Sein Freund, nein sein Exfreund legte auf und Mark starrte auf sein Handy, versuchte zu analysieren, was eben geschehen war. Sein Partner hatte ihn gerade fallengelassen, ein unrühmliches Ende für ihre einjährige Beziehung. Er machte sich nichts vor. Immer öfter hatte er Dates verschoben oder sogar komplett abgesagt. Luca hatte jedes Recht, ihn abzuservieren. Das bedeutete nicht, dass es nicht verflucht wehtat.
Mark legte sein Mobiltelefon wieder auf den Schreibtisch, während sich der leere Bildschirm über ihn mokierte. „Ach, fick dich doch“, murmelte er und verließ das Büro. Er zog sich in sein Schlafzimmer zurück, sein Refugium, wo er mit seinem besten Freund seiner Frustration zu Leibe rückte. Seiner Hand.
Gegenwart - Mark
„Das ist absoluter Bockmist!“ Harald Müller, sein Verleger, knallte Marks Manuskript auf den Schreibtisch. „Ich habe etwas Besseres von dir erwartet. Ich kann einfach nicht glauben, dass dieser Schwachsinn von derselben Person geschrieben worden ist, die mir mit ihren ersten beiden Werken erstklassige Kunst geliefert hat.“
„Nun, dieser ganze Fantasyscheiß funktioniert nicht mehr für mich“, antwortete Mark ruhig. Innerlich fühlte er sich alles andere als das. Er wusste, dass ‚Missgeschick‘ - vorher bekannt unter dem Namen ‚Missverstanden‘ - nur ein Riesenhaufen Scheiße war, den er produziert hatte.
Er hatte nichts weiter getan, als irgendwelche zufälligen Sätze aneinanderzureihen. Seine Frustration hatte dann jedes seiner Worte in die plattesten Klischees verwandelt, die existierten. Seine ersten beiden Bücher waren in einem alternativen Universum angesiedelt, relativ verbreitet, doch er hatte es geschafft, dem üblichen Ork- und Elfenthema zu entkommen. Etwas Frisches und Interessantes zu schaffen.
Aber dieser Funke, der ihn inspiriert hatte, fehlte bei seiner neuen Geschichte völlig und es verwunderte ihn nicht, dass Harald es bemerkt hatte. Sein Verleger war ein massiger Kerl, der ihn an die zuvor erwähnten Orks erinnerte, doch er besaß einen rasiermesserscharfen Verstand und ein untrügliches Näschen für Bestseller. Was unglücklicherweise bedeutete, dass er die Werke, die über seinen Schreibtisch gingen, sehr kritisch beurteilte.
Mark war deswegen gleichzeitig dankbar und angepisst. Er wusste, dass ohne Haralds Hilfe seine beiden Bücher niemals so erfolgreich gewesen wären. Dennoch hatte er gehofft, dass er ihm mehr Feed-back geben würde, nicht nur ein gebrülltes ‚Das ist Scheiße!‘
„Offensichtlich funktioniert es nicht mehr“, wütete Harald. Er warf ihm das Manuskript an den Kopf, schenkte ihm einen verachtenden Blick, als Mark auswich.
„Nimm das und wisch dir damit den Arsch ab. Zu etwas anderem ist es nicht zu gebrauchen. Ich will vernünftige Schreibe, nicht diesen Mist.“
Innerlich fluchend sammelte Marc die herumgeflogenen Blätter ein und schenkte seinem Verleger eine kleine Verbeugung. „Zu Befehl, Eure Majestät!“
Harald hatte offenbar noch eine weitere Tirade in petto, vielleicht wollte er ihr Meeting auch zu besseren Bedingungen beenden, doch Mark gab ihm keine Chance dazu. Er öffnete rasch die Tür und suchte sein Heil in der Flucht. Sein Manuskript wie ein Schild vor sich haltend ging er durch den Korridor Richtung Fahrstuhl, alle neugierigen Blicke ignorierend.
Er wusste, wie abgehalftert er aussah. Seine ehemals glänzenden, halblangen kastanienbraunen Locken hingen matt und kraftlos herunter. Dunkle Schatten hatten eine Dauerresidenz unter seinen Augen beantragt und seine Haut war bleich und wächsern, obwohl der Sommer vor der Tür stand. Wie durch ein Wunder hatte er kein Gewicht zugelegt, trotz der Tatsache, dass er ständig Fast Food in sich hineinschaufelte. Jetzt wünschte er, er hätte zumindest für dieses Treffen ein wenig mehr Wert auf sein Äußeres gelegt, doch ihm fehlte der Antrieb. Er näherte sich der Verzweiflung und man sah es ihm an.
