Claudia Rimkus
Geraubtes Leben
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Inhaltsverzeichnis
Titel Claudia Rimkus Geraubtes Leben Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Impressum neobooks
6. Oktober 2012 in einer Holzhütte
Wirre Bilder wirbelten durch Constances Kopf, während sie sich auf der harten Pritsche wälzte. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen die Ohnmacht an, die sie immer wieder in die Tiefe sog. Nur langsam kam sie zu sich. Ihre Lider fühlten sich bleischwer an. Endlich gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Sie nahm eine derbe Holzwand wahr, während ein dumpfer Schmerz unaufhörlich hinter ihrer Stirn pochte, als wolle er jedes klare Denken verhindern. Dennoch wurde ihr allmählich bewusst, dass sie sich nicht in ihrem Bett befand.
Benommen richtete sie sich auf. Dabei bemerkte sie, dass etwas ihren linken Arm festhielt. Entsetzt sah sie die Handschelle an ihrem Handgelenk, die an einer langen Metallkette befestigt war. Panik erfasste sie. Heftig zerrte sie an der Kette, erkannte, dass diese mit einem an der Wand verankerten Eisenring verbunden war.
„Hilfe!", rief sie laut. „Ist da jemand?" Alles blieb still. „Hallo!", schrie sie abermals. „Hört mich denn keiner?"
Immer noch keine Antwort. Niemand kam herein. Verzweifelt riss sie immer wieder an der Kette. Es war zwecklos. Trotzdem gab sie nicht auf. Sie sah sich die Wandbefestigung genauer an. Der Ring war mit vier dicken Schrauben mit abgerundeten Köpfen an den Holzbohlen der Wand angebracht. Ohne Werkzeug war es unmöglich, sie zu lösen. Mit beiden Händen fasste sie nach dem Eisenring und versuchte, ihn durch kräftiges Rucken zu lockern, aber er bewegte sich keinen Millimeter.
„Verdammt, ich will hier raus!“
Wütend rüttelte sie wieder und wieder daran – vergeblich.
Reiß dich zusammen! Du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren!
Sie atmete ein paar Mal tief durch. Dann suchten ihre Augen den Raum ab: ein alter Tisch, ein Stuhl, die Pritsche, auf der sie hockte, ein schwarzer Ofen in der Ecke - das war alles. Die Wände waren aus grobem Holz; die Fenster schienen mit Brettern vernagelt. Nur durch eine kleine Luke im Dach fiel etwas Licht.
Wie bin ich hierhergekommen?
Angestrengt versuchte sie, ihr Gedächtnis zu aktivieren. Wie Puzzleteile fügten sich Erinnerungsfetzen nach und nach zusammen.
Vormittags war ich im Zentrum ... und in der Mittagspause im Supermarkt ... Claas hat mich an das Konzert erinnert ... Später hat Tante Betty angerufen. Es ging ihr nicht gut. Deshalb bin ich am Nachmittag zu ihr gefahren ... und dann? Ich wollte nach Hause, um mich für den Theaterbesuch umzuziehen...
Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Hatte sie das auch getan?
Warum erinnerte sie sich nicht daran, dass sie nach Hause gefahren war? Ihr Gedächtnis ließ sie doch sonst nicht im Stich!
Du hattest einen Blackout, meldete sich ihre innere Stimme. Aber aus welchem Grund? Sie hatte keinen Alkohol getrunken und auch keine Tabletten geschluckt. Eine Erinnerungslücke kam doch nicht von ungefähr, es sei denn, jemand hätte sie betäubt! Nun erinnerte sie sich an die Müdigkeit, die sie nach dem Tee bei ihrer Tante verspürt hatte.
Vielleicht hatte man sie beim Verlassen von Tante Bettys Haus gekidnappt? Dass ihre Tante etwas mit ihrer Entführung zu tun haben könnte, wäre einfach zu absurd. Zwar war das Verhältnis der Ellerbrooks zu den Lohmanns nie besonders eng gewesen. Trotzdem traute sie ihrer Tante so eine Gemeinheit nicht zu.
