nur unter dieser Bedingung helfe ich dir. Sobald du
nur eine Lüge redest, verliert der Becher seine Kraft
und du meine Freundschaft.« »Herr,« sagte Hüon,
»ich gedenke mich wohl zu hüten, und Gott vergelte
Euch Eure Gabe. Aber nun laßt mich ziehen.« »Noch
warte ein wenig,« sagte Oberon, »denn hier habe ich
ein Horn aus lauterem Elfenbein, und da ich dich als
einen Edelmann ohne Sünde und Fehl habe kennen
lernen, so will ich es dir schenken. Wenn du dieses
Horn ertönen lässest, und wärst du auch noch so weit
entfernt, so höre ich es in Monmur, meiner Stadt, und
dann werde ich dir mit hundert Bewaffneten zur Seite
stehen, denn gegen jedermann will ich dir im Kampfe
helfen. Aber hüte dich, ohne Grund in das Horn zu
stoßen, sonst gerätst du in Not.« »Herr,« sagte Hüon,
»ich gedenke mich wohl zu hüten. Aber nun laßt mich
ziehen.« »Geht, Hüon, und Gott befohlen.«
Auf der Weiterreise kehrte Hüon in Dunostre ein,
tötete mit Oberons Hilfe den riesenhaften Herrn des
Landes, dem auch der Emir von Babylon untertänig
war, und raubte seinen Ring. Sodann überschritt er
das Rote Meer und näherte sich allein, denn seine Begleiter
hatte er in Dunostre zurückgelassen, der Stadt
Babylon. An einem Feste des heiligen Johannes hielt
dort der Emir seinen Hof. Kein Mensch konnte das
Volk zählen, das dort zusammenströmte, man sah Vogelsteller
und Rossetummler, Arbeiter und Schachspieler,
solche, die sich mit Jungfrauen ergötzten, und
solche, die sich im Sommertag ergingen. Hüon gelangte
zur ersten Brücke und rief den Torwacht an:
»Laß mich ein!« Jener entgegnete: »Gern, aber zuvor
sage mir, in welchem Lande du geboren bist. Bist du
ein Franke, so sollst du um einen Kopf kürzer gemacht
werden; bist du aber ein Sarazene, so wird die
Brücke vor dir niederfallen.« Nun handelte Hüon sehr
töricht. Vor der Menge der Heiden hatte er seines
Ringes ganz vergessen, und er erinnerte sich auch
nicht des Gebotes, das Oberon ihm gegeben hatte. Er
antwortete allzu voreilig: »Ja, ich bin ein Sarazene.«
Da hatte er gelogen, und Oberon wußte es und zog
seine Freundschaft von ihm. Vermittels dieser Unwahrheit
gelangte er über die Brücke, aber vor der
zweiten fiel ihm der Befehl des Elfenkönigs ein, er
dachte an seine Verfehlung und geriet vor Schmerz
fast außer sich. Beim Gekreuzigten schwur er, nie in
seinem Leben wolle er wieder lügen. Ganz niedergeschlagen
kam er zur zweiten Brücke und rief mit lauter
Stimme: »Öffne, Hurensohn, oder der Blitz soll
dich zerschmettern!« Der Torwacht sagte: »Aus welchem
Lande stammst du und wie hast du die erste
Brücke passiert?« »Bei Gott,« sagte Hüon, »du sollst
es wissen.« Er nahm den Ring des Riesen von der
Hand und rief dem Wächter zu: »Schau, welches Zeichen
ich dir weise!« Der Wächter erblickte den Ring,
erkannte ihn wohl und beeilte sich, die Brücke herabzulassen.
»Sei mir willkommen, Jüngling,« rief er,
»was macht mein Herr, der stolze Orgileus?« Hüon
würdigte ihn keiner Antwort, er wagte nicht zu reden,
aus Furcht, die Unwahrheit zu sagen.
