Joanne Rowling - Harry Potter und der Stein der Weisen

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Für Harry Potter, den Cousin Dudleys, bleibt da nicht mehr viel übrig und so bekommt er seinen Platz im alten Schrank unter der Treppe. Harry hat sich schon damit abgefunden, dass er bei Onkel Vernon und Tante Petunia ein ungeliebter Gast ist, doch da seine Eltern schon in seiner frühesten Kindheit bei einem Autounfall gestorben waren, ist er gezwungen, sich mit seinem Schicksal abzufinden. Bis eines Tages, kurz nach seinem elften Geburtstag ein Brief eintrifft: Harry ist in der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen. Nicht vergessen soll er bitte seinen Zauberstab und es bleibt ihm freigestellt, ob er eine Eule, eine Katze oder eine Kröte mitbringt. Das Schuljahr beginnt wie jedes Jahr am 1. September und die Fahrt geht mit dem Zug um elf Uhr auf Gleis neundreiviertel los – das finden wirklich nur die Eingeweihten.
Für Harry ist das alles ein Riesenfest; endlich kann er den miesepetrigen Verwandten und dem verwöhnten Dudley entkommen. An der neuen Schule wird Harry herzlich aufgenommen und jede Menge Abenteuer warten bereits auf ihn.

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Joanne. K. Rowling

Harry Potter und der Stein der Weisen

Ein Junge überlebt

Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie könnten sich in eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verstricken, denn mit solchem Unsinn wollten sie nichts zu tun haben.

Mr. Dursley war Direktor einer Firma namens Grunnings, die Bohrmaschinen herstellte. Er war groß und bullig und hatte fast keinen Hals, dafür aber einen sehr großen Schnurrbart. Mrs. Dursley war dünn und blond und besaß doppelt so viel Hals, wie notwendig gewesen wäre, was allerdings sehr nützlich war, denn so konnte sie den Hals über den Gartenzaun recken und zu den Nachbarn hinüberspähen. Die Dursleys hatten einen kleinen Sohn namens Dudley und in ihren Augen gab es nirgendwo einen prächtigeren Jungen.

Die Dursleys besaßen alles, was sie wollten, doch sie hatten auch ein Geheimnis, und daß es jemand aufdecken könnte, war ihre größte Sorge. Einfach unerträglich wäre es, wenn die Sache mit den Potters herauskommen würde. Mrs. Potter war die Schwester von Mrs. Dursley; doch die beiden hatten sich schon seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen. Mrs. Dursley behauptete sogar, daß sie gar keine Schwester hätte, denn diese und deren Nichtsnutz von einem Mann waren so undursleyhaft, wie man es sich nur denken konnte. Was würden bloß die Nachbarn sagen, sollten die Potters eines Tages in ihrer Straße aufkreuzen? Die Dursleys wußten, daß auch die Potters einen kleinen Sohn hatten, doch den hatten sie nie gesehen. Auch dieser Junge war ein guter Grund, sich von den Potters fernzuhalten; mit einem solchen Kind sollte ihr Dudley nicht in Berührung kommen.

Als Mr. und Mrs. Dursley an dem trüben und grauen Dienstag, an dem unsere Geschichte beginnt, die Augen aufschlugen, war an dem wolkenverhangenen Himmel draußen kein Vorzeichen der merkwürdigen und geheimnisvollen Dinge zu erkennen, die bald Überall im Land geschehen sollten. Mr. Dursley summte vor sich hin und suchte sich für die Arbeit seine langweiligste Krawatte aus, und Mrs. Dursley schwatzte munter vor sich hin, während sie mit dem schreienden Dudley rangelte und ihn in seinen Hochstuhl zwängte.

Keiner von ihnen sah den riesigen Waldkauz am Fenster vorbeifliegen.

Um halb neun griff Mr. Dursley nach der Aktentasche, gab seiner Frau einen Schmatz auf die Wange und versuchte es auch bei Dudley mit einem Abschiedskuß. Der ging jedoch daneben, weil Dudley gerade einen Wutanfall hatte und die Wände mit seinem Haferbrei bewarf »Kleiner Schlingel«, gluckste Mt Dursley, während er nach draußen ging. Er setzte sich in den Wagen und fuhr rückwärts die Einfahrt zu Nummer 4 hinaus.

An der Straßenecke fiel ihm zum ersten Mal etwas Merkwürdiges auf – eine Katze, die eine Straßenkarte studierte. Einen Moment war Mr. Dursley nicht klar, was er gesehen hatte – dann wandte er rasch den Kopf zurück, um noch einmal hinzuschauen. An der Einbiegung zum Ligusterweg stand eine getigerte Katze, aber eine Straßenkarte war nicht zu sehen. Woran er nur wieder gedacht hatte! Das mußte eine Sinnestäuschung gewesen sein. Mr. Dursley blinzelte und starrte die Katze an. Die Katze starrte zurück. Während Mr. Dursley um die Ecke bog und die Straße entlangfuhr, beobachtete er die Katze im Rückspiegel. Jetzt las sie das Schild mit dem Namen Ligusterweg – nein, sie blickte auf das Schild. Katzen konnten weder Karten noch Schilder lesen. Mr. Dursley gab sich einen kleinen Ruck und verjagte die Katze aus seinen Gedanken. Während er in Richtung Stadt fuhr, hatte er nur noch den großen Auftrag für Bohrmaschinen im Sinn, der heute hoffentlich eintreffen würde.

