1 ...8 9 10 12 13 14 ...42 und seitdem ist sie nicht wieder aufgestanden. Aber
wenn sie Euch erblickt, wird ihr gewiß sogleich besser
werden.« Als die Königin das Schloß betrat, warf
sich Margiste ihr schmerzheuchelnd zu Füßen: »Margiste,
« sagte Blancheflur, »wo ist meine Tochter, ich
will sie gleich sehen.« »Herrin,« jammerte das falsche
Weib, »zum Unheil bin ich geboren! Eurer Tochter ist
die Freude über Eure Ankunft so zu Herzen gegangen,
daß sie ihr Bett nicht mehr verlassen kann. Laßt sie
doch bis zum Abend ruhen!« Als Blancheflur nach
dem Essen ihre Tochter aufsuchen wollte, stellte sich
ihr die böse Alte mit ausgebreiteten Armen entgegen.
»Sie ist gerade ein wenig eingeschlafen, um Gottes
willen, kehrt wieder um!« Blancheflur wartete, bis
ihre Tochter erwachen würde; unterdessen unterhielt
sie sich mit der Alten und fragte sie nach Aliste.
»Herrin,« log das Weib, »sie starb auf dem Stuhle sitzend
eines plötzlichen Todes, ich weiß nicht, welches
Übel sie auf der rechten Brust hatte, ich glaube, sie
wäre zuletzt noch aussätzig geworden. Ich ließ sie
ganz im geheimen in der alten Kapelle bestatten.«
Endlich konnte sich Blancheflur nicht länger halten,
sie befahl einer Jungfrau, sie mit einer Kerze ins
Schlafzimmer der Königin zu begleiten, aber Tybert,
der bei der Kranken Wache hielt, trieb das Mädchen
sogleich mit Schlägen zurück: »Geh', Hündin, unsre
Herrin will schlafen, sie kann durchaus kein Licht
vertragen.« Blancheflur trat im Dunkeln an das Bett
der Magd. »Mutter, seid willkommen!« sagte diese
mit so schwacher Stimme, daß man sie kaum verstand,
und dann, auf eine Frage der Mutter nach ihrem
Befinden: »Mutter, ich leide solchen Schmerz, daß ich
weiß geworden bin wie Wachs. Die Ärzte sagen mir,
daß die Helligkeit mein Leiden verschlimmern würde.
Ich wage Euch daher nicht bei Licht zu begrüßen, so
schmerzlich es mir auch ist. Aber nun laßt mich um
Christi willen ruhen!« Blancheflur erhob sich kopfschüttelnd:
»Bei Gott!« sagte sie, »das ist meine
Tochter nicht, die ich hier vorgefunden habe. Wenn
sie halbtot wäre, so hätte diese mich umarmt und geküßt.
« Dann rief sie ihr Gefolge und ließ trotz der
Alten und Tyberts Widerstreben das Fenster öffnen
und Licht bringen. Sie riß die Decken vom Bett herunter
und betrachtete die Füße der Kranken: sie waren
nur halb so groß wie die ihrer Tochter. »Verrat!«
schrie sie, »Betrug! das ist meine Tochter nicht, es ist
die Tochter der Margiste! Weh! Sie haben mir mein
Kind getötet, meine Bertha, die mich so sehr liebte!«
Als der König den Betrug erfuhr, ließ er die alte Hexe
zum Feuertode führen, Tybert wurde von vier wilden
Rossen totgeschleift, die falsche Braut wurde um ihrer
Kinder willen geschont, doch mußte sie das Land verlassen.
Einst hatte sich König Pippin auf der Jagd im
Walde von Le Mans verirrt, da traf er auf Bertha, die
ihn in das Haus Simons führte. Pippin, der schon
lange im Sinn hatte, sich wieder zu verheiraten, fand
an Simons sittsamer Pflegetochter Gefallen und ersuchte
sie, ihm nach Paris zu folgen, um seine Gattin
zu werden. Bertha wies die Werbungen des Fremden
dadurch ab, daß sie sich ihm als Pippins Gattin offenbarte.
Der König gab sich nicht zu erkennen, sondern
ritt, nachdem er sich nochmals überzeugt hatte, daß er
auch wirklich Bertha vor sich habe, nach Paris zurück.