Durch die nämliche List gelangte er über die dritte
und vierte Brücke und trat nun in den Garten des
Emirs Gaudise, in welchem alle Arten von Bäumen,
die Gott geschaffen hat, grünten. Dort strömte eine
Quelle, die vom Paradiese kam und deren Wasser
dem hinfälligsten Greise seine Jugend wiedergab und
der ausschweifendsten Frau ihre Jungfrauschaft. Eine
Schlange hütete die Quelle und brachte jedem Bösewicht,
der sich ihr näherte, den Tod. Hüon trat ungehindert
heran, trank aus der Quelle und wusch sich die
Hände und vergaß fast seinen Auftrag. Nur wenn er
an Oberon dachte, zitterte er. Wird der Zwerg noch
einmal kommen, um ihm zu helfen? Er wollte sich
dessen vergewissern und stieß in sein Horn, aber umsonst:
niemand ließ sich blicken. Der Emir saß gerade
beim Mahl, die, welche ihm den klaren Wein eingossen,
begannen beim Klange des Hornes zu singen,
und er selber fing zu tanzen an. »Ihr Barone,« sagte
er, »hört, der dort im Garten bläst, ist gekommen, uns
zu verzaubern. Ich befehle euch, daß ihr euch bewaffnet,
sobald er sein Blasen aufgehört hat. Wenn er entkommt,
sind wir alle beschimpft.« Als Hüon merkte,
daß niemand kam, legte er sein Horn beiseite und
weinte. Dann schritt er die Stufen zum Schloß hinauf,
in den Panzer gehüllt, mit geschlossenem Visier und
das blanke Schwert in der Faust. Ein Großer des Reiches
stand am Tisch und suchte die Aufmerksamkeit
der schönen Emirstochter Esclarmonde, die er heiraten
sollte, zu erwecken, er war ein reicher Mann von
edler Abstammung. Hüon näherte sich, schwang sein
Schwert und schlug dem Heiden den Kopf ab, so daß
dieser auf die Tafel rollte. »Ein guter Anfang,« sagte
er zu sich selber, »um dieses bin ich bei Karl entlastet.
« Der Emir wurde mit Blut bespritzt und schrie:
»Barone, faßt mir diesen Schurken; wenn er entkommt,
sind wir alle beschimpft.« Alle Sarazenen
stürzten sich auf Hüon, der sich nach Kräften verteidigte.
Er nahm den Ring, den er am Finger trug, und
warf ihn auf den Tisch: »Herr,« sagte er, »da seht!
Um dieses Zeichens willen tut mir kein Leid an!« Der
Emir erkannte den Ring und befahl, Hüon zu schonen.
Nun trat dieser auf die Tochter des Emirs zu und
küßte sie dreimal, um sein Wort einzulösen. Esclarmonde
erbleichte, als sie seinen Atem spürte. Leise
sprach sie zu ihrer Magd: »Weißt du, warum ich erbleiche?
« »Nein, bei Gott!« »Sein süßer Hauch hat
mir das Herz erfüllt; wenn ich ihn heute nacht nicht
an meiner Seite habe, komme ich von Sinnen.« Hüon
trat auf den Emir zu und meldete ihm den Auftrag
Karls: er ersuchte ihn, die Taufe anzunehmen, dem
Frankenkaiser zu huldigen und ihm den Tribut zu
schicken, den er verlangte. Der Emir rief: »Dein Herr
ist toll, das alles kümmert mich keinen Pfifferling.
Wenn er mir sein ganzes Erbe gäbe, ich würde nicht
von meinem weißen Barte lassen und von meinen vier
Backenzähnen. Fünfzehn Boten hat er mir schon hierhergesandt,
keinen einzigen hat er zurückkehren
sehen, alle habe ich erwürgen und einpökeln lassen.
Und, bei Mahommed, du sollst der sechzehnte sein.
Nur des Ringes wegen wagten wir dich nicht anzutasten.
So sage mir, mit welches Teufels Hilfe du als
Franke in den Besitz dieses Ringes gekommen bist?«
Hüon wagte nicht zu lügen, da er Oberons Zorn
fürchtete: »Herr Emir,« sagte er stolz, »so wahr Gott
mir helfe, ich will es Euch sagen. Ich habe Euren
Herrn getötet und zerstückelt.« Der Emir stieß einen
Wutschrei aus: »Barone,« rief er, »wollt ihr ihn laufen
lassen? Wenn er entkommt, sind wir alle beschimpft.«
Die Heiden hörten es und griffen Hüon von allen Seiten
an. Nach verzweifelter Gegenwehr entglitt ihm
sein Schwert, er wurde zu Boden geworfen, sein
Horn, sein Becher und seine Rüstung wurden ihm genommen,
und der Emir befragte seine Barone, wel-
Tod er erleiden solle. »Gehängt soll er werden!« riefen
sie. Aber der weise Ratgeber des Emirs wußte
etwas anderes: »Heute ist Johannistag,« sagte er, »da
kannst du kein Urteil fällen, wenn du nicht gegen das
Gesetz verstoßen willst. Man muß diesen jungen
Mann ins Gefängnis werfen und ihn ein Jahr lang
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