Mintris besaß als Hafenstadt nicht die Bedeutung von Alneris oder Gendaneris. Bislang hatte die Stadt nur als Umschlagplatz gedient, von dem aus die reichen Getreideernten der Provinzen über den Fluss zur Hauptstadt verschifft wurden.
Nun sollte sich das ändern.
Entlang des Genda sollten jene Schiffe entstehen, welche für die Rettung der Völker erforderlich waren, und Mintris würde der Kern des Schiffsbaus sein. Von hier aus sollten sich die Werften und Anleger zu beiden Seiten erstrecken. Hierfür benötigte man die entsprechenden Anlagen und Gebäude sowie eine ausreichende Anzahl von Verkehrswegen. Zudem mussten Unterkunft und Versorgung der benötigten Arbeitskräfte gewährleistet sein. Obwohl die Planung noch nicht abgeschlossen war, begannen bereits die ersten Materialtransporte. Scharen von Arbeitern und Fußgardisten trafen in Mintris ein. Provisorische Zeltlager entstanden in Windeseile und sollten schon bald durch feste Unterkünfte ersetzt werden.
Mintris war eine Stadt mit rund fünftausend Bewohnern. Durch die einstigen Überfälle der Schwärme der See war sie von einer Stadtmauer umgeben. Die kleine Garnison der Fußgarden sollte durch eine größere Befestigungsanlage ersetzt werden, zu deren Besatzung auch Gardekavallerie gehören würde. Mintris besaß einen gleichmäßigen Grundriss, was durch die Mauer bedingt war. Jeder hatte darauf gehofft, in ihrem Inneren vor den Korsaren sicher zu sein, und so war der Baugrund teuer. Die meisten der Häuser zeigten eine kleine Grundfläche, wiesen aber bis zu vier Stockwerke auf. In den beiden unteren hatte man den typischen Stein verbaut, die oberen Etagen jedoch aus dem leichteren Holz errichtet, was die Brandgefahr bedeutend erhöhte. Bislang war Mintris jedoch von einem verheerenden Feuer verschont geblieben und die Brandwache war aufmerksam und gut gerüstet. Mehrere Löschfuhrwerke mit dampfbetriebenen Pumpen standen bereit.
Nachdem die Bedrohung der Korsaren durch den Seefrieden geschwunden war, hatte sich die Stadt auch außerhalb der Wehrmauer ausgebreitet. Hier waren die Häuser niedriger und wurden von neuen Kornspeichern überragt, die man schon aus der Ferne sah. Jetzt würde man viele neue hinzufügen, um ausreichend Vorräte für die lange Reise anzulegen.
Ausgedehnte Felder und Getreidehöfe prägten das Hinterland, das stadtnahe Ufer wurde von den Anlegern der Fischer und der einzigen Werft bestimmt, die hier bislang den Bau größerer Schiffe ermöglichte. Das Ufer war seicht und mit Sand und Geröll bedeckt.
„Man wird es befestigen müssen. Eine Vielzahl hölzerner Pfähle und massiver Bohlen als Auflagen. Sonst versinkt uns der Grund, wenn hier gearbeitet wird. Und entlang des Ufers brauchen wir einen steinernen Kai mit Anlegern.“
Eine kleine Gruppe von Männern schritt langsam über das ufernahe Gelände und machte dabei immer wieder Notizen auf einem Plan. Die anderen Männer und Frauen, die hier mit den ersten Aufbauarbeiten beschäftigt waren, machten ihnen respektvoll Platz.
Drei der Männer gehörten zu den klügsten und im Augenblick wohl wichtigsten Köpfen des Königreiches.
Der Gelehrte Petzler besaß einen guten Ruf im Reich von Alnoa. Er hatte zuvor in der Werft von Gendaneris gearbeitet und den Überfall der Schwärme der See überlebt. Als der elfische Gelehrte Mionas dann Verbesserungen für die alnoischen Dampfkanonenschiffe durchsetzte, damit man bessere Chancen hatte, die entführten elfischen Ältesten zu befreien, konnte Petzler ihm dabei über die Schulter sehen und hatte daraus viel gelernt. Inzwischen gab es im ganzen Reich wohl keinen anderen Konstrukteur, der mehr vom Schiffsbau verstand. Petzler war fast so groß wie ein Rundohr der Orks und dabei hager, was ihm manchen gutmütigen Spott eintrug. Allerdings gelangte er dank seiner Figur in praktisch jeden Winkel eines Schiffsrumpfes, was für ihn sehr hilfreich war. Er trug die üblichen Beinlinge und Tunika der Gelehrten, wobei Letztere eine Unzahl von Taschen aufwies, in denen er zahlreiche Stifte und Maßschnüre mit sich führte.
