„Für den Bau der Schiffe benötigt man Werften und Arbeiter und alles verlangt nach goldenen Schüsselchen“, fügte ein anderes Ratsmitglied besorgt hinzu. „Bei der Vielzahl der Schiffe, die Ihr erwähntet, Eure Majestät, muss es sich um Unsummen handeln.“
„Und die Zahl der goldenen Schüsselchen ist begrenzt“, nahm Welbur das Wort wieder auf. Er zog ein feines Spitzentuch aus dem Ärmel und betupfte sich die Stirn. „Ich denke mit großer Sorge an all die Summen, die wir nach dem großen Beben für den Wiederaufbau aufwenden mussten und noch immer aufwenden.“ Er deutete auf den kleinen Gardekommandeur. „Und jene Schüsselchen, welche die Garde stärkten.“
Ratsherr ta Halda erhob sich. Er hatte bei dem großen Beben seine gesamte Familie verloren und litt noch immer unter diesem Verlust. „Wie können wir von goldenen Schüsselchen sprechen, wenn es um das Überleben des Reiches geht?“ Er deutete um sich. „Ihr habt die Worte des Königs gehört. Die Elfen sagen, das Land wird im Meer versinken. An den Worten dieser Wesen ist nicht zu zweifeln.“
Welbur ta Andarat hörte zustimmendes Gemurmel und nickte. „Gleichwohl darf man sich fragen, wie aufrichtig diese Spitzohren sind. Immerhin haben sie die Flucht ergriffen und uns, ihre Freunde und Verbündeten, über den Grund im Ungewissen gelassen.“ Sein Blick und seine Stimme waren eine einzige Anklage. „Sie waren bereit, uns alle dem Tod zu überlassen.“
„Dem stimme ich zu.“ Ein Ratsmitglied stieß den Fuß auf den Boden und andere folgten seinem Beispiel.
„Ihr hohen Herren, das ändert jedoch nichts an den Tatsachen“, erinnerte der König. „Zumal der gute Graue Marnalf sie bestätigt und wir alle wertschätzen das magische Wesen.“
„Dennoch ist er ein Graues Wesen“, gab Welbur zu bedenken. „Wir alle kennen die grausamen Kreaturen, die der Finsternis dienen, und ich frage mich, warum er als Einziger ein Freund der Menschen blieb. Mag es sein, dass er von den Ereignissen wusste, die uns bevorstehen, und dass er sie verschwieg, um an unserem Untergang teilzuhaben?“
„Mag es sein, dass Euer Geist verwirrt ist, Ratsherr ta Andarat?“ Daik ta Enderos war keine beeindruckende Gestalt, doch fraglos ein überaus fähiger Kommandeur und überall geachtet. Nun trat er einen Schritt vor und sah den Hochgeborenen drohend an. „Euer Gedächtnis scheint mir kurz zu sein, Euer Hochgeboren. Marnalf hat uns schon oft zur Seite gestanden und erst vor wenigen Jahreswenden war er es, der entscheidend zur Vernichtung der Faust des Schwarzen Lords und vieler Grauer Wesen beitrug.“
„Dem stimme ich zu“, sagte ta Halda. „An Marnalfs Treue und Verbundenheit zum Menschenvolk gibt es keinen Zweifel.“
Welbur ta Andarat betupfte sich die Mundwinkel, als er das zustimmende Stampfen der anderen Ratsmitglieder vernahm. „Daran kann es wahrhaftig keinen Zweifel geben“, lenkte er rasch ein. „Ich wollte dies auch nur erwähnt wissen, damit uns der Ernst der Lage bewusst wird.“
„Eure Sorge rührt mein Herz“, versicherte ta Enderos mit deutlichem Spott in der Stimme.
König Venval ta Ajonas hob beschwichtigend die Hand. „Ihr hochgeborenen Herren, besinnt Euch. Die Situation ist viel zu bedrohlich, als sich in Streit zu ergehen. Es gilt, das Volk zu retten und die Schiffe zu bauen.“
„Und dieses, lassen wir das nicht außer Acht“, mahnte ta Andarat, der nicht bereit war, zurückzustecken, „auch zu bezahlen. Gewiss ist Alnoa ein reiches Land, doch sehe ich keine Not bei den anderen Völkern. Euer Majestät haben sicherlich nur versäumt, uns zu berichten, dass sich auch diese an den Kosten beteiligen.“
„Es geht nicht um die Zahl der goldenen Schüsselchen“, erinnerte der König, „sondern um die Zahl der Leben, die es zu retten gilt.“
„Mit unseren goldenen Schüsselchen“, beharrte ta Andarat.
