Inga von der Stein
Rosa Wolken
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Inhaltsverzeichnis
Titel Inga von der Stein Rosa Wolken Dieses ebook wurde erstellt bei
PROLOG
EPISODE 1
EPISODE 2
EPISODE 3
EPISODE 4
EPISODE 5
EPISODE 6
EPISODE 7
EPISODE 8
EPISODE 9
EPISODE 10
EPISODE 11
EPISODE 12
EPILOG
Impressum neobooks
Dicke Regentropfen prasselten auf die Scheiben des Autos. Ich folgte einer kurvigen Landstraße. Ich hatte den Führerschein noch nicht lange und war erst vor einem Monat achtzehn geworden. Es war die Hausfrauenkutsche meiner Mutter, mit der fahren durfte um Fahrpraxis zu sammeln. Jedes Mal, wenn ich aus dem Auto stieg, wurden mir verächtliche Blicke zugeworfen. Am liebsten hätte ich gerufen „Den Wagen hätte ich mir auch nicht ausgesucht“, doch ich tat es nie. Ich war froh, dass ich überhaupt einen hatte. Vor allem einen, der meine Fahrkünste aushielt.
Doch das Glück sollte an diesem Abend nicht auf meiner Seite sein. Der Asphalt war nass und rutschig durch den vielen Regen. Durch die Scheiben konnte ich kaum etwas erkennen, auch wenn die Scheibenwischer volle Arbeit leisteten. Es war schon dunkel draußen und die Scheinwerfer des Autos die einzige Lichtquelle. Schwach beleuchteten sie die Straße, die vor mir lag. Ich hatte das Radio laufen, die Stimmen der Moderatoren leisteten mir Gesellschaft. Vorsichtig lenkte ich das Auto über die Landstraße. Drückte auf das Gaspedal, wenn die Strecke gerade war und bremste, wenn eine Kurve in Sicht kam. Aber in einer Kurve bremste ich zu spät. Panisch versuchte ich gegenzusteuern. Doch das Auto fing an zu schlingern. Alles drehte sich. Ich verlor jegliche Art von Orientierung. Ich sah den Baum immer näher kommen. Hörte, wie das Auto gegen den Baum krachte. Dann war alles still. Ich spürte, wie warme Flüssigkeit über mein Gesicht sickerte. Doch ich war unfähig mich zu bewegen. Meine Mutter wird mich umbringen, war alles, was ich dachte, dann wurde mir schwarz vor den Augen.
Als ich wieder zu mir kam, hatte jemand den Arm um mich gelegt. Ich konnte kaum die Augen öffnen. „Melina, sieh‘ mich an“, vernahm ich undeutlich eine Stimme wie durch Watte. War das David? Doch ich hatte die Hoffnung aufgegeben. Ich hatte das Spiel verloren, er liebte nicht mich, sondern sie, da war ich mir sicher. Mit aller Kraft schaffte ich es meine Augenlider einen Spalt weit zu öffnen. Ich schaute in unverkennbar dunkelblaue Augen. Ohne Zweifel waren es Davids. Weinte er etwa? Nein, das durfte nicht sein. Das war kein gutes Zeichen. Er rüttelte mich. „Melina, bitte, du darfst nicht sterben, weil …“, er hielt kurz inne. „Ich liebe dich.“
Für einen kurzen Moment fühlte ich mich glücklich. Wie auf rosa Wolken. Und da wollte ich bleiben. Aber der Schmerz war stärker. Am liebsten würde ich ihm sagen, wie glücklich mich seine Worte machten. Sie erwidern. Doch es war zu spät für uns. Er hatte zu lange gewartet. Von weitem konnte ich das Heulen von Sirenen hören. Sie würden mich nicht mehr retten können. Ich merkte, wie meine Lider schwer wurden, ich das Bewusstsein verlor. Als würde mein Körper in ein Meer unendlich schwarzer Tiefe gesogen werden.
„ Und Cut“ hörte ich die Stimme des Regisseurs rufen. „Habt ihr super gespielt.“ Die Filmkamera wurde auf ‚Standby‘ gestellt, das künstliche Blut von der Maske aufgefrischt und die Regenmaschine ausgestellt. Wir lösten uns aus unserer engen Umarmung.
