Den Flur geradeaus war das Badezimmer. Ein Vollbad. Die Wände hatte sie extra neu gestrichen, pastellpfirsich, eine wunderschöne Farbe. Die Kacheln um die Badewanne waren schlicht weiß. Dazu hatte sie sich Stück für Stück passende Handtücher gegönnt, ebenfalls pastellpfirsich, nur eine Nuance dunkler. Dann gab es dort noch einen kleinen Wandschrank für die Handtücher und ein Regal unter dem Spiegel für die Badutensilien. Natürlich hatte sie sich auch eine Waschmaschine zugelegt. Obwohl sie ein schmales Modell ausgewählt hatte, wurde es dadurch leider etwas enger. Aber auf diesen Luxus wollte sie in ihrer eigenen Wohnung nicht verzichten, zu sehr hatte sie noch die Berge von schmutziger Wäsche aus ihrer Kindheit und Jugendzeit in Erinnerung, mit denen sie ihre Nachmittage zubringen musste.
Links vom Flur war das zweite Zimmer, das natürlich nicht minder gemütlich wirkte, Heddas eigentliches Wohnzimmer. Ein bombastischer Wohnzimmerschrank, den sie günstig erstanden hatte, dominierte allerdings sehr und ließ das Zimmer eher etwas dunkel erscheinen. Sie versuchte, diesen Nachteil durch einen hellen Teppich und helle Übergardinen aufzufangen und hatte den Eindruck, dass es ihr auch gelungen war. In der jetzigen Situation war sie dann doch recht froh, diesen ziemlich großen Schrank gekauft zu haben, da sie ja jetzt flexibel sein und sich auf dieses eine Zimmer beschränken musste. Er verfügte über genügend Platz, all ihre Kleidung und sonstiges, was sie bisher in ihrem Schlafzimmer untergebracht hatte, verstauen zu können. Zum Glück war das Sofa eine Umbauliege, so dass sie nachts darauf schlafen konnte, es tagsüber aber nur wenig Platz einnahm. Über dem Sofa hing ein Landschaftsbild in Öl. Es hatte eine Stange Geld gekostet, aber das war es ihr wert gewesen. Zwischen dem Sofa und dem Fenster rechts in der Ecke stand eine Stehlampe mit einem runden Lampenschirm aus Stoff. Hedda zog diese Lampe der grellen Deckenbeleuchtung vor, da sie ein angenehmes, warmes und dezentes Licht ausstrahlte. Inmitten des Zimmers standen noch ein flacher Couchtisch und ein sehr bequemer großer Sessel, den sie zu ihrem Lieblingsplatz auserkoren hatte. In ihm nahm sie jeden Nachmittag ihren Kaffee ein und hatte von dort einen wunderbaren Blick zum hellen Fenster. Oftmals stand sie auch direkt am Fenster, wollte sie das Geschehen auf der Straße oder im Haus gegenüber beobachten. Doch zum besinnlichen Ausruhen oder manchmal auch nur, um die Zeit tot zu schlagen, setzte sie sich gerne in diesen Sessel. Natürlich standen in diesem Zimmer auch ein paar Blumen. Schöne Pflanzen waren Hedda sehr wichtig, sie drückten etwas Lebendiges aus, um das man sich kümmern musste.
Sie hieß Elke, Elke Norman. Begeistert strahlte sie durch die Wohnung. „Hübsch haben Sie es hier.“
Heddas bescheidenes Herz fühlte sich geschmeichelt.
Nachdem sie ihre Runde beendet hatten, bat Hedda die Frau in ihr Wohnzimmer. Sie tranken Kaffee und aßen Kekse. Elke Norman erzählte, sie sei Dolmetscherin, wohne eigentlich in Berlin und habe jetzt einen Vertrag im hiesigen amerikanischen Konsulat. Und da sie im Moment noch nicht absehen könne, wie lange sie vor Ort bliebe, würde ihr ein Zimmer so wie dieses bei Hedda vorerst genügen.
Zwei Tage später zog sie ein.
Viel brachte sie nicht mit, drei Koffer, zwei Kartons und eine kleine Glasvitrine, an der sie sehr zu hängen schien.
