‚Autos sind Fässer ohne Boden, Schatz. Genauso gut kannst du dein Geld auch gleich zum Fenster rauswerfen.’, hatte meine Mutter treffend bemerkt, als Benjamin mir den Wagen schmackhaft gemacht hatte.
Dass ich für das gebrauchte Auto fast mein gesamtes Erspartes von mickrigen tausend D-Mark zusammen gekratzt hatte, ärgerte mich am meisten. Der Rest davon steckte inzwischen in den Reparaturen, zusammen mit einem großen Teil meines Einkommens. Kurzum: Ich war arm wie eine Kirchenmaus; keinerlei Rücklagen. Und jetzt auch noch ohne Auto. Mindestens für eine Woche, solange es überhaupt wieder instand gesetzt werden konnte, ohne dass ich mich dafür verschulden musste. „Na komm schon, Kleine. Mach nicht so ein zerknautschtes Gesicht.“, versuchte Anja mich aufzumuntern. Kleine – so nannte sie mich immer, obwohl ich gut zehn Zentimeter größer war. Aber sie war 10 Jahre älter. „Hmm.“, murmelte ich in mein Weinglas, in dem der Wein langsam warm wurde. „Ich probier’s, ok? Aber ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wenn ich an die Kosten für die Werkstatt denke, wird mir kotzübel.“ Anja nickte verständnisvoll. „Und ohne Auto kommst du nicht zur Arbeit. Ich verstehe schon.“
Fast hätte ich mit dem Wein schwungvoll ihre Tapete dekoriert, als Anja nach etwa fünf Minuten anhaltendem Schweigen triumphierend ein ‚Ich hab’s!’ verkündete. Ihre rostroten Locken wippten fröhlich auf und ab, während sie ihre Aussage mit einem kräftigen Nicken unterstützte, mit der Zunge schnalzte und mit den Fingern schnippte. „Du ziehst zu mir. Bis du hier in der Stadt eine bezahlbare Wohnung findest. Was hältst du davon?“ Der Gedanke war mir auch schon ein- oder zweimal gekommen. Nur hatte ich nicht mit der Tür ins Haus fallen wollen. „Das ist… wow! Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Anja legte den Kopf schräg. „Heißt das ja?“ Ich nickte, wobei sich ein breites Lächeln in meinem Gesicht ausbreitete. „Und ob!“
Nur zwei Tage später war ein Teil meiner Habseligkeiten in Anjas Wohnung verstaut. Ich selbst hatte ihr Gästezimmer bezogen, das Anja zu meinem eigenen Reich erklärte.
Meine Eltern waren nicht sonderlich begeistert, ihre Tochter an die Großstadt zu verlieren. Man, ich zog schließlich nicht außer Landes!
Kein Grund für sie, einen Aufstand zu proben.
Natürlich würde ich einen Teil von Anjas Miete übernehmen, die ich bei meinen Eltern nicht hatte zahlen müssen. Aber dafür musste ich weder Benzin noch die Versicherung fürs Auto zahlen. Ganz zu schweigen von den ständigen Reparaturkosten. Außerdem wohnte Anja so nah an meiner Arbeitsstelle, dass ich bequem zu Fuß gehen konnte. „Papperlapapp!“, erwiderte Anja auf diesen Vorschlag mit einem Abwinken ihrer Hand. „Wir machen das ganz anders. Du kümmerst dich ab sofort um die Einkäufe und erledigst einen Teil im Haushalt mit. Die Miete und Nebenkosten überlässt du mir. Ok?“ Von mir aus! Selbst damit würde ich noch eine ganze Menge sparen. Also nickte ich nur, zog sie an mich und drückte sie ganz fest. „Danke. Was würde ich nur ohne dich tun?“ Anja schnalzte mit der Zunge. „Dein Auto reparieren lassen und dich in Schulden stürzen?“ Vermutlich. „Das wäre schön blöd. Dann würde dein Geburtstag im Oktober ausfallen müssen. Man, dabei wirst du doch nur einmal 21.“ Absolut ernst sah sie mich an, wobei sie nicht einmal blinzelte. Ich kapierte erst, dass sie mich aufzog, als ihre Mundwinkel amüsiert zuckten. „Du hast Recht. Das wäre ein Skandal. Ich müsste auf alle Geschenke verzichten, weil ich keine Party ausrichten kann.“
Anja nickte grimmig und entschlossen, bis wir beide in Gelächter ausbrachen. „Wann musst du wieder arbeiten?“, schlug Anja ein anderes Thema an. Oh, eigentlich wollte ich nicht daran denken, obwohl mit der Job riesigen Spaß machte. Aber mein Urlaub konnte schließlich nicht ewig dauern. „Nächsten Montag. Und dann gleich bis Samstag.“ Sie grinste und ließ ihre Augenbrauen hüpfen. „Dann können wir am Wochenende also doch noch auf das Burgtreffen?“ Auf jeden Fall! Doch diesmal würde mir kein dämliches Auto das Vorhaben durchkreuzen.