1A. AUSSEN. - STRAßE/AUTO – TAG
Ich hasste schwarze Kleidung. Schwarz war nicht meine Farbe. Genauso wenig wie der graue Schal, den ich um meinen Hals geschlungen hatte. Aber es war kalt draußen. Viel zu kalt. Ich fröstelte. Mit den Fingern strich ich die Falten des schwarzen Rockes glatt, den mir meine Mutter aufs Auge gedrückt hatte. In dem Rock fühle ich mich, als sei ich mindestens zehn Jahre älter, der Rock war komplett blickdicht und reichte mir bis über die Knie. Doch so fühle ich mich im Moment auch. Alt und verbraucht und allein. Vor allem allein. Nicht wie siebzehn, so alt wie ich eigentlich alt war. Ich saß allein auf der Bordsteinkante an einer Straße im Nirgendwo. Ich zitterte, aber nicht wegen der Kälte. Meine Haare hatte ich zu einem braven Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Die hohen Schuhe drückten in meine Fersen. Am liebsten hätte ich sie einfach ausgezogen. Ich fühlte mich wie ein abgestellter Koffer. Ein Koffer, den jemand absichtlich vergessen hatte. Weil ihn niemand mehr wollte. Der Mülleimer zu meiner Rechten war vollgestopft mit weißen Blumen. Tulpen fuhr es mir durch den Kopf.
Doch bevor ich dem Gedanken weiter folgen konnte, hielt ein silberner Bentley mit quietschenden Reifen vor mir an und hupte. Die Scheiben waren verdunkelt. Schon auf den ersten Blick war für jeden erkennbar, dass es eine echte Protzkarre war. Eines dieser Autos, bei denen viele auf die Idee kommen würden, mit einem Schlüssel die Seite zu zerkratzen. Es passte wie die Faust aufs Auge zu seinem Besitzer. Die Beifahrertür wurde geöffnet, drinnen saß Jürgen. „Was machst du denn hier?“, war alles, was ich herausbrachte. Ich hatte ihn seit bestimmt einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Und davor auch nicht gerade oft. Er hatte in Thailand gedreht. Sein Gesicht war kaum verändert. Aber seine Haut war gebräunt und er sah entspannt aus. Doch seine Stirn lag in Falten. Er war besorgt. Um mich. Mit einer Handbewegung gab er mir zu verstehen, dass ich einsteigen sollte. Widerwillig setze ich mich neben ihn, ich hatte keine Kraft, mich zu widersetzen und keine Ahnung, wie ich sonst nach Hause kommen sollte.
Ich hasste es in einem Kaff zu leben, in dem alles mindestens eine halbe Stunde Fußweg entfernt war. Ich senkte meinen Blick auf den Boden und zog mir den Sicherheitsgurt über die Schulter. Mein Vater war der Letzte, den ich in diesem Moment erwartet hatte zu sehen. Vor langer Zeit hatte ich aufgehört, das Wort „Papa“ zu benutzen. Seitdem nannte ich ihn einfach Jürgen. So einfach war das. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er mich umarmen, doch ein Auto hinter uns fing an laut zu hupen. Jürgen trat aufs Gaspedal. Ich konnte ihn einfach nicht ansehen. Stattdessen klappte ich die Sonnenblende runter. Auf der Rückseite war ein kleiner Spiegel, der von winzigen Lichtern umgeben war, die mich nun anstrahlten. Ich dagegen bot keinen strahlenden Anblick. Im Gegenteil. Mein Mascara war verschmiert und mein Lippenstift hing mir in den Mundwinkeln. Ich klappte den Spiegel schnell wieder nach oben und starrte auf die Straße.
Mein Vater räusperte sich. „Wie geht’s dir?“ fragte er leise, ich hörte die Vorsicht in seiner Stimme, als befürchtete er, dass jede kleinste Bewegung einen Orkan auslösen könnte. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich war absolut leer. Ich fühlte mich wie ein Luftballon, aus dem man die Luft gelassen hatte. „Ich weiß nicht“, sagte ich teilnahmelos. „Was ist mit der Schule? Wann gehst du wieder?“ fragte er. Ich konnte ihn immer noch nicht anschauen. „Ich will nicht zurück in die Schule. Ich kann das einfach nicht.“ Für einen langen Moment war der leise Motor das einzige Geräusch zwischen uns. „Bist du dir sicher?“ fragte er schließlich. „Du kannst doch jetzt nicht einfach aufhören. So kurz vor Schluss.“ Ich musste schlucken. „Du weißt doch, meine Noten sind im Keller. Ich weiß nicht mal, ob ich dieses Jahr schaffen werde. Und wenn, dann hab ich ein grottenschlechtes Abi.“
Wahrscheinlich stellen sie mich noch auf ein Siegertreppchen für den schlechtesten Abgänger, dachte ich. Das wäre doch mal was. Ich stellte mir vor, wie Gianna und ich uns das Siegertreppchen für den schlechtesten NC teilten. Gianna war meine beste Freundin. Und zurzeit wohl die einzige, die schulisch ähnlich versagte wie ich. Das lag wohl an unserem … Lebensstil, wie man so schön sagte. Ich stellte mir vor, wie ich von dem Treppchen in rotem Kleid den Eltern unter mir zulächelte und winkte. Und, traurig, dass ihre Tochter nicht hier steht?
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