Philip
Haitham ein neues Zuhause zu bieten war eine tolle Idee gewesen. Endlich hatte ich wieder Leben in der Wohnung. Die ersten zwei Wochen hatte ich meine Schicht im Restaurant auf den Mittag gelegt, sodass ich zu Hause war, wenn Haitham von der Arbeit heimkam. So konnten wir ein wenig Zeit miteinander verbringen und uns in Ruhe kennenlernen. Manchmal gestaltete sich die Kommunikation ein wenig anstrengend: Seine Deutschkenntnisse wurden immer besser, aber waren hin und wieder eben doch noch ein wenig gebrochen. Aber er lernte wirklich schnell und war ein wirklich angenehmer Mitbewohner.
Eines Abends, wir teilten uns nun schon seit etwa drei Wochen unsere Wohnung, kam ich vom Einkaufen nach Hause. Schon im Treppenhaus begrüßte mich ein wahnsinnig intensiver Duft, bei dem mein Magen direkt ein erwartungsvolles Knurren von sich gab. Je näher ich der Wohnung kam, umso stärker wurde der Geruch, und als ich die Wohnungstür aufschloss, nahm er mir beinahe den Atem. Dazu gesellte sich ein Klappern und Klirren aus der Küche. Einen Moment schloss ich die Augen und ließ den Duft und die Geräuschkulisse vom Flur aus auf mich wirken. Ich versuchte, einzelne Komponenten herauszufiltern, aber das gestaltete sich als schwierig. Es roch wahnsinnig exotisch. War das Koriander? Und Knoblauch? Ja, da war eindeutig Knoblauch. Ich konnte mich gar nicht satt riechen. Ein neuerliches Knurren meines Magens ließ mich schließlich meine Augen wieder öffnen. Ich schüttelte kurz den Kopf über mich selbst. Wie das wohl aussehen musste: Der dicke Koch mit der Einkaufstüte, die Nase hochgereckt, schnüffelnd mit geschlossenen Augen im Wohnungsflur. Noch nicht einmal die Tür hatte ich hinter mir geschlossen. Grinsend holte ich das nun nach. Dann packte ich meine Tasche mit den Einkäufen und steuerte auf die Küche zu. Dort stand Haitham und probierte gerade, was in den Töpfen so verdammt gut roch.
„Was ist das Leckeres?“, fragte ich und schob verlegen ein „Hallo, Haitahm“ hinterher. Wie sollte er denn bitte deutsche Sitten lernen, wenn ich mich hier selbst benahm wie ein Banause?
„Philip!“, rief mein Mitbewohner erfreut aus. Ihm schien mein kleiner Fauxpas gar nicht aufgefallen zu sein. Stattdessen bedeutete er mir mit einer Handbewegung, näher an ihn und das, was er da fabrizierte, heran zu kommen.
Gern kam ich der Aufforderung nach. Neugierig spähte ich in die beiden Töpfe, die da auf dem Herd standen. In einem befand sich anscheinend Reis. Und dann auch wieder nicht. Einen Moment starrte ich auf den Inhalt und versuchte zu erkennen, was sich außer Reis denn noch darin befand. Schließlich gab ich auf. „Was ist das?“, fragte ich Haitham, der neben mir stand und anscheinend mit meiner Frage gerechnet hatte.
„Das ist syrischer Reis“, erklärte er mir stolz. „Reis mit Fadennudeln“, ergänzte er, als er meinen Gesichtsausdruck sah.
„Fadennudeln“, murmelte ich, verkniff mir aber ein erneutes „Was ist das?“ und wandte mich dem anderen der beiden Töpfe zu. Denn aus diesem kam der Geruch, der meinen Magen nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Neugierig hob ich den Deckel an. Die Tomatensoße konnte ich direkt zuordnen. Auch Fleisch meinte ich zu erkennen. Aber was war das?
„Das sind Okras“, kam Haitham mir wieder zu Hilfe, bevor ich überhaupt Zeit hatte, zu fragen. „Gemüse.“
Die Schoten hatten Ähnlichkeit mit Paprika oder Peperoni. Doch ich verkniff mir wieder, nachzufragen, um was genau es sich hier denn handelte. Ich war schließlich Koch! Dass ich Lebensmittel nicht zuordnen konnte, fand ich dann doch merkwürdig. Kopfschüttelnd schloss ich den Topfdeckel wieder und machte mich daran, meine Einkäufe zu verstauen.
„Erwartest Du Besuch?“, fragte ich Haitham, während ich Aufschnitt und Salat im Kühlschrank verstaute.
„Dich!“, erwiderte er.
„Du kochst für mich?“, fragte ich ungläubig.