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Juli, 2133
Sein Freund mochte sich äußerlich kaum verändert haben, doch Roman blickte tiefer. Was er sah, erschreckte ihn mehr, als er sich anmerken ließ. Vampire und Pir waren Meister im Beherrschen von Gefühlen. Aber seinen Freund derart müde zu sehen, bestürzte Roman. Es hatte ihn nicht verwundert, dass Alan seinen Job an den Nagel gehängt hatte. Allerdings war die Vermutung nahe liegend gewesen, dass er es wegen Sam getan hatte.
Im weitesten Sinne war sie der Grund. Wenn auch wegen ihres Todes. Jetzt erst erkannte er das Ausmaß der Trauer, die sich unwiderruflich in Alans Augen eingegraben hatte. Es schmerzte ihn, zu wissen, dass er für seinen Freund nicht da gewesen war. Oder für Sam. Aber bei weitem nicht so sehr, wie seine vertane Chance, Sam seine Liebe zu gestehen. Ohne Hoffnung auf die Erwiderung seiner Gefühle. Ohne ihr und Alan alles Glück der Welt zu wünschen, auch wenn es ihm dabei vermutlich das Herz zerrissen hätte.
Wie jetzt auch.
Wäre es möglich gewesen, Sams Tod aufzuhalten? Vielleicht. Diese Frage ließ sich nicht mehr klären.
Stumm standen sich die beiden Männer gegenüber.
Eine Minute.
Zwei.
Fünf.
Bis Roman sich einen Schubs gab, seinen gut zehn Zentimeter größeren Freund freundschaftlich in den Arm nahm und ihm auf den Rücken klopfte. Eine Geste, die alles sagte, was nicht gesagt werden konnte. Noch nicht. „Wie geht’s dir, mein Freund?“ Alans Oberarme fest umfassend, sah er ihm direkt bis in die Seele. „Ich lebe.“ Roman nickte. „Hm, dein Körper lebt, das sehe ich.“ Die teilnahmslose Akzeptanz Alans bohrte einen spitzen Pfeil in Romans Herz. „Ich weiß, die Frage kommt zu spät, aber… kann ich dir helfen?“ Alan, dessen Beine sein Gewicht kaum zu tragen schienen, obwohl er muskulös wie eh und je wirkte, sank leise seufzend in den großen Sessel. Roman kannte die Antwort, noch bevor Alan den Mund öffnete. Er wünschte sich sofort, nicht gefragt zu haben.
„Du verlangst sehr viel von mir, mein Freund. Könntest du es an meiner Stelle?“ Alan zuckte antriebslos mit den Schultern. „Weiß nicht. Aber du bist jetzt ein Pir. Du kannst deine Gefühle abstellen. Ich nicht. Versprich es mir.“ Roman nickte. „Ich verspreche es dir, mein Freund. Aber verlange nicht von mir, dass ich dabei nichts fühle.“ Alan verzog seinen Mund zu einem verkrampften Lächeln, was seine Augen nicht erreichte.
Innerlich war sein Freund bereits tot.
Roman hoffte, dass Alan noch lang genug aushielt, bis seine – und Sams – Kinder volljährig waren. Auch wenn er ihm zugesagt hatte, sich um die Kinder zu kümmern. Wenigstens verlangte Alan nicht von ihm, dessen Leben sofort zu beenden. Wenn er ihm nur anders helfen könnte.
Wenn er nur Sam hätte helfen können!
Scheiße!
Wäre es ihm möglich gewesen ihr Leiden zu erkennen, wenn er nicht in dem todesähnlichen Schlaf gelegen hätte, der ihn zum Pir transformierte? Warum hatte Stépan nichts bemerkt? Er hätte die Veränderungen in Sams Inneren doch sehen müssen! Wenn dieser einen Grund gehabt hätte, danach zu schauen. Romans Gedanken drehten sich im Kreis, während er stumm seinen Freund ansah, der ihn nicht mehr an den arroganten, unverwüstlichen, erhabenen Wer erinnerte, der er früher gewesen war. Verflucht nochmal! Sogar er fühlte sich verwundbar und schwach, wenn er an Sam dachte. Und daran, dass er nie wieder mit ihr sprechen konnte. Oder ihre Energie in sich aufnehmen.
In seiner Verzweiflung, weil er weder seinem Freund helfen, noch die Frau, die er liebte, wieder zum Leben erwecken konnte, dämpfte er alle seine Empfindungen, bis er die Ausstrahlung eines Felsblocks erreichte. Viel besser .
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