1 ...7 8 9 11 12 13 ...36 Im Krankenhaus dann realisierte sie erst richtig, was geschehen war. Laut FBI war Eric nur verschollen, doch sie wusste ja, dass dies nicht stimmte, dies aber gleichzeitig nur heißen konnte, dass er tot war. Es begann eine unendlich lange und unendlich qualvolle Zeit des Schmerzes und der Trauer, die sie jedoch tagsüber mit aller Macht unterdrückte, da sie natürlich für ihre Kinder stark sein musste und kein Abbild des Elends sein durfte. Nachts hingegen, wenn die beiden schliefen, durchlebte sie die absolute emotionale Hölle.
Vollkommen überraschend und zu einem Zeitpunkt, an dem sie allmählich lernte, mit dem Schmerz zu leben oder besser zumindest nicht mehr daran zu zerbrechen, kam dann der Anruf eines Mannes namens Douglas Maroon, der behauptete, ihren Mann gekannt zu haben und er einen Freund habe, der mit ihr reden wollte.
Obwohl sie ablehnen wollte, erkannte sie eine ehrliche, echte Traurigkeit in der Stimme des Mannes, die sie berührte und letztlich zustimmen ließ, sich mit ihm zu treffen.
Es sollte ein Treffen werden, dass sie niemals je wieder vergessen konnte und ihre Sicht der Dinge auf so furchtbare Art und Weise radikal veränderte.
Bevor sie aber wirklich verstand, was ihr da ein über aller Maßen trauriger und illusionsloser, vor allem aber gebrochener Mann namens Christopher Freeman mit dem wohl schmerzvollsten Blick, den sie je gesehen hatte, erzählte, durchlebte sie eine irrsinnige Achterbahnfahrt der Gefühle.
Danach war ihr klar, wie Eric wirklich gestorben war, aber auch, dass jede Spekulation über ein mögliches Überleben zerstört war. Und obwohl sie wusste, dass Eric für eine unglaublich ehrenvolle Sache gestorben war, spendete es ihr keinerlei Trost und der Schmerz und die Trauer blieben in voller Härte vorhanden.
Doch während Christopher Freeman New York verließ, blieben Douglas und ganz besonders seine Frau Cynthia immer in ihrer Nähe und wurden alsbald zu sehr guten Freunden.
Treffen jedoch mussten anfangs noch heimlich stattfinden, denn Douglas wurde wegen der Geschehnisse rund um das WTC noch immer von allen möglichen Organisationen unter die Lupe genommen.
Als es dann aber ruhiger um ihn und die Sache wurde, verabredeten sich Talea und Cynthia eines Abends zum Essen. Talea versprach ihre Freundin abzuholen und kam, nachdem sie ihre Kinder zu ihren Schweigereltern gebracht hatte, nur wenige Minuten zu spät. Obwohl Cynthia Pünktlichkeit sehr schätzte, stand sie noch nicht wartend am Straßenrand und kam auch nach zwei Minuten noch nicht aus dem Haus. Talea beschloss daher, bei ihrer Freundin zu klingeln. Cynthia öffnete auch sofort, doch fand sie ihre Freundin in einer höchst erregten, ja fast aufgelösten Verfassung vor. Offensichtlich stritt sie mit Douglas, der ebenfalls anwesend war.
Talea wollte eigentlich sofort wieder gehen, doch Cynthia forderte sie auf zu bleiben und erzählte ihr auch ohne Umschweife, was der Grund für den Disput mit ihrem Mann war.
Eine Minute später war Talea wie vor den Kopf gestoßen, doch spürte sie in ihrem Inneren eine lang nicht mehr gekannte Erregung, die auf sie beinahe wie eine Droge wirkte.
Douglas hatte Cynthia gebeichtet, dass er sie – und auch Talea - die ganze Zeit über angelogen hatte. Das Tor zur Hölle war in jener Nacht nicht zerstört worden, sondern Douglas hatte es in einer reinen Bauchentscheidung an sich genommen und an einen sicheren Ort gebracht. Die nächsten Monate war er dann ständig überwacht worden, sodass er keine Gelegenheit hatte, sich mit ihm zu beschäftigen. Niemandem etwas von seiner Existenz zu verraten empfand er als absolut notwendigen Selbstschutz für sie alle.
Als aber die Überwachungen nachließen, tat Douglas das, von dem er sich geschworen hatte, es als Erstes zu tun: Er kontaktierte Francesco del Pieros Frau Francesca in Italien. Die erklärte ihm sofort geradeheraus, er könne getrost Tacheles mit ihr reden, weil sie vollkommen mit der Arbeit ihres Mannes vertraut war. Sie wusste um den Henker des Teufels und um seine wahre Existenz. Ihre Stimme klang traurig, doch als Douglas ihr den Grund für seinen Anruf mitteilte, wurde sie schlagartig nervös und sagte, sie würde den nächsten Flieger nach New York nehmen. Das war vor zwei Tagen gewesen.