Warum aber war das letzte, an das sie sich erinnerte, der Besuch bei Tante Betty? Eigentlich war sie ja auch gar nicht richtig krank gewesen ... Unbewusst schüttelte sie den Kopf. - War es möglich, dass sie aus einem anderen Grund in die Wohnung gelockt wurde? Wieder dachte sie an den Tee. Der hatte doch merkwürdig bitter geschmeckt. So sehr sie auch überlegte, ihr fiel keine andere Erklärung ein, als dass ihre Tante ihr irgendetwas in den Tee getan haben musste, um sie außer Gefecht zu setzen. – Aber wieso? Weil sie es immer noch völlig abwegig fand, Harry zu heiraten? - Das Gespräch mit Barbara fiel ihr wieder ein. Hatte ihre Freundin recht mit der Vermutung, dass Tante Betty enger mit der Familie verknüpft sein wollte? Was brächte ihr das ein? Höheres gesellschaftliches Ansehen? Oder spekulierte sie auf finanzielle Zuwendungen?
Wahrscheinlich ging es ihr nur ums Geld, dachte sie missbilligend. Steckte sie hinter der Entführung, um von ihrem Vater ein hohes Lösegeld zu kassieren? So musste es gewesen sein! Dann wusste bestimmt auch Harry davon. Seit sie ihm unmissverständlich klargemacht hatte, dass sich seine Hoffnungen niemals erfüllen würden, benahm er sich seltsam. Er hatte ihr sogar gedroht: Sie würde ihr Verhalten noch bedauern. Vermutlich hatten sie die Entführung schon zu diesem Zeitpunkt geplant. Dann war es sicher Harry, der sie hierher gebracht hatte.
Schwerfällig erhob sie sich. Die lange Kette ermöglichte es ihr, sich wenige Schritte von der Pritsche zu entfernen und den Tisch zu erreichen. Darauf befanden sich zwölf kleine Flaschen Mineralwasser. Sie griff nach einer der Plastikflaschen und vergewisserte sich, dass der Verschluss unversehrt war. Sie wollte nicht noch einmal betäubt werden. Schließlich öffnete sie die Flasche und trank sie bis zur Hälfte aus. Dann sah sie sich die bereitliegenden Lebensmittel genauer an: ein Päckchen Butterkekse, zwei Tüten Zwieback und ein 6er-Pack Kaugummi. Sie hasste Kaugummi. Trotzdem öffnete sie die Verpackung und zog einen Streifen heraus, den sie vom Papier befreite. Widerstrebend schob sie ihn in den Mund, weil sie hoffte, dadurch den schalen Geschmack loszuwerden.
In einer Ecke neben der Pritsche entdeckte sie eine Campingtoilette, einen Plastikeimer, der mit Wasser gefüllt war, und ein Stück Seife. Auch das befand sich in der Reichweite, die ihr die Eisenkette ließ.
Obwohl sie sich nach einer heißen Dusche sehnte, tauchte sie die Hände in das kalte Wasser und benetzte ihr Gesicht damit. Suchend schaute sie sich nach einem Handtuch um, aber das hatten ihre Entführer anscheinend vergessen. Ihr Blick fiel auf das Paket Toilettenpapier. Sie nahm eine der sechs Rollen heraus, riss einen langen Streifen ab und tupfte damit Gesicht und Hände trocken.
Deprimiert ließ sie sich wieder auf der Pritsche
nieder und griff nach der dünnen Wolldecke, die darauf lag. Fröstelnd wickelte sie sich darin ein. Sie trug nur ein knielanges schwarzes Shirt. Man hatte sie nicht nur ihrer Kleider beraubt; ihre Armbanduhr und ihr Ring fehlten ebenfalls, wie sie mit einem Blick erkannte. Automatisch hob sie die Hand und tastete nach den Ohrringen. Erleichtert stellte sie fest, dass man ihr Adrians Geschenk nicht abgenommen hatte. Wahrscheinlich hatten ihre Haare es verdeckt.
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