einer Wand war ein großes Regal aus groben Holzbrettern. Auch dort war alles voll gestopft mit Flaschen und Büchsen. An der Nebenwand war ein weiteres Regal mit einer Unzahl von Büchern. Beide Regale waren genau, wie der Steintisch in einem totalen Chaos. Einige Bücher lagen sogar auf dem Boden herum. Es sah aus, als hätte eine Bombe in dem Labor eingeschlagen. Layla fand auch ein dickes Buch, das in Leder eingebunden war, und in dem offensichtlich handschriftlich irgendwelche Ergebnisse zusammengefasst waren. Leider konnte Layla die Schrift nicht lesen.
Da fiel Laylas Blick auf die Wand, an der sie durch das Loch eingestiegen waren und ihre Augen weiteten sich. Fast die ganze Wand war schwarz, als hätte jemand versucht den Stein zu verbrennen. Sie konnte auch neben dem Loch, noch andere kleiner Lücken in der Wand erkennen. Einige Steine waren locker, andere sogar richtiggehend verschoben. Layla erinnerte sich, dass sie einmal eine Reportage gemacht hatte, wo es um eine Explosion in einem Labor der Basler Chemie gegangen war. In diesem Labor hatten die Spuren recht ähnlich ausgesehen. Es hatte hier also höchst wahrscheinlich eine Explosion gegeben.
Layla wollte gerade Elisabeth ein Zeichen machen, dass es wohl besser wäre, wenn sie wieder gingen, da sah sie unter einem umgefallenen Buchstapel eine Hand hervorgucken. Mit zwei großen Sprüngen, die Elisabeth erschreckt aufschreien ließen, war Layla bei dem Stapel und begann die Bücher auf die Seite zu räumen. Nach der offensichtlichen Wucht der Explosion zu schließen, war sie auf das Schlimmste gefasst. Kurz später hatte sie die Person von den Büchern befreit. Es war ein älterer Mann mit Glatze aber dafür einem fast brustlangen, schneeweißen Vollbart. Er war sehr groß, bestimmt über zwei Meter, dafür aber spindeldürr. Er trug eine braune Kutte aus einem recht fein gewebten Leinen, das wohl sehr teuer gewesen sein musste.
In diesem Moment öffnete der Mann die Augen und sah Layla an. Dann begann er zu lächeln und fragte:
„Bin ich gestorben? Seid ihr ein Engel?“
Layla musste herzhaft lachen. Da sah der Mann Elisabeth, die neugierig neben Layla getreten war. Er erkannte sie offenbar, denn sein Blick nahm einen strengen Blick an.
„Maid Elisabeth, was habt Ihr in meinem Labor zu suchen? Wie seid ihr überhaupt hier hinein gekommen?“
Ohne Worte zeigte Layla auf das Loch in der Wand. Als der Mann dieses sah, wurden seine Augen groß. Dann schien er sich zu erinnern. Er versuchte sich aufzurichten, aber Layla hielt ihn sanft davon ab:
„Langsam, guter Mann, Sie haben nach der Beule zu schließen, die auf ihrer Stirn wächst, einen ganz schönen Bums abbekommen. Wo haben Sie denn Wasser, dass wir die Wunde erst einmal waschen können?“
„Im angrenzenden Nebenraum, hinter dieser Türe, die Ihr dort seht. Aber was habt Ihr für eine seltsame Aussprache junge Maid?“
„Ich komme von weit her. Elisabeth, kannst Du bitte das Wasser, und wenn möglich ein sauberes Tuch, holen.“
Das Mädchen folgte augenblicklich, während Layla, die bei der Ausbildung des Convento auch eine gründliche Erste Hilfe Ausbildung genossen hatte, den Mann zu untersuchen begann. Außer der Beule und einer schmerzhaften Prellung an der linken Schulter konnte sie nichts finden. Der Mann sah sie die ganze Zeit dabei seltsam an. Als Elisabeth mit dem Wasser zurückkam, begann Layla, die Wunde zu waschen. Dann half sie dem Mann sich aufzurichten. Der sah sie immer noch auf diese seltsame Art an und fragte dann:
„Junge Maid, wo habt ihr dies gelernt? Es schien fast so, als seid Ihr ein Medikus.“
Layla lachte wieder herzhaft. Sie sah dem Mann offen in die Augen, dann sagte sie:
„Nein, das bin ich natürlich nicht. Nur dort, wo ich herkomme, dort wurde sehr oft gekämpft. Dort habe ich mir diese Kenntnisse angeeignet.“
Der Mann sah Layla immer noch zweifelnd an. Er begann mit dem Knöchel des Zeigefingers seiner rechten Hand und dem dazu gehörigen Daumen sein Kinn zu reiben, was auf dem weißen Bart einen seltsamen knirschenden Laut erzeugte.
