„Kein Bedarf."
„Glücklich verheiratet?"
„Völlig ungebunden", verneinte sie. „Klinisch formuliert: Ich mag Männer lieber ambulant als stationär."
Skeptisch hob er die Brauen.
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?"
Ihr abschätzender Blick maß ihn von Kopf bis Fuß.
„Besser nicht."
„Sind Sie tatsächlich eine dieser fürchterlichen Emanzen, die alles allein meistern will?", fragte er sichtlich enttäuscht. „Ich hätte sie eher für eine sinnliche Frau gehalten: anschmiegsam und hingebungsvoll."
„So kann man sich irren. Anscheinend sind Sie einer dieser Machos, die von einer Frau erwarten, dass sie gleich nachgibt."
„Bis jetzt hat sich bei mir noch keine Frau beklagt. Die meisten mögen es, wenn man ihnen den Hof macht.“
„Ist das Ihre Taktik?", fragte sie direkt. „Und wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben? Wenn sie schwach geworden ist? Wahrscheinlich verlieren Sie dann bald das Interesse und halten nach der nächsten Ausschau."
„Und was ist mit Ihnen? Wenn Sie Lust haben, reißen Sie sich einen willigen Mann auf. Danach werfen ihn raus oder gehen nach Hause. - Finden Sie das okay?"
„Jedenfalls ist es ehrlicher, als Hoffnungen zu wecken, die man doch enttäuschen würde."
Während sie sich fragte, warum sie ausgerechnet mit einem Hilfsarbeiter, der ihr noch dazu völlig fremd war, über dieses Thema diskutierte, trat er dicht vor sie hin.
„Wissen Sie überhaupt, was aufrichtige Empfindungen sind?" Sein Blick hielt ihre Augen wie durch Magie gefangen. „Gewöhnlich ist es schwerer, Gefühle zu verbergen, die man hat, als welche zu heucheln, die man nicht hat."
„Ich heuchele keine Gefühle", erwiderte sie ruhig, obwohl seine unmittelbare Nähe ein leises Kribbeln in ihrem Nacken verursachte. So erging es ihr immer, wenn sie sich physisch stark zu einem Mann hingezogen fühlte.
„Das können wir ja gleich mal testen", schlug er vor und legte leicht die Hände auf ihre Schultern. Ein sinnliches Lächeln umspielte seine Lippen. Ohne den Blick aus ihren Augen zu lösen, kam sein Gesicht gefährlich nahe. Der herbe Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase. Plötzlich schien sich die Luft zwischen ihnen elektrisch aufzuladen.
Bevor seine Lippen ihren Mund jedoch berührten, trat Constance instinktiv einen Schritt zurück.
„Angst?", fragte er daraufhin leise.
„Mir ist nur gerade nicht danach. Außerdem bestimme ich Ort und Zeitpunkt dafür gern selbst. Vor allem aber wähle ich mir sorgfältig aus, auf wen ich mich einlasse." Rasch warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Sie sollten jetzt gehen; ich habe noch eine Verabredung."
Mit einem Seufzer ließ er die Hände sinken.
„Wollen Sie sich wirklich mit diesen Typen treffen?"
„Diese Typen sind meine Freunde", betonte sie. „Wirkliche Freunde."
„Warum haben die Ihnen dann nicht bei der Renovierung geholfen?"
„Weil sie beruflich stark eingespannt sind. Buddy hat eine Autowerkstatt, und Keule ist in der Werbebranche, Andy ist Rechtsanwalt und Gus arbeitet bei der Stadtverwaltung. Ich bin schon froh, dass sie die Stühle nach Feierabend für mich abgeholt haben." Energisch ging sie zur Tür. „Nun möchte ich meine Freunde nicht länger warten lassen."
Widerstrebend folgte er ihr hinaus.
„Okay, dann gehe ich jetzt. - Aber ich komme wieder."
„In der nächsten Zeit brauche ich keine Hilfe."
„Wer weiß ...", meinte er schmunzelnd, hängte sich seinen Pullover über die Schultern und öffnete die Tür. „Ciao, Bella!"
Auch Constance verließ das Zentrum. Sie musste nur die Straße überqueren, um ihre Wohnung im Haus gegenüber zu erreichen. Dort duschte sie rasch, kleidete sich an und fuhr zu ihrem Stammlokal.
Dieter Grundmann hatte die ehemalige Eckkneipe vor zwei Jahren übernommen und in ein wahres Schmuckstück verwandelt. Während er selbst hinter der Theke stand, entfaltete sein Lebensgefährte in der Küche seine Kochkünste. Diese wurden inzwischen in der ganzen Stadt gerühmt, so dass das Domino als Geheimtipp unter Feinschmeckern galt. Dementsprechend war es nicht immer einfach, dort abends einen Tisch zu bekommen.
