Paul hatte sich eigentlich nie um die Tricks der Models geschert. Sie sahen schön aus – mehr musste er nicht wissen. Moderne Göttinnen eben. Da er selbst Art Director war und mit der Model-Branche zunächst mal nicht direkt zu tun hatte, war er einfach nur fasziniert von diesen graziösen Geschöpfen. Er hatte Tom immer wieder um dessen Job beneidet, schließlich kam er mit den schönsten Frauen des Planeten in Berührung und war immer wieder von diesen Elfen umgeben. Die Sache mit den Baumwoll-Pads fand er jetzt aber doch zu eklig.
Tom nutzte Pauls baffes Schweigen, um seinem Freund zu erklären, was ihn an Tiffy so faszinierte: „Weißt du, sie ist ein ganz normales Mädchen. Sie hat, soweit ich das sehen konnte, keine Allüren. Sie will nicht im Mittelpunkt stehen. Doch sie ist klug und aufgeweckt und als sie von ihrer Katze erzählte, hättest du ihre Augen sehen sollen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so etwas Strahlendes gesehen habe. Irgendwie ist es doch toll, mal jemanden zu treffen, mit dem man sich ganz normal unterhalten kann, denkst du nicht?“
Paul stöhnte leise. Das hier würde eine härtere Nuss werden, als er gedacht hatte. Sein Kumpel hatte sich tatsächlich in dieses Pummelchen verguckt. Auch das noch… Das letzte, was er brauchen konnte, war ein bester Freund, der zwar Zugang zur Model-Szene hatte, aber kein Interesse mehr an heißen Schnecken zeigte. Dass Tom auf der Suche nach einem Heimchen am Herd war, passte ihm so gar nicht in den Kram.
Er versuchte es jetzt einfach mal anders: „Finde ich toll, dass du ein einfaches Mädchen von nebenan getroffen hast. Ich weiß halt nur nicht, wie lieb und unkompliziert eine Lady ist, die am ersten Abend einen Wildfremden nach Hause begleitet – oder hab ich das falsch verstanden? Das hört sich für mich nicht gerade nach einem treuherzigen Naivchen an. Ich kann ja verstehen, dass du nach den anstrengenden Models auf der Suche nach einer Frau bist, die unkomplizierter rüberkommt. Mir ist nur nicht klar, wieso du ausgerechnet heute damit anfängst.“
Tom legte die Stirn in Falten. Okay, wenn man es so herum drehte, klang das gestrige Erlebnis eher nach einem x-beliebigen One-Night-Stand. Aber dass Tiffy noch am selben Abend mit ihm nach Hause gegangen war, stellte für ihn noch kein Ausschlusskriterium dar. Schließlich hatten sie beide gestern Abend ordentlich getrunken und sich doch gut miteinander unterhalten. Und der heutige Morgen war ja schließlich auch eine ganz wunderbare Erfahrung. Dieses Mädchen war so sanft, schüchtern und doch so liebevoll, wie er es sich bei seinen Partnerinnen in den vergangenen Jahren vergeblich erhofft hatte.
Alles Weitere lag ganz klar vor ihm: Er musste einfach wissen, ob Tiffy und er zusammen passten, ob sie die fehlende Hälfte war, nach der er schon so lange suchte. Bevor er sich darüber nicht klar wurde, wollte er von anderen Dates oder Model-Geschichten überhaupt nichts mehr wissen. Gott sei Dank hatte sie ihm verraten, dass sie als Assistentin bei einem Lifestyle-Magazin hier in Berlin arbeitete. Alles andere würde er schon hinbekommen. Himmel nochmal, er hatte 2007 den Kilimandscharo mit einem alten Rucksack und zwei Kameras bestiegen – da wird er ja wohl abklären können, ob dieses wunderbare Geschöpf von letzter Nacht wirklich die Frau war, nach der er sich schon so lange sehnte.
Laktose-intolerante Zimtzicken auf dem Kriegspfad
„Wer wollte sich denn um das Ranking ‚Die 10 schärfsten Bundesliga-Fußballer Deutschlands kümmern‘? Was ist mit den ‚10 romantischsten Orten in Berlin‘? Und wo ist denn jetzt die Galerie mit den coolen neuen Fransen-Sandalen im römischen Look?“ Anja von Kessler war heute wieder in Hochform. Seit die Mittdreißigerin voriges Jahr die Leitung des „Empire“-Magazins übernommen hatte, dreht sich alles um attraktive Bilderstrecken, die die Klick-Zahlen der Website hoch pushen sollten. Je bunter und unterhaltsamer, desto besser. Die Zeit der langen Reportagen war endgültig vorbei und die meisten Redakteure verwandelten sich nach und nach in Fotoexperten, die Klickstrecken bastelten.
