Unterdessen verschärfte sich der Ton in der Redaktion. Tiffy hatte Anja zwar statt Kaffee nur grünen Tee gemacht, aber ihr Stresslevel ließ sich davon nur wenig beeindrucken. Anjas Laune sank von Minute zu Minute: „Wo bleiben die Bilder von der ‚Fashion4U‘-Show? Und auf der After-Show-Party soll es auch heiß hergegangen sein. Wo bleiben denn bitte die Fotos davon? Wir müssen das schnell betexten und dann online stellen.“
Die Mahnung verfehlte nicht ihre Wirkung und die Mädels aus der Foto-Abteilung schienen nun eher zu rennen als zu laufen. Hektisch wählten sie Nummern von den üblichen Fotografen an, um zu fragen, wer vor Ort gewesen war. Da hatte Tiffy eine Idee: Wenn nun Tom auch in ihrem Redaktionssystem als Kontakt angelegt war? War das nun Stalking oder berechtigte Recherche?
Bevor sie alle moralischen Fragen darüber abwägen konnte, gab sie schon seinen Namen in die Suchmaske ein. Kein Treffer. Eigentlich kein Wunder, schließlich war Tom ein internationaler Künstler, der sich außerhalb der Gehaltsklasse von „Empire“ bewegte. Trotzdem war Tiffy enttäuscht – Tom schien in immer weitere Ferne zu rücken.
Gerade als sie wieder ins Grübeln geriet, wurden alle zur Redaktionskonferenz zusammen gerufen. Hier mussten die Reporter neue Themen vorschlagen und aktuelle Trends vorstellen. Da draußen noch immer eine Hitzewelle brütete, war der Aufmacher schnell gefunden: Welches sind die neuesten Eis-Sorten, die man diesen Sommer bekam? Mirjam Lewandowsky, die ehrgeizige Chefreporterin, die nicht nur Tiffy das Leben schwer machte, hatte natürlich als erste ein paar Vorschläge. Typisch, dachte Tiffy, andauernd musste die beweisen, wie toll sie war. Schon in der Schule hatte Tiffy Streber nicht ausstehen können und der Fall Mirjam kam ihr ziemlich ähnlich vor. Irgendwie war die immer auf dem Kriegspfad. Echt nervig.
„Also in diesem Sommer gibt es nur einen echten Trend – und zwar Olivenöl-Eis. Hat viel weniger Kalorien, als man glaubt. Und ist auch nicht so süß wie die anderen Sorten. Sogar auf der Fashion Week gab’s Olivenöl-Eis, also wenn das nicht angesagt ist, dann weiß ich auch nicht.“
Nicht nur Tiffy verzog ihren Mund. Eis musste doch süß sein, oder nicht? Warum aß man es sonst? Eis aus Olivenöl? Da kann man ja gleich eine grüne Gurke in den Kühlschrank legen und sie hinterher lutschen. Ist bestimmt auch lecker.
Tiffy seufzte. Musste man wirklich immer nur Kalorien zählen? Mirjam hatte es mal wieder geschafft, einen ohnehin nervigen Montag noch ein bisschen nerviger zu machen. Anja, die immer ein guter Seismograf war, wenn es um die Stimmung ihrer Untergebenen ging, erfasste schnell die Lage: „Hat noch jemand Ideen?“
War ja klar, das Mirjam sich nicht überbügeln lassen wollte: „Das Olivenöl-Eis wird sogar aus Ziegenmilch hergestellt, damit auch Laktose-Intolerante es essen können. Ich finde, das ist doch mal eine tolle Erfindung, ich konnte ja jahrelang kein Eis essen, seit meine Laktose-Intoleranz entdeckt wurde.“
„Hätte nie gedacht, dass die überhaupt Ziegenmilch zu sich nimmt – wo sie doch selbst die schlimmste Zimtzicke ist. Ist das dann nicht irgendwie Kannibalismus?“ Diese scharfzüngige Bemerkung wurde von Marcel geflüstert, der neben Tiffy saß. Er war ihr ein guter Freund und er arbeitete im Fashion-Ressort. Fast hätte sich Tiffy früher in ihn verguckt, bis er ihr gestanden hatte, dass er schwul war. Die beiden hatten gelacht und seitdem war Marcel ihr fester Anker in der Redaktion. Mit ihm konnte sie die drei großen „L“ machen: Lachen, Lästern und Loslassen, wenn der Stress sie mal wieder aufzufressen drohte.
