„Ein wichtiger Bestandteil von ‚Rosa Wolken‘ ist der Kontakt mit den Zuschauern“, fuhr Meister Propper fort. „Um die Serie bekannt zu machen und die Fans auf dem Laufenden zu halten, sehen wir vor, ‚Rosa Wolken‘ auf verschiedene Online-Portalen zu bringen. Sprich facebook, twitter, instagram und co. Dafür haben wir extra eine Social Media Managerin engagiert, die sich um alles kümmern wird. Beispielsweise wird es einmal in der Woche einen Live-chat geben, bei dem euch die Zuschauer per Chat Fragen schicken können. Außerdem steht eine offizielle Seite zu Serie schon in Entwicklung, auf der man alle Hintergründe, Bonus Interviews, und Rollenprofile von den Schauspielern finden kann und die natürlich die Zuschauer auf up-to-date bringt. Dementsprechend erwarten wir von unseren Schauspielern, auf Social Media Kanälen aktiv zu sein, beispielsweise Schnappschüsse vom Dreh oder Outfits zu posten. Bevor ihr etwas veröffentlicht, müsst ihr das ‚okay‘ von unserer Social Media Managerin bekommen. Dies ist nicht nur ein essentieller Bestandteil unseres Marketing Konzepts, sondern auch im Vertrag verankert.“
Bei all dem klang Meister Propper professionell und als sei dass, wovon er da redete selbstverständlich. Ich war mir jedoch nicht so sicher, was ich von diesem Vortrag halten sollte. Klar, ich kannte facebook und co., aber ich war mir nicht im Klaren darüber, was für ein Ausmaß Social Media in ‚Rosa Wolken‘ annehmen sollte. Wieviel ich von mir preisgeben würde müssen. Und wer meine Fotos und Posts anschauen würde. Wenn ich ehrlich war, fand ich die Vorstellung etwas beängstigend. Andererseits, wurde heute nicht sowieso alles komplett digitalisiert? Es war schließlich nichts Neues, wovon er mir da erzählte. Es war nur ein Weg, um die Serie bekannt zu machen. Und wo ging das heute einfacher als im Internet?
„Luise?“ holte Meister Propper mich aus meinen Gedanken. „Klingt einleuchtend“, war alles was ich sagte. Ich wollte lieber nicht zu sehr darüber nachdenken. Noch immer trug Meister Proppers ein Lächeln auf seinen Lippen. „Nun zu dir“, setzte er an. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Mir fiel auf, wie sich sein Shirt über seine Brust spannte. „Zunächst einmal, das Offensichtliche. Wie sieht es mit Schauspielen bei dir aus? Hast du Erfahrung?“ Ich schluckte und schüttelte den Kopf. „Nein.“ Ich hatte noch nie bei einer Schauspiel Produktion mitgemacht, nicht einmal im Schultheater und ich konnte auch nicht behaupten, dass ich viel von Jürgen über die Arbeit im Filmgeschäft wusste. Wir hatten nie darüber geredet. Wenn wir überhaupt einmal geredet hatten.
„Was sollen wir mit jemandem anfangen, der keinerlei Erfahrung hat?“ fragte Meister Propper und blickte auf den Bildschirm seines Laptops, der vor ihm auf dem Tisch stand. Zum ersten Mal verschwand sein Dauergrinsen. Doch wenn ich genau darüber nachdachte, stimmte das gar nicht. Ich hatte geschauspielert. Viele Male. Wie oft hatte ich meiner Mutter vorgespielt das alles in Ordnung war? Oder meinen Freunden, dass ich Spaß, eine gute Zeit mit ihnen hatte? Und am meisten wohl mir selbst, um mich davon zu überzeugen, dass ich glücklich war? Eigentlich war ich eine großartige Schauspielerin. Ich konnte die Unberührte, Uninteressierte, Unverletzliche, das lächelnde Mädchen, das unbeschwerte Kind spielen – in all dem war ich perfekt.