„Die habe ich mir mal aus England mitgebracht“, erklärte sie. „Seitdem begleitet sie mich überall dorthin, wo ich mich jeweils etwas länger aufhalte. Viel kann ich ja nicht mitnehmen, von wegen der Beweglichkeit, die ich in meinem Beruf aufbringen muss, so häufig, wie ich die Orte wechsle, aber diese Vitrine gibt mir das Gefühl, etwas Eigenes, Persönliches bei mir zu haben, wenn ich schon in fremden Zimmern leben muss.“
Da sie mehrere Sprachen beherrschte, hatte sie das Glück, auch manchmal Politiker auf Auslandsreisen begleiten zu dürfen. Von diesen Reisen brachte sie jedes Mal ein kleines Andenken mit. Diese ‚Schätze’, wie sie sie nannte, verwahrte sie in dem Glasschränkchen. Neben Perlmutt besetzten Dosen und anderen kitschigen Souvenirs, waren auch sehr ausgefallene Stücke dabei, eine Holzfigur aus Afrika, ein kleiner dicker elfenbeinfarbener Buddha, ein geschnitzter Elefant mit einer goldenen Verzierung als festlichen Überwurf, wunderschöne Steine unterschiedlichster Art und Farbe, eine türkisfarbene Vase mit ausgefallenen Ornamenten bemalt und andere bemerkenswerte Objekte. Diese edle Vitrine mit ihrer kostbaren Sammlung stellte Elke schräg in die linke Ecke neben das Fenster, so dass sie der erste Blickfang war, wenn man das Zimmer betrat.
Hedda betrachtete die Vitrine. Sie war tief beeindruckt. So etwas Wunderschönes hatte sie sonst nicht in ihrer Wohnung. Gedankenverloren stand sie da und war wie gebannt von diesen einzigartigen Schätzen. Für einen kurzen Moment spürte sie eine unbeschreibliche Sehnsucht in sich aufsteigen, eine Sehnsucht nach etwas, das sie nie kennen gelernt hatte, nach fremden Ländern und wunderbaren Erlebnissen, die ihr in ihrem Leben wohl auch künftig weiter verschlossen bleiben würden. Wehmütig schaute sie auf die schönen Dinge vor sich.
„Wunderschön“, sagte sie, immer noch den leicht melancholischen Blick auf die Vitrine gerichtet, „wirklich wunderschön.“
Innerlich hoch geschreckt, fühlte Hedda sich plötzlich beobachtet, als ihr bereits die Schamesröte ins Gesicht kroch. Dabei meinte sie, ihr Erstaunen und Entzücken über diese erlesenen, traumhaften Raritäten peinlichst verborgen gehalten zu haben, wollte sie doch nicht gänzlich der Einfältigkeit und Unerfahrenheit bezichtigt werden.
„Das ist ein sehr guter Platz für ihren Glasschrank“, versuchte sie die Situation zu retten, die es eigentlich gar nicht zu retten galt. Frau Norman freute sich vielmehr über die Begeisterung, darüber, dass diese kleinen Mitbringsel, die sie selbst so liebte, auch anderen gefielen und sogar Bewunderung auslösten.
Am nächsten Morgen ging ihre Untermieterin zeitig aus dem Haus. Eigentlich war es ein ganz normaler Wochentag, und dennoch schien es ein besonderer zu sein, jedenfalls für Hedda. Sie spürte es ganz deutlich. Nur, was war es? Die Sonne schien. Nun gut, vielleicht war es das. Im Gegensatz zu früher bemerkte Hedda an diesem Tag, dass die Sonne schien. Aber da war noch mehr. Irgendetwas hatte sich verändert, und das hatte eindeutig mit ihr zu tun. Sie selbst fühlte sich auf sonderbare Weise wie umgewandelt.
Ein ungewohntes Gefühl durchflutete langsam ihren Körper und durchströmte ihn wie eine Welle des Glücks. Hedda kam es einem Rauschzustand gleich. Derartig wundersame Empfindungen waren ihr bisher immer fremd geblieben. Es war, als würde ein Grauschleier mit dem morgendlichen Aufziehen der Gardinen weg geschoben, um der Sonne endlich freien Lauf zu lassen.
Ein Zustand wie in Trance. Sie ging hinaus. Einfach so. Früher ging sie nie einfach so hinaus. Aber heute wollte sie noch mehr erleben, noch mehr Glücksgefühle und Freude einfangen. Die ganze Stadt erschien ihr in einem völlig veränderten Licht. Sie sah Dinge, die sie vorher in ihrer Lethargie nicht wahrgenommen hatte. Sie kannte ihre Stadt, klar, aber sie hatte ihr vorher keine wirkliche Beachtung geschenkt. Jetzt sah sie mit einem Mal, wie schön einige Straßen wirkten, welch schöne Häuser, Brücken und Plätze die Stadt besaß.
Selbst die vielen Menschen, der Straßenlärm, die Autos störten sie nicht mehr. Früher war sie dem möglichst ausgewichen, war manchmal regelrecht geflüchtet, die Unruhe, der Lärm hatte bedrohlich auf sie gewirkt, jedes Geräusch hatte empfindlich in den Ohren geschmerzt. Heute war alles anders, wie ausgewechselt. Hedda sah sich die Menschen an. Die einen zeigten sich in hektischer Betriebsamkeit, die anderen schlenderten in aller Ruhe durch die Straßen. Derartige Unterschiede hatte sie früher nie bemerkt.
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