Highway ins Dunkel. Stories

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Ebenso wie seine Romane bürgen auch die Kurzgeschichten des Meisters hautnahen Horrors für Schreckensqualitäten vom Feinsten. Namenlose Kreaturen, mörderische Ratten, mysteriöse Erscheinungen halten Einzug in die geheimsten Winkel unseres Nervensystems ...
Das Buch
Dean Koontz gilt als Meister hautnahen Horrors, und er versäumt es auch in seinen schaudererregenden Kurzgeschichten nicht, den Leser in eine eiskalte Welt puren Entsetzens zu entführen.
Namenlose Kreaturen, die einem notorischen Dieb das Fürchten lehren, mörderische Ratten, entkommen aus einem Versuchslabor, und Wesen aus anderen Welten erschüttern unser Vertrauen in das Erdendasein nachhaltig ...
Der Autor
Dean Koontz, 1946 in Bedford/Pennsylvania geboren, besuchte das Shippensburg State College und nahm 1966 eine Lehrerstelle in Appalachia an. Wenig später heiratete er und veröffentlichte seinen ersten Roman und einige Kurzgeschichten. 1976 zog er mit seiner Familie nach Orange County/Kalifornien. In mehr als 20 Jahren schrieb Koontz 55 Bücher, die in einer Weltauflage von 60 Millionen Exemplaren in 18 Ländern verbreitet ist.
Titel der Originalausgabe STRANGE HIGHWAYS STORY COLLECTION

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Highway ins Dunkel

1

Als Joey Shannon an diesem Herbstnachmittag in seinem Mietwagen die Stadtgrenze von Asherville passierte, brach ihm der kalte Schweiß aus, und ihn überkam plötzlich eine tiefe Hoffnungslosigkeit.

Am liebsten hätte er mitten auf der Straße scharf gewendet, aber er widerstand der Versuchung, aufs Gaspedal zu treten und davonzubrausen, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Diese Stadt war so trist wie alle anderen im ehemaligen Kohlerevier von Pennsylvania, wo die Minen schon vor Jahrzehnten geschlossen worden waren, was den Verlust der meisten gutbezahlten Arbeitsplätze zur Folge gehabt hatte. Trotzdem war der Ort nicht so trostlos, daß der bloße Anblick schon genügt hätte, ihm kalte Schauder über den Rücken zu jagen und ihn an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Er war selbst bestürzt über seine heftige Reaktion bei dieser lange aufgeschobenen Heimkehr.

Asherville hatte knapp tausend Einwohner, und in mehreren umliegenden Ortschaften lebten noch etwa 2000 Menschen. Entsprechend bescheiden war das Geschäftsviertel - es erstreckte sich nur über zwei Blocks. Die ein- und zweistöckigen Steinhäuser - Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut und mit dem Schmutz von fast 150 Jahren bedeckt - sahen noch genauso aus wie in Joeys Jugend.

Allerdings war der Stadtrat oder der Handelsverband offenbar bemüht, eine Verschönerung herbeizuführen. Alle Türen, Fensterrahmen, Fensterläden und Dachrinnen waren frisch gestrichen. In den letzten Jahren hatte man auch auf den Gehwegen runde Löcher gegraben und junge Ahorne gepflanzt, die jetzt etwa zweieinhalb Meter hoch waren und immer noch Stützpfosten benötigten.

Das rote und gelbe Herbstlaub hätte die Stadt eigentlich aufheitern müssen, aber Asherville sah an diesem Spätnachmittag düster und abschreckend aus. Sogar die Sonne über den höchsten Berggipfeln im Westen sah seltsam zusammengeschrumpft aus, und ihr unfreundliches gelbes Licht vermochte nichts zu erhellen. Nur die Schatten der jungen Bäume wurden immer länger und fielen wie ausgestreckte Hände auf das rußige Pflaster.

Joey drehte die Heizung auf, doch auch die heiße Luft konnte ihn nicht erwärmen. Über der Turmspitze der Kirche »Unsere schmerzensreiche Mutter« kreiste ein riesiger schwarzer Vogel am Himmel, den die untergehende Sonne in purpurfarbenes Licht hüllte. Das geflügelte Wesen hätte ohne weiteres ein dunkler Engel sein können, der an einem heiligen Ort Zuflucht suchte.

Einige Fußgänger waren auf den Straßen, und auch Autos waren unterwegs, aber Joey erkannte niemanden. Er war lange fortgewesen, und im Laufe der Jahre veränderten sich die Menschen, zogen weg oder starben.

Als er auf den Kiesweg vor dem alten Haus am Ostrand der Stadt abbog, nahm seine Angst noch weiter zu. Das Haus hätte dringend neu verputzt werden müssen, und auch das Schindeldach war reparaturbedürftig, aber es hatte überhaupt nichts Ominöses an sich und war bei weitem nicht so düster wie die Gebäude im Stadtzentrum. Bescheiden, langweilig, schäbig. Sonst nichts. Trotz mancher Entbehrungen hatte er hier eine glückliche Kindheit verlebt. Als Junge war ihm die Armut seiner Familie nicht einmal bewußt gewesen. Erst als er das College besuchte und aus einer gewissen Distanz auf sein Leben in Asherville zurückblickte, hatte er erkannt, in welch beschränkten Verhältnissen er auf gewachsen war. Trotzdem saß er jetzt im Auto und hatte eine unerklärliche Angst davor, auszusteigen und ins Haus zu gehen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er den Motor abstellte und die Scheinwerfer ausschaltete. Obwohl er trotz der Heizung gefröstelt hatte, wurde ihm nun, ohne die Heizungsluft, noch kälter.

