Weiter geht’s, natürlich bergauf. Ich arrangiere mich mit meinem Schmerz. Schenke ihm nicht dauernd meine Aufmerksamkeit. Er will gespürt und wahrgenommen werden. Doch er ist nur ein Teil meines Lebens. Das fällt mir auf. Gut so.
In Villamayor angekommen gehe ich schnurstracks auf die Herberge zu. Klettern wär passender. Der Zugang sind steile, hohe Stiegen und die Auffahrt zum Haus ist dermaßen steil, dass ich fast die Hände für den Vierfüßlerstand zu Hilfe nehmen muss. Die Betten in diesem Haus wollen erklommen werden. Ich falle um 17 Uhr in den Plastiksessel vor dem Haus und warte bis ich mit der Anmeldung an der Reihe bin.
Wieder lande ich in einem dunklen, muffigen aber zumindest sauberen Zimmer. Wer liegt da unter mir im Stockbett? Die nervige Dänin. Inzwischen sogar krank. In dem kleinen Raum wird jetzt auch noch herumgerotzt. Danke für die täglichen Prüfungen. Es sind übrigens überraschend viele Pilger krank wie ich bemerke. Überforderung? Überlastung? Ich bin erstaunlich gesund für das was ich mir da täglich antue.
Nach einer Dusche klettere ich wieder die Auffahrt hinunter und setze mich in Sichtweite an ein Denkmal am Platz. Wer kommt da? Die „Krankenschwester“. Inzwischen mit Begleitung. Das gibt’s nicht. Die verfolgen mich. Ich will meine Ruhe und nix draus lernen müssen! Der Mann setzt sich neben mich während „Schwester“ zur Herberge hinauf geht und nach einem freien Bett fragt. Nein. Komplett. Nichts zu machen. Die freundliche Hospitalera fragt per Telefon bei jemandem im Ort nach ob die zwei dort unterkommen können. Währenddessen wird mir ganz schnell klar, dass sich mit dem Mann und der Schwester die richtigen zwei getroffen haben. Die passen super zusammen. Er ist mit genauso schlechter Energie unterwegs wie sie. Jetzt hoffe ich nur noch, dass ich mein Abendessen einnehmen kann ohne Frau Besserwisser am Nebentisch zu haben. Dieser Wunsch wird mir gewährt. Schöner noch, ich treffe Resi und MMMaria wieder. Sie liegen sogar im selben 8-Bett Zimmer wie ich, was uns alle sehr freut.
Über die Zimmer freue ich mich weniger, die gehen mir echt auf den Senkel. Immer diese drangvolle Enge und überall die herumliegenden Smartphones. Alle Steckdosen sind belegt und die Mehrfachverteiler, an dem an jeden freien Platz ein Gerät hängt, konterkarieren die Enthaltsamkeit der Herbergen. Bis auf Kurznachrichten bleibt mein Handy deswegen ausgeschalten im Rucksack.
Kalt ist mir schon wieder, weswegen ich beim gemütlichen Pilgermenü mit Dorade einen Schwarztee bestelle an dem ich mir die Hände wärme. Resi und Maria sind da aus anderem Holz geschnitzt. Die Wandern brav, ohne Murren und schlafen immer in den Herbergen. Sie haben leider nur 14 Tage Zeit und schauen wie weit sie kommen. Nach dem Essen schreibe ich noch Kurznachrichten nach Zuhause und habe beim Lesen der lieben Antworten Tränen in den Augen. So geliebt zu werden ist schlichtweg nicht zu toppen und gibt unheimlich viel Kraft für hiesige Mühsal.
Ab in den Schlafsack und gute Nacht. Besonders wohl fühle ich mich immer noch nicht mit so vielen Menschen in kleinen Zimmern zu schlafen doch ich gewöhne mich ein wenig daran. Das Gute ist zumindest, dass die Gemeinschaft mein Pilgergefühl stärkt. Es ist das gemeinsame Ziel das aufscheint.
1.10. Sansol
Als ich in der Früh aufgrund des allgemeinen Geraschels aufwache, sehe ich erstmals einen Mann, der gestern schräg unter mir ein Bett besetzt hat, aber zum allgemeinen „Licht aus“ nicht erschienen war. Dieser legt sich jetzt in sein Bett während die anderen aufstehen? Da stimmt was nicht. Schnell macht im Zimmer die Runde, dass er über Nacht draußen schlafen musste. Ich schaue ihn an und wünsche ihm mitleidsvoll „all the best“. Er wirft mir einen ausdruckslosen Blick zu, antwortet nicht und dreht sich zur Wand. Was ist nur mit ihm passiert?