War ja klar, dass Marcel sich jetzt das Grinsen nicht mehr verkneifen konnte. Er beugte sich zu Tiffy, schob seine Michael-Kors-Brille in Position zurück und flüsterte: „Die Mirjam hat doch ihre Laktose-Intoleranz erst entdeckt, als das ganze Thema heiß wurde und sich jeder Promi als Laktose-intolerant outete. Das war wie beim Gluten – als alle Welt sich darüber aufregte, hat Mirjam auch behauptet, sie habe eine Gluten-Intoleranz. Deswegen durften wir auf einmal keine Betriebsfeier mehr beim Chinesen machen. Gluten-Allergie! Wenn’s mal so wäre, vielleicht würde sie dann hin und wieder ein bisschen fehlen und wir hätten hier unsere Ruhe.“ Zum ersten Mal an diesem Tag musste Tiffy lächeln.
Während das Oliven-Eis also zugunsten von neuen Sorten wie Schoko-Chili und Pfirsich-Lavendel unter den Tisch fiel, sortierte Marcel auf seinem IPad aufgeregt die Fotos für sein Thema: der letzte Tag der Berliner Fashion Week. Während er gedankenversunken mit der Hand die Fotos hin- und herwischte und immer wieder einige besonders viel versprechende Exemplare in einen Ordner auf der Oberfläche ablegte, stutzte er auf einmal. Er stupste Tiffy an: „Hey, bist du das etwa? Im Gespräch mit diesem heißen Fotografen, wie heißt der gleich? Jim? Tim?“
Als Tiffy das Foto von sich und Tom entdeckte, blieb ihr fast das Herz stehen. Komisch, sie selbst erkannte sich erst auf den zweiten Blick: Sie sah so entspannt aus, ganz vertieft in das Gespräch mit ihrem Gegenüber. Auf dem Bild sah man zwei Menschen, die die Welt um sich herum vergessen hatten. Toms Hand lag dicht bei ihrer und Tiffy konnte sich auf einmal daran erinnern, dass er ihren Arm erst immer wieder leicht berührt und ihn dann gestreichelt hatte. Warum hatte sie das vergessen?
Ohne dass sie es merkte, war sie knallrot angelaufen. Marcel hielt es vor Aufregung kaum auf seinem Stuhl: „Na komm, erzähl sofort, was los war!“ Tiffy war froh, in der Konferenz zu sitzen, sonst hätte er sie sofort in die Redaktionsküche gezogen und wie eine Zitrone ausgequetscht. Nun hatte sie zumindest noch ein paar Minuten, um ihre Geschichte so umzuformulieren, dass sie dabei nicht wie ein Flittchen rüberkam. Andererseits: Gibt es überhaupt eine andere Interpretation? Typisch Tiffy – lässt sich auf einen One-Night-Stand ein und wird vorher noch fotografiert. Und das Bild schafft es sogar bis in die Redaktion. Sie hätte ihr Abenteuer lieber mit einem Kellner oder Barkeeper erleben sollen, dann hätte sich niemand für Beweisfotos interessiert. Aber nein: Es musste ja ein weltberühmter Fotograf sein. Wenn alles schief ging, war der Klatsch damit vorprogrammiert.
Nach Ende der Konferenz zerrte Marcel sie also in die Küche und Tiffy musste ihm mehrmals und haarklein den ganzen Abend – und den Samstag-Morgen – schildern. Der Mode-Redakteur krümmte sich vor Lachen. Genau das hatte sie befürchtet.
„Ich glaub’s ja nicht, da schleppt unsere Tiffy den preisgekrönten Künstler Tom Soundso ab und ich erfahr das durch Zufall, weil ich die Fotos durchgucke. Mensch, das kannst du mir doch nicht verheimlichen! Da hast du ja einen Super-Fang gemacht! Weißt du, bisher war der immer mit irgendwelchen Models zusammen. Glaubst du, er ruft dich zurück?“
Schon wieder so ein Frage-Feuerwerk. Da wäre Tiffy sogar ein Oliven-Eis lieber gewesen. Nur mühsam konnte sie Marcel beruhigen. Sie war froh, dass er bald zurück an den eigenen Rechner musste, um die Bilderstrecke über die Fashion Week zu aktualisieren. Und was hatte er über Models gesagt? Darauf hätte sie nun wirklich verzichten können.
Als die Hektik in der Redaktion am Nachmittag abebbte, hatte sie Marcels Worte schon fast erfolgreich verdrängt. Da klingelte ihr Telefon, am anderen Ende war Herr Moinke vom Empfang. Sie habe einen Besucher, sagte er. Tiffy schaute in Anjas Terminkalender: Komisch, da standen für heute Nachmittag zwar allerlei Telefonate drin, aber kein persönlicher Besucher. Ob Anja da etwas vergessen hatte?
„Ich kann hier gar keinen Besucher für unsere Chefin finden. Wer ist denn da bei ihnen?“ Moinke klang schon etwas genervter: „Nein, der Besucher ist für SIE. Ein Herr Baumeister oder so…“ Jemand murmelte im Hintergrund und Moinke sprach weiter: „Nein, Baumgardner mein ich. Sieht nett aus, der Mann.“
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