Heute nun hatte er sich mit Francesca in einem abgelegenen Lokal in Queens getroffen. Douglas wollte gerade anfangen zu erzählen, da hob sie einfach nur abwehrend die Hand, schaute ihn direkt an und stellte ihm eine, nur eine einzige Frage: „Wissen sie, ob Silvia an jenem Abend ein violett schimmerndes Armband getragen hat?“ Douglas war verblüfft und sich nicht sicher, doch die Alte ließ nicht locker und tatsächlich glaubte er, dass es so war. Im nächsten Moment jedoch war er sich schon wieder sicher, dass er sich irrte. Am Ende musste er resigniert feststellen, dass er ihr die gewünschte Auskunft nicht mit Sicherheit geben konnte, dass es dafür eigentlich nur einen gab: Christopher!
Daraufhin forderte die Alte sofort, ihn zu sprechen.
Douglas war total geschockt, versprach sich darum zu kümmern und verließ Francesca wieder.
Sein Weg führte ihn direkt nach Hause, wo er sich in seiner Hilflosigkeit, die eine Art Verzweiflung verursachte, nunmehr Cynthia offenbarte, die natürlich komplett entsetzt war und ihm erst einmal einiges an verbalen Unzulänglichkeiten um die Ohren haute – doch auch das nur, weil sie ebenso geschockt und hilflos war, was jetzt zu tun sei, wie er selbst.
Als Talea all das gehört hatte, atmete sie einmal tief durch, schaute ihre beiden Freunde direkt an und sagte dann mit klarer Stimme: „Wir müssen Christopher finden!“
Cynthia und Douglas starrten sie beinahe entgeistert an, obwohl man ihnen bereits ansah, dass sie den gleichen Gedanken gehabt hatten, ihn nur nicht auszusprechen wagten.
Und es war Talea, als hätte ihr Jemand in diesem Moment eine neue Dosis Lebenswillen verabreicht, denn von diesem Augenblick an arbeitete sie unermüdlich daran, Silvia aus der Hölle zurück zu holen.
In dieser grauenvollen Nacht waren weiß Gott mehr als genug gute und aufrechte Menschen gestorben, weil sie sich trotz aller Gefahren und des schier übermächtigen Gegners dem Bösen entgegengestellt hatten, ohne auf die Konsequenzen zu achten – und das zum Wohle aller Menschen.
Für Talea waren sie alle, aber natürlich besonders die, die diese Nacht nicht überlebt hatten, wahre Helden, deren Mut, Hingabe und Glaube so unglaublich groß waren, wie sie ihn niemals zuvor erlebt hatte.
Und Eric, ihr geliebter Eric war einer von ihnen gewesen.
Je mehr sie von jener Nacht erfuhr, je tiefer sie in die Materie eindrang, umso mehr verstand sie Erics Beweggründe und verspürte am Ende doch den Stolz, der ihr anfangs versagt geblieben war. Und sie wusste mit einer so glasklaren Sicherheit, dass, wenn Eric überlebt hätte und es jetzt die Chance gab, Silvia aus der Hölle zu befreien, er alles daran gesetzt hätte, dabei mitzuhelfen. Nun, Eric konnte es nicht mehr tun, doch natürlich konnte sie es tun. Und sie tat es, mit all ihrer Kraft. In Erics Sinne, in seinem Angedenken.
Als Talea alles plötzlich in diesem Licht sah, fühlte sie sich richtig gut und von da an schöpfte sie Kraft aus einem schier unerschöpflichen Brunnen. Sie arbeitete unermüdlich, baute auf, suchte nach Lösungen, eliminierte Schwierigkeiten und Hindernisse, motivierte, trieb an – zum Teufel, sie, einszweiundsechzig groß und ganze 58 Kilo schwer - lernte sogar gewaltige Kranfahrzeuge zu fahren.
Aber natürlich – es wäre wohl auch ein echtes Wunder gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre – stellte sie sich manchmal – aber wirklich nur in sehr seltenen, unbeobachteten Momenten – vor, wie es wäre, wenn sie all dies nicht – zumindest nicht nur – für Silvia tun würde, sondern auch für Eric. Natürlich war ihr mehr als bewusst, dass dies nicht möglich war, denn im Gegensatz zu Silvia, die durch den Custos beim Durchgang in die Hölle geschützt worden war und somit durchaus noch leben konnte, war ihr Mann ganz einfach nur gestorben und somit für immer verloren. Aber natürlich hoffte sie insgeheim darauf, dass es einen Gott gab, der erkannte, welch unglaublich heroische Tat ihr Mann zusammen mit den anderen vollbracht hatte, und ihr deshalb zumindest einen einzigen weiteren Moment mit ihm schenkte, damit sie ihm all das sagen konnte, was ihr noch auf dem Herzen lag.
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