Doch der Erfolg gab Anja recht: Nachdem die „Empire“-Seite jahrelang eher das Dornröschen unter den Zeitschriften-Websites war, konnte sie nun stolz den Aufstieg in die deutschen Top-20 vermelden. Tiffy mochte Anja, die so zielstrebig sein konnte und die den Männern in der Branche zeigte, wie man heutzutage Publikum und Leser anzog. Trotzdem war Tiffy froh, dass sie als Assistentin keine redaktionelle Arbeit leisten musste. Sie beneidete die ganzen Reporter und Grafiker nicht um deren Job, der sie oft bis in die Nacht hier an den Schreibtisch fesselte. Wie oft hatte sie den Mädels von der Online-Redaktion abends, bevor sie selbst die heiligen Hallen der Zeitschrift verließ, noch Abendessen bestellen müssen? Okay, Pizza und Salate auf Kosten des Arbeitgebers hört sich erst einmal super an. Aber wer will schon den ganzen Abend auf den Computer starren, nur weil irgendein durchgeknallter Modedesigner der Welt unbedingt seine neuesten Kreationen zeigen musste? Wo man sich doch mit Freundinnen treffen, ins Kino gehen oder einfach mit seiner Katze auf der Couch kuscheln konnte? Es gab selbst gewählte Schicksale, die Tiffy einfach nicht nachvollziehen konnte.
Dieser Montag hatte es sowieso in sich: Neben der Auswertung der Berliner Fashion Week standen noch eine Pressekonferenz für die nächsten Filmfestspiele und eine Verlobung bei der Fürstenfamilie in Monaco auf der Agenda. Wer konnte bei all den blaublütigen Verwandten noch durchsehen? Alles musste bebildert, beschrieben und kommentiert werden. Man brauchte witzige Überschriften, die die Leser zum Anklicken animierten, und witzige Texte samt Bildunterschriften. Und das alles am besten vor einer Stunde!
Die Hektik um sie herum schlug Tiffy auf den Magen. Das passierte immer, wenn sie zu wenig Schlaf bekam – und das war nach diesem Wochenende nun mal der Fall. Erst die wunderbare Nacht mit Tom, dem Star-Fotografen, dann die ausführliche Auswertung dieses Ereignisses mit ihren Freundinnen. Weder Samstag- noch Sonntagnacht hatte sie vernünftig schlafen können. Immer, wenn sie die Augen geschlossen hatte, sah sie Toms dunkelgrüne Augen vor sich, die ein bisschen traurig aussahen. Zumindest war es ihr so vorgekommen, aber was heißt das schon?
War ja klar, dass sie sich seit zwei Tagen gedanklich mit einem Mann beschäftigte, den sie vermutlich nie wieder in ihrem Leben sehen wird. Sie war sich sicher, dass Tom die vergangenen 48 Stunden wohl kaum grübelnd in seiner Wohnung, sorry – in seinem superteuren Loft –, zugebracht hatte. Nein, er hatte bestimmt schon sie und ihr gemeinsames Abenteuer für eine Nacht abgehakt und vergessen. Dafür wird schon sein Kumpel gesorgt haben, der so plötzlich in der Tür gestanden hatte. Naja, zumindest hatte sie dem eine tolle Lachnummer geboten, als sie quasi nackt in der Gegend rumstand. Noch immer wollte sie sich am liebsten unter dem Tisch verstecken, wenn sie an diese peinliche Szene dachte – wie hatte das nur passieren können?
Ein bisschen ärgerte sie sich auch über Tom. Ja, sie hatte ihm nicht ihre Nummer gegeben und sie stand auch nicht im Berliner Telefonbuch – zu viele irre Spinner trieben sich da draußen rum. Trotzdem hatte sie still und heimlich gehofft, dass er sich irgendwie bei ihr melden würde. Schließlich muss so ein berühmter Fotograf doch Mittel und Wege haben, um jemanden ausfindig zu machen, oder nicht? Ihren Freundinnen gegenüber hätte sie das nie zugegeben – aber sie fände es schon toll, wenn Tom sie irgendwie kontaktiert hätte. Sie musste endlich aufhören, sich irgendwelchen Träumen und Illusionen hinzugeben: Thomas Weingardner, ihr Tom für eine Nacht, war aus ihrem Leben verschwunden. Er würde eine schöne Erinnerung an ein paar Stunden voller Leidenschaft bleiben, als sie einen Moment lang glaubte, unter all den Menschen endlich einen echten Seelenverwandten gefunden zu haben.
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