„Ein Plan, der alle retten soll?“ König Balruk pochte mit dem Stiel seiner Zeremonienaxt auf die Lehne seines Stuhles. „Wahrhaftig, Hohe Damen und Hohe Lords, ich glaube an die Aufrichtigkeit Eurer Absicht, doch mir scheint, Euch allen ist nicht klar, wovon Ihr da sprecht. Habt Ihr eine Vermutung, wie viele Leben es zu retten gilt und wie das zu bewerkstelligen ist?“
Nedeam blickte seine Elfin verlegen an, denn diese Frage war nur zu berechtigt und er hatte keine Antwort, die sie befriedigt hätte.
„Wir sollten zusammentragen, wie stark unsere Völker sind“, schlug Marnalf vor.
Die Zahl war für die meisten der Anwesenden ein Schock.
Der Pferdefürst der Südmark wirkte hingegen kaum überrascht. „Tausende leben in den großen Städten unserer Reiche, doch es gibt nur wenige Städte. Die meisten von uns leben in den zahlreichen Weilern und Dörfern oder den unzähligen Familiengehöften, die über das ganze Land verstreut sind. Ich hatte sogar eine weit größere Anzahl befürchtet.“
„Wir würden Hunderte von Schiffen benötigen“, ächzte der Pferdefürst der Nordmark.
„Tausende“, korrigierte Venval ta Ajonas. Der König des Reiches von Alnoa erhob sich, um das Wort zu ergreifen. „Doch es ist nicht unmöglich. Alnoa versteht sich auf den Bau von Schiffen.“
„Hier geht es um den Bau Tausender von ihnen“, knurrte Hendruk. Der Zwergenkönig zwirbelte erregt die Enden seiner Bartzöpfe. „Kann Alnoa so viele hervorbringen?“
Venval überlegte. „Es wird alle Kräfte erfordern. Wir brauchen sehr viele und sehr große Schiffe, um all die Seelen zu retten.“
„Bedenkt, dass wir nicht nur Raum für all die Leben benötigen“, wandte Nedeam ein. „Sie brauchen auch Nahrung und Trinkwasser und zudem Hilfsmittel, um sich eine neue Heimat erschaffen zu können.“
„Ja, wohin sollen wir denn fliehen?“, warf der Kronenträger von Julinaash ein. „Schließlich können wir nicht für unendliche Zeiten auf dem Wasser treiben. Wir brauchen ein Land, in dem wir siedeln können.“
König Balruk klopfte erneut mit dem Axtstiel auf die Seitenlehne. „Man kann selbst auf dem Wasser leben. Die Clans der Zwerge der Meere tun dies seit vielen Jahrtausendwenden.“ Er hob beschwichtigend die Hand, als erregtes Gemurmel einsetzte. „Ich will zugeben, dass mir diese Vorstellung auch nicht behagt. So, wie die Brüder der Meere dem Wasser verbunden sind, so sind wir dies mit unseren Bergen.“
„Sagt, guter König Balruk, wenn Eure Brüder der See auf dem Wasser leben, so werden sie doch über Schiffe verfügen, nicht wahr?“
Balruk sah den Fragesteller an und schüttelte dann den Kopf. „Jeder der Clans lebt auf einer schwimmenden Stadt aus Flößen und verfügt nur über ein oder zwei kleine Handelsschiffe. Zudem würde es Jahreswenden brauchen, um sie alle zusammenzurufen, damit sie uns helfen können. Wahrhaftig, sie würden nicht zögern, uns zu helfen, doch ich fürchte, sie haben dazu keine Mittel.“
„Das Gleiche gilt wohl für Telan“, seufzte der König von Alnoa. „Es ist ein fernes Menschenreich, mit dem wir Handel treiben. Doch es liegt mit einem unheimlichen Insektenvolk im Krieg.“
„Erinnert euch der Zahl unserer Völker.“ Nedeam dachte an die begrenzten Möglichkeiten der Hochmark. „Ein fremdes Reich wird kaum die Möglichkeit haben, uns alle aufzunehmen und zu ernähren.“
„Wir brauchen ein neues Land.“ Pferdefürst Mor sprang auf. „Eines, welches uns eine Zukunft bietet und uns gehört.“
„Showaa fliegt.“ Die Köpfe wandten sich der riesigen Schwinge zu. „Schwingen fliegen.“ Das einzelne Auge schien auf Nedeam zu fokussieren. „Showaa suchen Pfad. Showaa suchen Land.“
„Bei den Finsteren Abgründen.“ Nedeam schlug die Hände ineinander. „Natürlich. Ich hätte selbst darauf kommen sollen.“
„Darf man erfahren, worum es geht?“ Die Stimme der Kronenträgerin klang irritiert.