„Ich weiß, professionelle Erfahrung habe ich nicht“, gab ich zu. „Aber ich würde es gerne versuchen. Ich bin mir sicher, ich wäre gut darin.“ Ich versuchte möglichst selbstbewusst zu klingen. Meister Propper tippte etwas in die Tasten seines Laptops. Dann wandte er seinen Blick wieder mir zu. „Viele denken, dass die Schauspielerei einfach sei, aber ich kann dir eins sagen, es ist Knochenarbeit. Zumindest, wenn man ein guter Schauspieler sein will. Glaub mir.“ Ich biss mir auf die Lippen. Ich sagte ihm besser nicht, dass es sich bei ‚Rosa Wolken‘ nicht um den nächsten preisgekrönten Hollywood Streifen handelte, sondern eine deutsche Daily Soap, die außer ein paar Omas sowieso niemand schauen würde. Aber das würde mir wohl kam helfen, die Rolle zu bekommen. Stattdessen versuchte ich verständnisvoll zu nicken. Auf einmal wurde mir klar, was ich zu tun hatte. Ich musste ihm hier und jetzt beweisen, was für eine gute Schauspielerin ich war. So tun, als wäre es mein Traum in das Filmgeschäft einzusteigen und dass ich es kaum erwarten konnte in so einem großartigen Projekt wie ‚Rosa Wolken‘ mitzuspielen. Das war die Prüfung. „Eine andere Frage“, setzte Meister Propper an. „Warum möchtest du – ohne schauspielerische Vorkenntnisse- Teil von ‚Rosa Wolken‘ sein?“
Ich musste einen Augenblick überlegen. „Ich liebe es vorzugeben, jemand anderes zu sein“, antwortete ich schließlich. „Es gibt einem die Möglichkeit, sich selbst zu vergessen, für einen Moment, in eine andere Rolle zu entschwinden und seine eigenen Gefühle auszuschalten, um in denen einer anderen völlig aufzugehen. Das ist es, was mich so sehr an dem Job fasziniert.“ „Klingt interessant“, kommentierte Meister Propper und war wieder mit seinem Laptop beschäftigt. Ich hatte das Gefühl, ich hatte ihn nun doch etwas mehr für mich überzeugt. Das hier würde stückchenweise Arbeit werden. Von einem Hindernis zum nächsten Angeln. Er schaute mir nun wieder direkt in die Augen. Es war schwer seinem Blick standzuhalten. Doch dieses Mal tat ich es. „Und dann wäre da noch etwas, hättest du ein Problem damit einen anderen Schauspieler zu küssen?“ Ich errötete. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber es konnte schließlich nicht allzu schwer sein. Wie oft hatte ich schließlich schon jemanden ohne Gefühle geküsst? Ob ohne Kamera oder mit, das würde sicherlich nicht so den großen Unterschied machen. Ich sollte mich Irren. Doch in dem Moment schüttelte ich nur den Kopf und winkte mit „Nein, keine Sorge“ ab.
Meister Propper musste schmunzeln. „Nun gut, ich gebe dir eine Chance. Aber es bleibt bei dieser einen. Ich war noch nie ein Freund von zweiten Chancen. Wenn du einmal etwas vergeigst, so wirst du es auch ein zweites Mal tun. Das ist meine Sicht.“ Diese Worte klangen ernster als die anderen. Sie hatten einen gewissen Nachdruck. „Morgen ist der erste Probentag. Es ist deine Chance, mich von dir zu überzeugen.“ Ich hatte ihn also überzeugt. Obwohl noch hatte ich das nicht. Aber zumindest gab er mir eine Chance. Aber mir war klar, dass die begrenzte Zeit jemanden zu finden eine Rolle spielte, als auch dass Jürgen Regisseur von ‚Rosa Wolken‘ war.
Meister Propper drehte sich um und zog eine Mappe aus einem Fach aus dem Regal hinter ihm. „Das hier ist dein Drehbuch. Drin sind das Rollenprofil von Melina, der Rolle, die du spielen willst, inklusive aller Szenen, in denen die Rolle vorkommt. Lies dir die Personenbeschreibung gut durch, um den Charakter von Melina zu verstehen und um dich in sie hinein zu fühlen. Wenn du weiter Fragen haben solltest, dann wende dich an die Storyline-Abteilung. Die ist hauptsächlich für die Entwicklung der Charaktere und ihre Geschichten zuständig. Die Storyline-Abteilung ist hier in der Etage, zwei Türen weiter rechts. Sie arbeiten im Moment schon am achten Block. Und es wäre gut, wenn du dir alle Dialoge des ersten Blocks durchlesen und einprägen könntest.“ „Was ist ein Block?“ fragte ich. „Ein Block besteht aus fünf Folgen. Diese müssen diese Woche fertig gedreht werden. Morgen werden wir mit den anderen Schauspielern den kompletten ersten Block durchspielen.“ Ich nickte. Das hörte sich hart an, aber ich wollte ihm beweisen, dass ich meine Chance nutzen würde. „Ich bin mir sicher, dein Vater hat alle nötigen Informationen, aber unser Aufnahmeleiter wird die heute noch eine E-Mail mit den genauen Details für morgen rausschicken. Deal?“ fragte Meister Propper.
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