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Am nächsten Tag wollte Lennie endlich seine Strategie in die Tat umsetzen, Mark von seiner Schreibblockade zu befreien. Der erste Punkt auf seiner Tagesordnung hörte sich simpel an, aber Mark bezweifelte, dass irgendetwas, das der Kleine anpackte, einfach sein würde. Er ließ es jedoch über sich ergehen. Etwas Besseres hatte er eh nicht zu tun und trotz der sexuellen Spannung, die zwischen ihnen herrschte, wollte er mehr Zeit mit seinem Patensohn verbringen. Lennie traf keine Schuld an seiner verfahrenen Situation und sollte nicht darunter leiden, dass Mark immer mehr verzweifelte.
Als dieser ihm also sagte, er wolle ins Zentrum, nickte Mark nur und sprang rasch unter die Dusche. Er ergriff die Gelegenheit, ein wenig Druck abzubauen. Seine Hand pumpte seinen Schwanz und ungewollt kam die Vorstellung von Lennie, der ihn massierte oder Luca. Die Verwirrung ließ ihn innehalten und lenkte ihn ab, doch dann erlaubte er sich, über beide gleichzeitig zu fantasieren und der Orgasmus kam einer Explosion gleich. Er war ziemlich sicher, dass er einen Namen gebrüllt hatte, aber er wusste nicht welchen und wollte es lieber nicht herausfinden.
Lennie kommentierte jedenfalls nichts und erweckte nicht den Eindruck, sich unwohl zu fühlen. Die Atmosphäre zwischen ihnen beiden fühlte sich glücklicherweise nicht seltsam an, und als sein Patensohn ihn anlächelte, war Mark zuversichtlich, dass sich alles zum Guten wenden würde. Vielleicht konnte er diese elende Schreibblockade auch bald überwinden.
Sie redeten über alles und jeden, als sie die Wohnung verließen und die Treppen herabstiegen. Der Kleine hatte ihm noch nicht verraten, wo er überall hinwollte und Mark dachte darüber danach, sich überraschen zu lassen. Als sie aus dem Gebäude traten, sah Lennie sich um, zuckte mit den Schultern und wandte sich dann nach links.
„Wo genau wollen wir eigentlich hin?“, fragte er nun doch. „Nirgendwohin“, wurde er angestrahlt.
Als Mark ihn verständnislos anstarrte, erklärte er: „Wir lassen uns treiben, erkunden die unendlichen Möglichkeiten. Es gibt so viel zu entdecken, aber wenn wir immer dieselben Wege gehen, werden wir sie nie alle finden.“
Das hörte sich nach einer Fengshui Philosophie an und Mark fragte sich nicht zum ersten Mal, woher ein Achtzehnjähriger solche Weisheit nahm. Der flippige junge Mann ging mit einem Ernst durchs Leben, der in krassem Gegensatz zu allem stand, was seine Generation normalerweise ausmachte.
Und so schlenderten sie nebeneinander her, unterhielten sich über alles und jeden, während Lennie immer wie zufällig auf Dinge zeigte und ihm dazu Fragen stellte. Nichts Besonderes und nichts, das bei Mark irgendwelches Interesse weckte.
„Schau mal.“ Lennie deutete auf eine Mutter mit ihrem Säugling, den sie in den Armen wiegte, um ihn zu beruhigen. „Was siehst du?“ „Äh ... Eine Mutter und ihr Kind?“
Lennie sah ihn nachdenklich an, sagte aber nichts weiter. Er stellte noch viele solcher Fragen, bis Marks Kopf dröhnte und seine Geduld sich dem Ende zuneigte. Er hatte das Gefühl, die falschen Antworten zu geben und langsam ging ihm dieses Spiel auf die Nerven. Deshalb schlug er vor, wieder nach Hause zu gehen.
So kehrten sie mehrere Stunden später erschöpft in die Wohnung zurück. In einem kleinen Delikatessenshop an der Ecke besorgten sie eine Flasche Wein und einige Kleinigkeiten, die man schnell zubereiten konnte. Marks Laune, die am Morgen noch relativ fröhlich gewesen war, befand sich erneut im Sturzflug und er fragte sich, ob er jemals wieder auf die Beine kommen würde. Bah, Mark, was bist du nur für ein Weichei. Jetzt reiß dich mal zusammen. Was gibst du denn für ein erbärmliches Bild ab.
Sie legten ihre Einkäufe in der Küche ab und dann schlurfte Mark ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch fallen ließ. Lennie setzte sich zu ihm und gab ihm einen Schmatzer auf die Wange, den er wie ein Brandmal spürte.