„Als wir in das Land des Schwarzen Lords marschieren mussten, um dessen unheilvolle Faust zu vernichten, da brauchten wir einen verborgenen Pfad, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden“, erklärte Nedeam. „Showaa fand ihn aus der Sicht der Schwinge.“
„Ich verstehe.“ Julara-Alecia-Frau lächelte und betrachtete Showaa forschend. „Kann sie weit fliegen?“
„Sehr weit.“ Showaas Reiter Anschudar trat ein Stück vor. „Und sie wird gewiss nicht alleine fliegen. Das Schwingenvolk wird nach einem neuen Land für eure Völker und sich selbst suchen. Lederschwingen sind sehr schnell und sie können viele Tageswenden in der Luft bleiben. Wir werden ein neues Ufer finden.“
Damit nahmen Showaa und Anschudar den Versammelten eine große Sorge ab. Einer der Pferdefürsten zog spontan sein Schwert und stieß es zustimmend mit der Klinge auf den Boden. Der metallene Schlag fand seinen Widerhall, als die anderen seinem Beispiel folgten.
„Damit wären wir wieder bei den Schiffen“, erinnerte Venval ta Ajonas. „Wir brauchen viele Schiffe und wir brauchen sie schnell.“
„Wie rasch könnt ihr mit dem Bau beginnen?“, erkundigte sich Reyodem.
„Wir brauchen sehr große Schiffe und diese müssen wir erst konstruieren“, erläuterte Venval. „Es reicht nicht aus, die bestehenden Schiffsbauten einfach nur zu vergrößern. Die Schiffe müssen ihrer Größe und der Last, welche sie tragen sollen, angepasst werden. Es mag eine Jahreswende vergehen, bevor wir eine geeignete Konstruktion ersonnen haben.“
„Eine Jahreswende“, murmelte ein Pferdefürst betroffen.
„Das ist keine verlorene Zeit“, beschwichtigte Venval. „Denn während man die Konstruktion ersinnt, können jene Anlagen errichtet werden, die man zum Bau der vielen Schiffe benötigt.“
„Marnalf dachte hierbei an die Stadt Mintris am Fluss Genda.“
Venval sah Nedeam und Marnalf an und nickte. „Eine gute Wahl. Der Fluss ist lang, tief und breit und er bietet genug Raum. Zudem ist er vor den Gezeiten geschützt und weit von der Grenze entfernt. Allerdings werden die Wälder bei Mintris nicht genug Holz hergeben.“
König Reyodem räusperte sich. „Wir müssen bedenken, dass der Schwarze Lord unsere Vorbereitungen entdecken wird. Er wird nicht einfach hinnehmen, dass wir uns in Sicherheit bringen und er mit dem Land untergeht. Nein, er wird uns bestürmen.“
„Dann müssen wir die Grenzfesten verstärken!“, rief einer der Pferdefürsten.
„Das hat noch Zeit.“ Marnalf lächelte sanft. „Der finstere Herrscher versteht sich nicht auf den Bau von Schiffen. So wird er abwarten, bis wir die unseren erbaut haben, und sie uns dann abnehmen wollen. Ich glaube also nicht, dass jetzt schon akute Gefahr droht. Doch je weiter unsere Arbeit fortgeschritten ist, desto bedrohlicher wird die Lage werden.“
„Der Schwarze Lord ist nicht dumm“, grollte Fangschlag. „Er wird ebenso leben wollen wie ihr und dies gilt ebenso für die Krieger der Legionen. Sie werden kommen und stürmen.“
Nedeam überlegte. Er trat an Fangschlags Seite. „Ich habe manches Mal gegen die Orks gekämpft. So, wie es viele der hier Versammelten schon taten. Sie werden uns mit enormer Macht berennen und ich glaube nicht, dass die Grenzfesten sie aufhalten können.“
„Die Festen sind stark und wir werden sie weiter ausbauen und ihnen mehr Truppen senden“, versicherte Venval.
„Trotzdem werden sie fallen“, entgegnete Nedeam mit düsterer Stimme. „Eine Weile mögen sie standhalten, doch letztlich wird man sie hinwegfegen. Bedenkt, dass es ja einen Zeitpunkt gibt, an dem unsere Völker auf die Wanderschaft gehen. Wenn sie alle nach Mintris und zu den Schiffen marschieren, so werden wir viele Pferdelords und Gardisten brauchen, um ihren Marsch zu schützen und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Und wenn nur eine der Grenzfesten vorzeitig fällt, werden die Legionen wie eine Flut in unsere Länder gelangen. Sie werden wissen, dass es um ihr eigenes Leben geht, und werden nach Mintris stürmen.“
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