Als er das Verlagshaus am Breitscheidplatz verließ, dachte Mark nicht zum ersten Mal darüber nach, das Schreiben komplett an den Nagel zu hängen. Er schien in letzter Zeit keinen Zugang zu seiner Muse zu finden und seine Ersparnisse neigten sich langsam und stetig dem Ende zu. Wenn es so weiterging, würde er sich an seine Eltern wenden müssen und wie demütigend wäre das denn?
Er vermisste Luca. Das Lachen des anderen Mannes, das ihm jedes Mal einen Steifen verursachte. Die unzähligen kleinen, albernen Dinge, die dieser sich hatte einfallen lassen, um Mark aus einem Schreibtief zu holen. Wenn sie sich geküsst und geliebt hatten, war er sich vorgekommen wie die Protagonisten in seiner ausgedachten Fantasiewelt. Ein Teil von ihm wollte seinen Exgeliebten anflehen, ihn zurückzunehmen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt war er davon überzeugt, dass sein Exfreund etwas Besseres verdient hatte, als einen ausgebrannten, bald am Hungertuch nagenden Schreiberling.
Kirchenglocken erklangen und Mark sah hinüber zur Gedächtniskirche. Instinktiv lenkte er seine Schritte von der U-Bahn-Station weg und folgte dem irgendwie beruhigenden Klang. Ein Blick auf seine Armbanduhr bestätigte ihm die volle Stunde. Einen Augenblick verharrte er vor der Tür und wollte gerade wieder kehrtmachen, als eine tuschelnde Touristengruppe aus dem Gebäude kam. Zögernd trat er ein.
Er hatte schon ewig keine Kirche mehr besucht, genauer gesagt seit seinem Comingout. Zum Glück waren seine Eltern nie übermäßig religiös gewesen und seine Eröffnung wurde relativ gelassen aufgenommen. Etwas enttäuscht vielleicht, auch ein wenig ängstlich, was ihren Jungen jetzt erwarten würde, aber alles in allem ziemlich positiv. Ihr Verhältnis war mittlerweile so gefestigt, dass er sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, ihnen Luca vorzustellen.
Als Mark durch den Gang schritt, wurde er von der Stille, die hier herrschte beinahe überwältigt. Es war, als hätte er eine völlig andere Welt betreten. Zum Glück waren zurzeit nur sehr wenige Leute anwesend, sodass er diese Ruhe voll auskosten konnte. Er setzte sich in eine der hinteren Reihen auf einen Stuhl und schloss die Augen. Einen Augenblick verharren, die Gedanken sammeln. Das klang nach einer hervorragenden Idee.
***
Gegenwart - Lennie
Leonard Sander zerrte mit einiger Mühe den schweren Seesack hinter sich her, während er vergeblich versuchte, seinen Rucksack und diverse andere Taschen vom Wegrutschen abzuhalten. Der Ausstieg der Bahn erschien ihm Kilometer entfernt und trotz des klimatisierten Innenraums troff ihm der Schweiß von der Stirn. Jetzt reiß dich mal zusammen, du Lusche! Du wirst in den nächsten Minuten zwar bestimmt nicht mehr zu Superman mutieren, aber du wirst doch ein paar lächerliche Taschen schleppen können! In Momenten wie diesen hasste er seine kleine, schmächtige Statur - die man allgemein als Hänfling bezeichnete - abgrundtief.
Ächzend heftete er den Seesack noch etwas höher und fragte sich zum gefühlt hundertsten Mal, warum er keinen praktischen Trolley besaß. Als letzter Reisender seines Abteils hatte er es nach Stunden - so kam es ihm jedenfalls vor - geschafft, sich außerhalb des Zuges auf dem Bahnsteig einzufinden. Keuchend wie eine Dampflok ließ er erst mal alles fallen und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn.
Wieso musste er auch gleich sein ganzes Zeug vom Internat mit hierher schleppen? Es hätte gereicht, nur das Nötigste mitzunehmen. Niemand hatte ihn gezwungen, sein Zimmer sofort leerzuräumen. Nun, genötigt vielleicht nicht, aber Lennie wusste, dass seine Sachen nicht mehr da gewesen wären, hätte er sie zurückgelassen.
Außerdem war es besser so. Nie mehr würde er einen Fuß in diesen vermoderten Kasten setzen. Auf keinen Fall! Jetzt musste er das nur noch seiner Mom beibringen, dass er das letzte Schuljahr bis zum Abi hier in Berlin verbringen wollte - und zwar bei seinem Patenonkel.
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