„Warum so ein langes Gesicht? Ich nerve dich doch nicht, oder? Ich will dir nur helfen. Weißt du, mir hilft es immer mich abzulenken, wenn ich ein Problem habe, einfach an andere Dinge denken, aber ich möchte dir natürlich nichts vorschreiben.“
Mit einem kleinen Stich in Herzgegend registrierte Mark den beinahe ängstlichen Gesichtsausdruck Lennies. Der Junge gab sich wirklich Mühe, obwohl er eigentlich etwas Besseres mit seiner Zeit anfangen könnte. Ohne groß darüber nachzudenken, legte er einen Arm um die Schultern des Kleinen und konnte ein Seufzen nicht unterdrücken, als dieser sich sofort an ihn kuschelte. „Okay. Wie hast du dir denn deinen Plan weiter vorgestellt? Lass es uns einfach versuchen.“
Das strahlende Lächeln ließ sein Herz vor Freude hüpfen. Was gäbe ich darum, das jeden Tag zu sehen. Er verbannte diesen Gedanken ganz schnell und konzentrierte sich auf das, was Lennie gerade sagte.
„Gehen wir nochmal alles durch, was wir heute Vormittag gesehen haben. Zusammen.“
Mark hatte zwar keine Ahnung, was das bringen sollte, nickte aber ergeben. Etwas Besseres hatte er sowieso nicht zu tun. „In Ordnung. Ich schätze, es wird nicht wehtun.“
Lennie schnaubte. „Nachdenken tut nicht weh, obwohl bei einigen Leuten bin ich mir da nicht so sicher. Anwesende natürlich ausgeschlossen“, fügte er rasch hinzu, als Mark ihn angrollte. „Okay schließ deine Augen und erinnere dich an die Dinge, die du gesehen hast.“
Mark tat, wie ihm geheißen. Er erinnerte sich an die Mutter mit dem Säugling, an die Gruppe Halbstarker, die - versteckt in den Schatten - ‚Schwuchtel‘ gerufen hatten. Pärchen, die sich im Park küssten, der Streit zweier Nachbarn über alltägliche Nichtigkeiten. Diese Dinge sah er beinahe jeden Tag, schenkte ihnen jedoch keine Beachtung. Was brachte es also, darüber nachzudenken? Wie sollte ihm das helfen?
Viel angenehmer war da die Wärme des weichen Körpers an seiner Seite. Die seidige Haut mit den feinen Härchen auf dem Unterarm, die er unbewusst mit seinen Fingerspitzen streichelte. Der Kopf mit den bunten Strähnen lehnte an seiner Schulter und der Duft eines fruchtigen Shampoos kitzelte seine Nase. Er war bereits halbhart, doch ignorierte diese Tatsache standhaft.
„Es ist alles da“, wisperte Lennie in sein Ohr und sein warmer Atem an Marks Ohr verursachte Gänsehaut. „Erinnere dich.“ Lennie kletterte auf seinen Schoß, rieb seinen schlanken Leib an ihm. „Kannst du es sehen?“
Mark kämpfte verzweifelt gegen die Welle der Erregung an, die ihn überfiel, und versuchte sich nur auf die Aufgabe zu konzentrieren. Ein unmögliches Unterfangen, mit Lennies süßem Arsch an seinem Schwanz und seinem verführerischen Duft in der Nase. Denk nach, Mark. Der Kleine tat das nicht, um ihn zu verführen, er wollte ihm irgendetwas verdeutlichen. Er wollte ihm ehrlich helfen, das konnte er fühlen.
Das war es! Gefühle. Emotionen. Das war es, was Lennie ihm sagen wollte. „Du siehst es jetzt, nicht wahr?“, flüsterte der Junge leise.
„Liebe. Hass. Verlangen. Alles in dieser Welt dreht sich um Gefühle. Du musst sie nur verstehen. Und du darfst sie nie verlieren. Mom sagt immer, ohne Gefühle vertrocknet man wie eine Pflanze ohne Wasser.“
Mark lachte leise. Das klang nach Melli. Egal, welche Knüppel ihr das Leben auch zwischen die Beine warf, sie stand wieder auf und kostete jeden Augenblick bis zum Letzten aus. Er dachte über seine Gefühle nach und kam zu dem Ergebnis, das er sie gar nicht wirklich einsortieren konnte. Wenn er sich zum Beispiel fragte, was Liebe war, konnte er keine Antwort finden. Sein Gehirn produzierte locker einige Synonyme dafür, genauso wie ihm die Erklärung des Lexikons sofort vor Augen stand. Doch das bedeutete nicht, dass er wusste, was Liebe war. Aber etwas wurde ihm jetzt klar. Seinem Buch fehlten die Emotionen. Deshalb war es Mist.
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