Haitham nickte und lächelte mich mit großen Augen an.
„Aber für mich musst Du doch nicht so einen Aufwand betreiben!“, protestierte ich.
„Das ist kein Aufwand!“ Haitham machte eine abwertende Handbewegung. „Ich zeige Dir die syrische Küche, das macht Spaß!“ Er machte eine Bewegung in Richtung Wohnzimmer. Ich stellte fest, dass der Esstisch dort schon für zwei Personen gedeckt war. Auf der Arbeitsplatte standen schon zwei fertig angerichtete Schälchen. „Das ist die Vorspeise. In Syrien gibt es immer Vorspeise und Hauptgang.“
Als ich mir die Schälchen näher anschaute, stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Endlich etwas, das ich wiedererkannte! In vielen Bioläden der Stadt hatte sich das Gericht schon etabliert. „Taboulé“, stellte ich fest und nickte anerkennend.
Haithams Gesicht hellte sich auf. „Du kennst es?“
Ich erklärte ihm, dass wir die Vorspeise aus Bulgur, Tomaten, Petersilie und Minze auch hin und wieder auf der Speisekarte unseres Restaurants anboten. Durch die frischen Kräuter war dieser Salat speziell im Sommer ein gefragtes Gericht. Wir setzten uns damit ins Wohnzimmer. Ich nahm eine Gabel und stieß ein begeistertes „Hmmm“ aus. Es war einfach perfekt. Gespannt wartete ich auf den Hauptgang.
„Das ist Bamya“, erklärte Haitham mir, als er mir das Fleischgericht mit dem Nudel-Reis-Gemisch reichte.
Ich probierte einen Bissen und hätte mir gern selbst auf die Schulter geklopft: Die Soße war eindeutig mit Knoblauch und Koriander gewürzt. Da hatte meine Nase also recht gehabt! Die Okras schmeckten ein wenig wie Bohnen. Und doch war das Gericht anders als alles, was ich bisher gegessen hatte. Wir aßen überwiegend schweigend, ich gab mich ganz diesem Geschmackserlebnis hin. „Toll!“, brachte ich zwischen zwei Bissen hervor. Dabei stellte ich fest, dass Haitham sehr langsam aß. Ich hatte mittlerweile schon zum zweiten Mal meinen Teller gefüllt, während er immer noch die erste Portion vor sich hatte. „Schmeckt es Dir denn nicht?“, fragte ich deswegen.
Er lachte auf. „In Syrien essen wir so lange, wie der Gast isst. Man hört nie vorher auf. Du isst viel, also muss ich langsam essen.“ Dabei schaute er auf meinen nicht zu übersehenden Bauch. Verlegen wandte er den Blick ab und schlug er sich mit der Hand vor den Mund. „Philip, es tut mir leid, ich wollte nicht…“
Lachend schüttelte ich den Kopf. „Keine Sorge. Ich weiß, dass ich ein wenig zu viel auf den Rippen habe. Nichts, wofür Du Dich entschuldigen musst. Du solltest so etwas aber nie zu einer Frau sagen.“, fügte ich grinsend hinzu. „Da könntest Du Dir mächtigen Ärger einhandeln.“
Ich war froh, dass Haitham nur von Vor- und Hauptspeise gesprochen hatte. Das Bayram breitete sich nach einer Weile sehr in meinem Magen aus, sodass darin für einen Nachtisch nur wenig Platz gewesen wäre. Als wir die Teller abgeräumt hatten, wollten wir uns noch einen Moment lang im Wohnzimmer zusammensetzen. Kurz nach mir kam Haitham mit zwei dampfenden Tassen herein und stellte eine von ihnen vor mir ab. Dann ging er noch einmal zurück in die Küche und holte die Zuckerdose mit zwei Löffeln. „In Syrien trinken wir viel Tee“, sagte er, während er eine beachtliche Menge Zucker in seine Tasse löffelte. „Das ist unser Nachtisch.“
Bei Löffel Nummer fünf zog ich die Augenbrauchen nach oben. „Bist Du sicher, dass…“, setzte ich an. Doch in diesem Moment verrührte er auch schon den Zucker in seiner Tasse und legte den Löffel danach zur Seite, sodass ich mir den Rest sparte. Ich selbst begnügte mich mit zwei Löffeln.
Eine Weile lang nippten wir schweigend an unserem Getränk.
„Danke, Haitham“, sagte ich nach einer Weile. „Das war ein toller Abend.“
„Du gibst Dir so viel Mühe, mir Deutschland zu zeigen. Ich dachte, ich versuche mal, Dir zu zeigen, wo ich herkomme“, antwortete er. „Und wie geht das besser als mit Essen?“
Читать дальше