Doch am Stadtrand wurden die Bohrmaschinen von etwas anderem aus seinen Gedanken verdrängt. Er saß im üblichen morgendlichen Stau fest und konnte nicht wohin zu bemerken, daß offenbar eine Menge seltsam gekleideter Menschen unterwegs waren. Menschen in langen und weiten Umhängen. Mr. Dursley konnte Leute nicht ausstehen, die sich komisch anzogen – wie sich die jungen Leute herausputzten! Das mußte wohl irgendeine dumme neue Mode sein. Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad und sein Blick fiel auf eine Ansammlung dieser merkwürdigen Gestalten nicht weit von ihm. Ganz aufgeregt flüsterten sie miteinander. Erzürnt stellte Mr. Dursley fest, daß einige von ihnen überhaupt nicht jung waren; nanu, dieser Mann dort mußte älter sein als er und trug einen smaragdgrünen Umhang! Der hatte vielleicht Nerven! Doch dann fiel Mr. Dursley plötzlich ein, daß dies wohl eine verrückte Verkleidung sein mußte – die Leute sammelten offenbar für irgendetwas… Ja, so mußte es sein. Die Autoschlange bewegte sich, und ein paar Minuten später fuhr Mr. Dursley auf den Parkplatz seiner Firma, die Gedanken wieder bei den Bohrern.

In seinem Büro im neunten Stock saß Mr. Dursley immer mit dem Rücken zum Fenster. Andernfalls wäre es ihm an diesem Morgen schwer gefallen, sich auf die Bohrer zu konzentrieren. Er bemerkte die Eulen nicht, die am hellichten Tage vorbeischossen, wohl aber die Leute unten auf der Straße; sie deuteten in die Lüfte und verfolgten mit offenen Mündern, wie eine Eule nach der andern über ihre Köpfe hinwegflog. Die meisten von ihnen hatten überhaupt noch nie eine gesehen, nicht einmal nachts. Mr. Dursley jedoch verbrachte einen ganz gewöhnlichen, eulenfreien Morgen. Er machte fünf verschiedene Leute zur Schnecke. Er führte mehrere wichtige Telefongespräche und schrie dabei noch ein wenig lauter. Bis zur Mittagspause war er glänzender Laune und wollte sich nun ein wenig die Beine vertreten und beim Bäcker über der Straße einen Krapfen holen.

Die Leute in der merkwürdigen Aufmachung hatte er schon längst vergessen, doch nun, auf dem Weg zum Bäcker, begegnete er einigen dieser Gestalten. Im Vorbeigehen warf er ihnen zornige Blicke zu. Er wußte nicht, warum, aber sie bereiteten ihm Unbehagen. Auch dieses Pack hier tuschelte ganz aufgeregt, und eine Sammelbüchse war nirgends zu sehen. Auf dem Weg zurück vom Bäcker, eine Tüte mit einem großen Schokoladenkringel in der Hand, schnappte er ein paar Worte von ihnen auf

»Die Potters, das stimmt, das hab ich gehört

» – ja, ihr Sohn, Harry -«

Mr. Dursley blieb wie angewurzelt stehen. Angst überkam ihn. Er wandte sich nach den Flüsterern um, als ob er ihnen etwas sagen wollte, besann sich dann aber eines Besseren.

Hastig überquerte er die Straße, stürmte hoch ins Büro, fauchte seine Sekretärin an, er wolle nicht gestört werden, griff nach dem Telefon und hatte schon fast die Nummer von daheim gewählt, als er es sich anders überlegte. Er legte den Hörer auf die Gabel und strich sich über den Schnurrbart. Nein, dachte er, ich bin dumm. Potter war kein besonders ungewöhnlicher Name. Sicher gab es eine Menge Leute, die Potter hießen und einen Sohn namens Harry hatten. Nun, da er darüber nachdachte, war er sich nicht einmal mehr sicher, ob sein Neffe wirklich Harry hieß. Er hatte den Jungen noch nicht einmal gesehen. Er konnte auch Harvey heißen. Es hatte keinen Sinn, Mrs. Dursley zu beunruhigen, sie geriet immer so außer sich, wenn man ihre Schwester auch nur erwähnte. Er machte ihr deswegen keinen Vorwurf – wenn er eine solche Schwester hätte

Und dennoch, diese Leute in den Umhängen…

An diesem Nachmittag fiel es ihm um einiges schwerer, seine Gedanken auf die Bohrer zu richten, und als er das Büro um fünf Uhr verließ, war er immer noch so voller Sorge, daß er beim ersten Schritt nach draußen gleich mit Jemandem zusammenprallte.

»Verzeihung«, grummelte er, als der kleine alte Mann ins Stolpern kam und beinahe hinfiel. Erst nach ein paar Sekunden bemerkte Mr. Dursley, daß der Mann einen violetten Umhang trug. Daß er ihn fast umgestoßen hatte, schien ihn gar nicht weiter zu ärgern. Im Gegenteil, auf seinem Gesicht öffnete sich ein breites Lächeln, und die Leute, die vorbeigingen, blickten auf, als er mit piepsiger Stimme sagte:»Heute verzeih ich alles, mein lieber Herr, heute kann mich nichts aus der Bahn werfen! Freuen wir uns, denn Du-weißt-schon-wer ist endlich von uns gegangen! Selbst Muggel wie Sie sollten diesen freudigen, freudigen Tag feiern!«

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