„Ihr seid kindisch“, wies ta Halda den Hochgeborenen zurecht. „Auch die größte Zahl goldener Schüsselchen ist nicht in der Lage, ein Leben zurückzubringen. Aber sie kann Leben erhalten und Ihre Majestät hat vollkommen recht, genau darum geht es. Wir haben die Fertigkeiten, um Schiffe zu bauen. Wir haben das Holz und das Eisen. Wir haben die Hände, um dies zu bewerkstelligen.“ Ta Haldas Blick wanderte von ta Andarat zu Venval ta Ajonas. „Der Rat der Könige und Pferdefürsten hat dies sicherlich bedacht.“
„Man wird uns mit allen verfügbaren Mitteln unterstützen“, bestätigte der König. „Aber bedenkt wohl, dass es Jahreswenden braucht, um die Schiffe zu bauen. Während dieser Zeit muss das Leben weitergehen. Die Völker können ihre Kraft nicht nur auf den Bau der Schiffe konzentrieren.“
„Ah, jetzt kommt wohl die Garde zu Wort“, spottete ta Andarat.
„In der Tat.“ Der König überging den Spott und nickte seinem Freund zu.
Die Blicke der Versammelten richteten sich auf Daik ta Enderos. Dieser legte dar, welche Gefahr von den Streitkräften des Schwarzen Lords ausging und wann man mit einem ernsthaften Angriff rechnen musste. Das erschien den Ratsherren durchaus logisch und sie stimmten bereitwillig zu, noch bevor ta Andarat einen Widerspruch einlegen konnte. Dies galt auch für den Plan, eine zweite Grenze zu errichten. Ta Andarat schloss sich zögernd der Zustimmung des Kronrates an.
„Wie zuvor erwähnt, muss das Leben in den kommenden Jahreswenden weitergehen und kann sich nicht ausschließlich auf die Rettung unserer Völker ausrichten“, nahm ta Enderos die Worte des Königs auf. „Man muss sich um Hornvieh, Wolltiere und Getreide kümmern und zusätzliche Vorräte für die Reise anlegen, von der wir nicht wissen, wie lange sie dauern wird. Zwerge, Sandclans und Pferdevolk werden sich um Erz, Holz und Gold kümmern und es zu uns nach Mintris schaffen. Sie werden auch ihre fähigsten Holzarbeiter und Schmiede zu uns senden und viele Hände, die an den Schiffen und der zweiten Grenze anpacken. Alnoa steht also keineswegs alleine mit dieser großen Aufgabe.“
„Nun, schließlich wollen alle auf die Schiffe“, wandte ta Andarat ein. „Doch was, wenn wir nicht rechtzeitig genügend davon fertig bekommen?“
Der König runzelte die Stirn, denn er spürte, dass hinter diesen Worten mehr verborgen war. „Worauf wollt Ihr hinaus, Hochgeborener ta Andarat?“
Der betupfte sich mit kummervollem Gesicht die Mundwinkel. „So schrecklich diese Vorstellung auch sein mag, doch könnte es nicht sein, dass uns der Untergang droht, bevor wir genug Schiffe für alle haben? Wir dürfen uns diesem Gedanken nicht verschließen. Nein, wir müssen ihn sogar ernstlich in Betracht ziehen.“ Er sah die Anwesenden der Reihe nach an. „Vielleicht vermag man nicht alle zu retten, nicht wahr? Doch unser Volk braucht eine Grundlage, um einen neuen Anfang in einem fremden Land wagen zu können. Landvolk und Handwerker und fähige Anführer, die es zu den richtigen Schritten anleiten.“ Er sah rasch zu Daik ta Enderos hinüber. „Und ebenso fähige Gardisten, die es vor den unbekannten Gefahren der neuen Heimat schützen.“
„Hm, das ist wahr“, meinte ein Hochgeborener nachdenklich. „Das gilt es zu bedenken.“
„Wir sollten eine sorgfältige Auswahl treffen, um in jedem Fall die Besten unseres Volkes in Sicherheit zu bringen“, fügte ta Andarat hinzu. Er sah die finstere Miene von ta Enderos und lächelte freundlich. „Und dies gilt natürlich ebenso für alle unsere Freunde. Wenn man nicht alle retten kann, so doch jene, die für das Überleben von Belang sind, nicht wahr?“
„Wozu fraglos der Kronrat gehört“, mutmaßte Daik ta Enderos.
„Wer wäre besser geeignet, das Volk zu führen?“ Der Hochgeborene breitete theatralisch die Arme aus. „König und Rat müssen in jedem Fall gerettet werden.“
„Könnt Ihr einen Nagel in ein Brett treiben?“, fragte ta Enderos leise.
Читать дальше