Britman ta Markos war von durchschnittlicher Größe und Statur. Er war der Hochgelehrte des Reiches und erkannte Petzlers Kompetenz neidlos an. Er würde diesen nach Kräften unterstützen und sich dann seiner eigentlichen Aufgabe zuwenden – der Erschaffung der zweiten Grenze. Zudem beabsichtigte er, eine Reihe von Möglichkeiten zu überdenken, mit denen er vielleicht die Kampfkraft des Reiches erhöhen konnte.
Hombort war hingegen klein und dicklich. Anstelle der Tunika hatte er eine Weste angezogen, deren Taschen er bevorzugt dazu nutzte, seine zahlreichen Zwischenmahlzeiten zu transportieren. Er störte sich nicht an Krümeln oder Flecken auf dem Stoff und dies galt auch für die anderen, denn Hombort hatte unbestritten ein außergewöhnliches Talent dafür, die Dinge zu organisieren. Er würde die Verkehrswege und die Transporte vorbereiten und dirigieren.
„Wir brauchen Tausende von Schiffen“, seufzte Britman ta Markos. „Und es müssen große Schiffe sein.“
„Und in sehr kurzer Zeit“, gab Hombort zu bedenken. „Eine schwierige Aufgabe, die fast nicht zu bewältigen ist.“
„Sie ist zu bewältigen“, widersprach Petzler.
Sie traten zur Seite, als ein Fuhrwerk mit Balken und Brettern vorbeifuhr. Entlang des Ufers waren etliche Arbeiter dabei, bestimmte Bereiche mit bunten Fähnchen zu markieren. Eine Unzahl von Leinen wurde gespannt, welche die Grundrisse der verschiedensten Bauten zeigten. An einigen Stellen wurde schon an den Fundamenten gearbeitet. Schwere Walzwerke glätteten den Boden und verdichteten ihn. Steinschläger und Steinleger arbeiteten eifrig daran, die ersten Wege und Straßen zu pflastern. Erst wenn diese fertig waren, würden die zahllosen Arbeitskräfte und ihr Material nicht in Schmutz oder Schlamm versinken, der einem Regen folgen musste.
„Selbstverständlich ist sie das“, knurrte Hombort. „Ich sagte ja auch nur, dass sie fast nicht zu bewältigen sei. Glücklicherweise hat man die richtigen Männer dafür ausgesucht.“
„Hm.“ Sosehr der Hochgelehrte ta Markos auch auf die Fähigkeiten von Petzler vertraute, so hegte er doch einige Zweifel an Hombort, da dieser nicht aus dem Adel stammte und auch keine der Gelehrtenanstalten besucht hatte. Immerhin war der Dicke recht vermögend, da er eines der Handelshäuser leitete und über eine angeborene Schläue verfügte. Doch hier erforderte es mehr, als einen guten Handel abzuschließen, und so war sich der Hochgelehrte keineswegs sicher, in Hombort den richtigen Mann zu sehen. Das Einzige, was bisher außergewöhnlich erschien, waren Appetit und Verdauungsleistung von Hombort. Immerhin hatte er in bemerkenswert kurzer Zeit eine Vielzahl von Arbeitern und Material nach Mintris dirigiert und es bis jetzt sah es so aus, als gehe alles Hand in Hand.
„Bislang wurden die meisten Schiffe nach individuellen Bauplänen erschaffen.“ Petzler zog ein Notizbuch hervor und begann eifrig zu schreiben, während er um sich blickte und mit den anderen sprach. Wie er das bewerkstelligte, blieb den anderen ein Rätsel, denn er schien alles gleichermaßen gut zu bewältigen. „Kein Schiff gleicht dem anderen auf vollkommene Weise. Wir können jedoch nicht Tausende von Konstruktionsplänen erstellen.“ Er lächelte versonnen. „Wir müssen uns auf ein oder zwei Schiffstypen festlegen, die wir in Vielzahl bauen.“
„Gleich Rüstungen, Schwertern und Schilden der Garde“, meinte Hombort.
Petzler nickte erfreut. „Genau so.“
„Warum zwei Schiffstypen? Warum nicht einen oder drei oder vier?“, hakte ta Markos nach.
Petzler kratzte sich mit dem Stift hinter dem Ohr. „Wir brauchen viel Laderaum für Menschen und Nutztiere. Dies gilt ebenso für die Zwerge und diese, äh, Irdil.“
„Irghil.“
„Nun, jedenfalls diese blauen gepanzerten Flusskrebse in Übergröße“, knurrte Petzler, der sich nicht gerne korrigiert sah. „Also, wir brauchen viel Laderaum für die lebenden Wesen und ebenso für Trinkwasser und Nahrungsvorräte. Hinzu kommen jene Hilfsmittel, die zum Aufbau einer neuen Heimat benötigt werden. Hombort, Ihr werdet sicher eine Aufstellung von dem machen können, was man dazu unbedingt benötigt.“
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