Das Haus wartete.

Vielleicht fürchtete er die Auseinandersetzung mit seinen Gewissensbissen und mit seiner Trauer. Er war kein guter Sohn gewesen. Und jetzt würde er nie mehr die Gelegenheit haben, Sühne für all den Schmerz zu leisten, den er verursacht hatte. Vielleicht fürchtete er sich vor der Erkenntnis, daß er für den Rest seines Lebens mit der Schuld leben mußte, weil er nicht mehr um Verzeihung bitten und keine Absolution mehr erhalten konnte.

Nein. Das war zwar eine schreckliche Bürde, aber nicht die Ursache seiner Ängste. Es waren weder Schuldgefühle noch Trauer, die ihm rasendes Herzklopfen und einen trockenen Mund bescherten, sondern irgend etwas anderes.

Die hereinbrechende Dämmerung führte eine Brise von Nordosten mit sich. Eine Reihe sechs Meter hoher Kiefern säumte die Auffahrt, und ihre Äste gerieten jetzt in Bewegung.

Eine Zeitlang hatte Joey das Gefühl, als stünde ihm ein übernatürliches Erlebnis unmittelbar bevor. So ähnlich hatte er sich vor langer Zeit als Ministrant gefühlt, wenn er hinter dem Priester kniete und den Moment wahrzunehmen versuchte, in dem sich der Wein im Kelch in das heilige Blut Christi verwandelte.

Nach einer Weile sagte er sich aber, daß er einfach töricht war. Seine Furcht war genauso irrational wie die eines Kindes, das glaubt, unter seinem Bett würde im Dunkeln ein Troll lauern.

Joey stieg aus und wollte seinen Koffer holen. Als er den Kofferraum öffnete, hatte er die verrückte Idee, daß er dort etwas Grauenvolles finden würde, und sein Herz klopfte zum Zerspringen, während er den Deckel hob. Er trat vorsichtshalber sogar einen Schritt zurück.

Natürlich lag im Kofferraum nur sein schäbiger, verkratzter Koffer. Er atmete tief durch, um seine Nerven zu beruhigen, nahm das Gepäckstück heraus und schlug den Deckel hastig zu.

Er brauchte dringend einen Drink. Er brauchte immer einen Drink. Mit Whisky versuchte er alle Probleme zu lösen, und manchmal klappte das sogar.

Die Stufen waren ausgetreten, die Verandadielen waren seit Jahren nicht gestrichen worden und knarrten laut unter seinen Füßen. Er hätte sich nicht gewundert, wenn das modrige Holz eingebrochen wäre.

In den zwei Jahrzehnten, seit er das Haus zuletzt gesehen hatte, war es ziemlich verwahrlost, und das überraschte ihn, denn seit zwölf Jahren hatte sein Bruder ihrem Vater an jedem Monatsersten einen großzügigen Scheck geschickt. Der alte Mann hätte sich ohne weiteres ein besseres Haus leisten können, oder aber er hätte dieses hier gründlich renovieren lassen können. Was hatte Dad mit dem ganzen Geld gemacht?

Der Schlüssel lag unter der Fußmatte, wie man ihm gesagt hatte. Obwohl Asherville ihm eine Gänsehaut verursachte, war es eine Stadt in der man einen Ersatzschlüssel unter dem Fußabstreifer hinterlegen oder das Haus sogar unverschlossen lassen konnte, ohne Diebe befürchten zu müssen.

Die Haustür öffnete sich direkt ins Wohnzimmer. Er stellte seinen Koffer am Fuß der Treppe ab.

Er machte Licht.

Sofa und Sessel waren nicht dieselben wie vor zwanzig Jahren, aber sie sahen fast genauso aus wie die alten Möbel. Ansonsten schien sich überhaupt nichts verändert zu haben -bis auf den Fernseher, der selbst für Gott groß genug gewesen wäre.

Im Erdgeschoß befand sich ansonsten nur noch die große Wohnküche. An dem grünen Kunststofftisch mit Chromkanten hatte die Familie während Joeys ganzer Kindheit gegessen. Auch die Stühle waren noch dieselben; nur die Stuhlkissen waren erneuert worden.

Er hatte das seltsame Gefühl, als wäre das Haus seit einer Ewigkeit unbewohnt und versiegelt gewesen, als wäre er seit Jahrhunderten der erste, der diese stillen Räume betrat. Seine Mutter war vor 16 Jahren gestorben, sein Vater erst vor anderthalb Tagen, aber beide schienen seit undenklichen Zeiten verschwunden zu sein.

In einer Ecke der Küche war die Kellertür, an der ein Kalender hing - ein Geschenk der First National Bank. Auf dem Oktober-Blatt war ein Stapel organgefarbener Kürbisse inmitten von buntem Herbstlaub zu sehen. Ein Kürbis war in eine Laterne verwandelt worden.

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