Die Ausgeschlafenen frühstücken und machen sich bereit für den ersten Regenschauer. Ich bin wieder der letzte der den dunklen Vorraum verlässt, da ich allerhand mit der Versorgung meiner Füße zu tun habe. Bis ich fertig verbunden in die Schuhe steigen kann vergeht inzwischen etwa eine halbe Stunde. Ich schaue auf meinen linken Fuß mit den vielen Pflastern auf der Ferse und einer deutlich spür-, und sichtbaren Flüssigkeitsansammlung. Ich überlege Hin und Her, beschließe aber in dieser Umgebung keine Öffnung der Blase vorzunehmen sondern diese nur abzukleben und loszugehen.
Selbstverständlich tut mir das Fahrgestell noch weh, obwohl es mein Körper wieder einmal geschafft hat, über Nacht die ärgsten Wehwehchen kleiner zu kurieren. Wie macht der das bloß immer?
Die heutige Etappe führt knapp 20 Kilometer über eine sogenannte „Rennstrecke“. Damit sind lange, breite und flache Wegstücke gemeint. Als ich endlich losgehe haben sich die Wolken bereits wieder verzogen.
Ach Du heiliger Herr Gott! Ich gehe den ersten Schritt aus der Herberge heraus und spüre stechende Schmerzen aus Richtung Fuß. Beim L-o-s-g-e-h-e-n! Mit dem Wissen das 20 Kilometer lang aushalten zu müssen. Wieviele Schritte sind das pro Fuss? 10.000? Es bleibt mir nichts anderes übrig als zu versuchen immer besser zu lernen mich mit meinen Schmerzen auseinanderzusetzen. Was für eine wertvolle Erfahrung. Ich eigne mir verschiedene Techniken an wie zum Beispiel in den Schmerz zu atmen. Oder ich „gehe“ innerlich gezielt in den Schmerz hinein und nehme ihn an.
Wichtig ist aktiv-konzentriert bei einer normalen Gangart zu bleiben und Schonhaltungen zu vermeiden. Ich spreche beruhigend und verständnisvoll mit mir selber und sage vor mich hin was zu tun ist. „Ja, es tut weh. Ich weiß Körper. Ich verstehe Dich. Es geht grad nicht anders. Lass uns weitergehen. Es wird sich auch wieder ändern“.
Durch all das und das Wissen, dass es sich um keinen Schmerz handelt der sofortiges Tun im Sinne einer ernsten Gesundheitsgefährdung erfordern würde, lässt mich weitergehen. Der Geist siegt über den Schmerz. Der Schmerz ist aber auch kein Feind mehr. Er ist ein täglicher Begleiter geworden, er gehört dazu. Er ist Sprache meines wundervollen Körpers.
Es ist dein Ziel, dass dich antreibt und dich Opfer bringen lässt. Ist der angenommene Schmerz ein Opfer das ich darbringe?
Nach ein paar Kilometern bleibe ich an einer mobilen Bar stehen, einer Art Wohnwagen in the middle of nowhere…und begegne Richard aus Wales, dem Pilger der vor der Herberge im Freien hat schlafen müssen. Er erzählt mir, dass er erst nach Türschluss zurück in die Albergue gekommen ist und nicht mehr hereinkonnte. Er war gezwungen draußen zu schlafen. Bei Temperaturen um 10°. Er sagte es war eiskalt. Warum er allerdings nicht gerufen und solange an die Tür getrommelt hat bis ihm jemand aufmacht, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Auf meine Frage hin, hat er jedenfalls nur mit einem Schulterzucken geantwortet. Ich bin froh, dass ihm nichts passiert ist!
Auf meinem anschließenden weiteren Weg, ich habe mich von Richard verabschiedet, passiert etwas Wunderschönes. Ich befinde mich plötzlich inmitten einer riesigen Schafherde. Keine Ahnung wo die gerade hergekommen sind. Es sind geschätzte 500 Tiere. Der Pulk von Tieren geht mit mir, dem Schäfer und zwei Hunden von einer Weide zur nächsten. Vor mir die Hälfte der Schafe und hinter mir die andere. Wir gehen im selben Tempo und die Tiere hinter mir schauen mich fragend an. Es blökt und bimmelt von allen Seiten. Alle sind dicht an dicht gedrängt. Umringt von weißen Wollknäueln. Ich muss herzlich lachen so schön ist diese harmonische und berührende Begegnung. Ich frage mich ob Schäfer nicht auch etwas für mich wäre? Kein Stress und immer mit lieben Tieren beisammen. Durch deutlich hörbares Motorenaufheulen der nicht weit entfernten Rennstrecke „Circuita de Navarra“ werde ich aus den Gedanken gerissen. Trotzdem versuche ich mich an einer Konversation mit dem Schäfer. Weit kommen wir aufgrund der Sprachunterschiede nicht doch „Austria“ kennt er. Irgendwas mit „viel Geld dort“ meint er. Wir nicken uns zu und verabschieden uns. Es sind oftmals gerade die ländlichen Einheimischen die auch den Reiz des Caminos ausmachen. Die meisten grüßen freundlich von ihren Traktoren herunter.
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