Dann ließ er das ungarische Königspaar einladen
und entbot auch Simon mit seiner Pflegetochter
an seinen Hof, wo er sich ihnen als König zu erkennen
gab. Ein großes Fest folgte dem freudigen Wiedersehen,
der wackere Simon wurde zum Ritter geschlagen
und auch Moraut, der Bertha das Leben gerettet
hatte, erhielt reichen Lohn.
4. Parthonopeus und Meliur
König Chlodwig jagte einst mit seinem Neffen Parthonopeus
im Ardennerwalde. Ein Eber floh vor dem
Jüngling und lockte ihn immer tiefer in den Wald hinein.
In der Irre tappend gelangte er schließlich zum
Ufer des Meeres. Hier fand er eine herrlich geschmückte
Barke liegen. Der Jüngling hoffte, auf diesem
Schiffe an den Hof seines Oheims zurückkehren
zu können oder doch zum wenigsten zu erfahren, wo
er sei. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er keine
lebendige Seele auf dem Schiff antraf. Er zog sein
Roß hinter sich her, streckte sich ermüdet auf dem
Deck aus und schlummerte ein. Als er die Augen wieder
öffnete, war kein Land noch Wald mehr zu erblikken,
nur Himmel und Wasser, und ein heftiger Wind
schwellte die Segel. Lieber wäre Parthonopeus noch
im Walde gewesen, denn die Gefahren des Landes
sind geringer als die des Meeres. Als aber die Sonne
aufging und er das Wunderwerk betrachtete, das ihn
trug, wurde er ruhiger. Die ganze Ausrüstung der
Barke war von Seide und ein strahlender Glanz durchfloß
ihr Inneres. Schneller als der Hirsch vor dem
Jagdhund flieht, glitt das Fahrzeug durch die Wellen
und landete abends von selbst am Fuße eines Bergschlosses.
Parthonopeus stieg aus und führte sein
Reittier, das ebenso abgemagert war wie er selber, am
Zaume nach.
Die hohen Mauern der Feste waren aus rotem und
weißem Marmor erbaut, der schachbrettartig wechselte.
Der Hafen war groß und tief, wohl hundert Schiffe
hätte er gefaßt, rechts und links davon dehnte sich ein
unbebauter Sandplatz aus. Durch einen hohen und
breiten Turm, der so weiß war wie Elfenbein, betrat
der Jüngling die Stadt. Eine Straße, zu deren Seiten
marmorne Paläste mit goldenen Dächern in der Sonne
glänzten, führte zum Schloß hinauf. Parthonopeus
glaubte zu träumen, bald dünkte ihn das alles ein
Trug der Hölle, bald vermeinte er im Paradiese zu
wandeln, nur sein knurrender Magen mahnte ihn an
die Wirklichkeit. Unter dem Schirmdach des Schloßtores
war ein Mosaik aus Gold, das Sonne, Mond und
Sterne und die Heldentaten der Alten darstellte. Weit
öffneten sich die Tore des Palastes und Parthonopeus
durchschritt eine Anzahl prächtiger Säle, bis er in
einen gelangte, in welchem ein reiches Mahl gedeckt
worden war. Große Kerzen brannten im Saale, Messer,
Löffel, Becher und Gold- und Silberschalen standen
auf der Tafel, aber in der ganzen Stadt war kein
lebendes Wesen zu erblicken, kein Ritter und keine
Dame saß am Tisch, keine Harfe und keine Geige ließ
ihre Saiten erklingen. Der Hunger nötigte den Jüngling,
daß er beschloß, von den bereitstehenden Spei-
sen zu kosten. Sogleich bot ihm eine unsichtbare
Hand ein Becken mit Wasser und eine andere ein
Handtuch dar, und als er sich die Hände gewaschen
hatte, setzte er sich auf den Ehrensitz der Tafel, denn
inmitten des höllischen Spuks und Blendwerks blieb
er sich bewußt, daß er aus königlichem Stamme geboren
sei. Von selbst stellten sich die Schüsseln vor ihn,
und wenn er von einem Gerichte genommen hatte,
wurden die Platten wieder von ebenso unsichtbaren
Händen abgetragen. Feenhafte Schenken gossen roten
Wein in goldene Schalen, mit welchen sie den Becher
des Jünglings füllten, der aus einem einzigen Safir bestand,
den ein funkelnder Rubin bedeckte. Nach dem
Mahle wurden ihm wieder Wasserbecken und Tücher
gereicht und dann ein Würzwein aufgetischt. Parthonopeus
fühlte den Schlaf nahen und trat zum Ausgang
des Saales. Sogleich erschienen zwei brennende Kerzen,
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