Elisabeth, die die beiden ungewöhnlich ernst ansah, erinnerte sich offenbar, dass die beiden nicht wussten, wenn sie da vor sich hatten und übernahm deshalb die Vorstellung:
„Entschuldigen Sie, Master Bernau. Darf ich Ihnen Layla verstellen, meine Kusine aus Basilea?“
Der Mann sah Layla immer noch mit seinem zweifelnden Blick an und sagte:
„Ich wusste gar nicht, dass in Basilea gekämpft wird!“
Layla antwortete darauf nichts. Offenbar war sie das erste Mal in eine Falle gelaufen. Wie sie es hasste, lügen zu müssen. Ihrer Erfahrung nach kam jede Lüge irgendwann zum Vorschein und brachte den Lügner in eine peinliche Situation. Elisabeth schien ähnlich zu denken, denn sie errötete sichtbar, dann aber fuhr sie fort:
„Layla, dies ist Master Bernau, unser Gelehrter und Wissenschaftler, sowie der Lehrer an der örtlichen Lehranstalt.“
Layla lächelte den Mann an. Ein Wissenschaftler! Layla bezweifelte zwar, dass er ihr in ihrer misslichen Lage würde helfen können, aber trotzdem fasste sie sofort ein tiefes Vertrauen zu diesem kauzig wirkenden alten Mann. Woher dieses Vertrauen kam, konnte Layla auch nicht erklären, aber der Mann hatte irgendetwas an sich, dass man ihn einfach mögen musste. Er sah Layla nochmals tief in die Augen, dann begann auch er zu lächeln und sagte:
„Ich kann keine verräterische Falschheit in Eurem Blick erkennen, Maid Layla. Ich vertraue jedoch darauf, dass Ihr mir eines Tages Eure wahre Geschichte erzählen werdet.“
Er reichte Layla die Hand, die dieses Zeichen auch sofort verstand und dem Mann auf die Beine half. Der Mann war wirklich sehr, sehr groß. Bestimmt weit über zwei Meter, wahrscheinlich sogar zwei Meter und zehn. Er war noch sehr wackelig auf den Füssen und stützte sich auf Layla ab, was ein sehr komischer Anblick sein musste, da Layla ziemlich genau einen halben Meter kleiner sein musste. Sein Blick wanderte in seinem Labor, oder vielmehr das, was von seinem Labor übrig geblieben war, umher. Dabei murmelte er irgendetwas vor sich hin, dass Layla nicht verstehen konnte. Er machte sich von Layla los und begann die Schäden zu inspizieren. Als er die Regale mit den zerstörten Flaschen und den durcheinander gewirbelten Büchern sah, ließ er ein richtiggehendes Wehklagen hören, fast so, als ob diese Dinge für ihn das Wichtigste auf der Welt gewesen wären. Dann fiel sein Blick auf den Bücherstapel unter dem er begraben gewesen war und er blieb, wie vom Donner gerührt stehen. Sein Blick wanderte vom Steintisch zum Bücherstapel und wieder zurück. Nach einer kurzen Pause, in der er fast wirkte, als würde er bei einem Tennismatch zusehen, sagte er dann mit leiser Stimme:
„Da war ich wirklich mit großem Glück gesegnet. Die Bücher scheinen meinen Fall nach der Explosion gedämpft zu haben und haben mir vermutlich dadurch das Leben erhalten!“
Layla, die Ähnliches vermutet hatte, nickte mit dem Kopf. Master Bernau hatte wirklich großes Glück gehabt. Offenbar war die Hauptdruckwelle der Explosion genau in die entgegen gesetzter Richtung gegangen und hatte die Mauer fast zum Einsturz gebracht. Trotzdem hatte ihn die kleinere Druckwelle, die in seine Richtung gegangen war, bis zur Wand geschleudert, wo ihn der Bücherstapel vor schlimmeren Verletzungen bewahrt hatte.
Da bemerkte Layla plötzlich etwas anderes. Jemand war am Loch in der Mauer! Layla konnte ihn nur ganz leise hören, aber es schien, als würde jemand dort schnüffeln. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Es war einer der Bären! Sie machte Elisabeth ein Zeichen, leise zu sein und nahm sie bei der Hand. Sie führte sie schnell zur Türe, die zum Nebenraum führte. Und tatsächlich. Kaum waren sie zur Türe hinaus, die sie nur anlehnten, dass sie mitbekamen, was sich im Labor tat, da flimmerte dort die Luft und ein Bär stand mitten im Labor. Er war wesentlich kleiner als Ursuman und die Bären aus Grindelwald, aber doch so groß, dass er sich im Labor kaum rühren konnte. Er sah Master Bernau drohend an. Dann bewegte er die Lippen und sagte in einer guralen fast nicht verständlichen Weise:
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