Als Constance das Lokal betrat, kam der Wirt sofort hinter der Theke hervor. Lächelnd ging er ihr entgegen.
„Hallo, Conny“, begrüßte er sie und küsste sie auf beide Wangen. „Schön, dich wieder mal hier zu haben.“
„Ich weiß doch, was ich meinem Magen schuldig bin, Didi.“
„Du kommst nicht nur meinetwegen?“, sagte er in gespielter Verzweiflung. „Lass dich trotzdem erst mal anschauen.“ Anerkennend musterte er ihre Gestalt, die nun in einem leichten Kleid steckte. „Hinreißend siehst du aus, meine Liebe. Wäre ich ein normaler Mann, wäre ich dir längst rettungslos verfallen.“
„Du bist normaler als die meisten Männer, die ich kenne, du alter Schmeichler", gab sie amüsiert zurück. Es störte sie nicht im Geringsten, dass er homosexuell war. Sie hegte keine Vorurteile, bewunderte sogar, dass er - trotz der auch heute noch existierenden negativen Einstellung darüber - offen zu seiner gleichgeschlechtlichen Neigung stand. „Bringst du mir bitte ein Bier, Didi?"
„Ist schon unterwegs", versprach er, worauf sie sich zu ihren Motorradfreunden gesellte.
„Entschuldigt meine Verspätung", bat sie und nahm neben Buddy Platz. „Habt ihr schon gegessen?"
„Wir haben auf dich gewartet", verneinte Gus, der eigentlich Gustav hieß. „Wer hat dich denn noch aufgehalten?" Ein vielsagendes Schmunzeln breitete sich auf seinem schmalen Gesicht aus. „Dein Anstreicher?"
„Wie kommst du denn darauf?"
„Hast du nicht gemerkt, wie er dich angeguckt hat?"
Mit Unschuldsmiene erwiderte sie seinen Blick.
„Wie hat er mich denn angeschaut?"
„Wie ein gieriger Hund einen äußerst delikaten Knochen."
„Vielen Dank für den netten Vergleich mit einem Knochen", entgegnete sie trocken. „Eigentlich dachte ich immer, dass an mir etwas mehr dran ist."
„Du weißt schon, wie ich das meine", behauptete er lachend. „Zu deiner Beruhigung kann ich dir aber versichern, dass deine Anatomie genau an den richtigen Stellen alles andere als knochig ist. Das ist auch deinem Anstreicher aufgefallen."
„Kam der wirklich von der Jobvermittlung?", zweifelte Andy, der Rechtsanwalt. „Auf mich hat er eher den Eindruck eines Playboys gemacht."
„Wie ein Hilfsarbeiter hat der tatsächlich nicht ausgesehen", fügte Buddy hinzu. „Solche Typen machen sich normalerweise nicht die Hände schmutzig. Der passt eher in ein vornehmes Büro."
„Habt ihr den schwarzen Porsche vor dem Haus gesehen?", fragte Constance nachdenklich. „Damit ist er weggefahren."
„Das war seine Kiste?" Beeindruckt nickte Buddy. „Kein schlechter Wagen. Ich habe ihn mir angeschaut. Ein historisches Modell – gut und gerne dreißig Jahre alt. Und sehr gepflegt.“
„Vielleicht war das so ein reicher Spinner", überlegte Volker, dem der Spitzname Keule anhaftete, seit er eine erfolgreiche Werbekampagne für Hähnchenschenkel entworfen hatte. „Manche Leute kommen auf die merkwürdigsten Ideen, wenn sie zu viel Kohle haben."
„Im Grunde ist völlig unwichtig, wer er war", meinte Constance. „Er hat mir bei der Renovierung geholfen, und ich habe ihn dafür bezahlt. Damit ist die Sache für mich erledigt." Sie nahm das Bierglas entgegen, das der Wirt nun brachte. „Danke, Didi." Lächelnd blickte sie in die Runde. „Und euch danke ich für eure Hilfe. – Prost!"
Niemand in dem gut besuchten Lokal beachtete die Frau mit den dunklen Locken, die in einer Nische saß. Die Augen hinter den dicken Brillengläsern beobachteten die Runde der fünf Freunde unauffällig, aber sehr genau. Besonders interessierte sie die Frau mit dem blonden Haar. Jede Bewegung, jede Geste von Constance Meves versuchte sie sich einzuprägen – wie sie ihr Glas hielt, wie sie sich leicht zurücklehnte, wenn sie lachte, wie sie sich mit der Serviette den Mund abtupfte ...
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